Hallo Jala,
Dein Bericht kommt mir sehr bekannt vor. Mir ging es genauso bzw. geht es immer noch genau.
Immer dieses Gefühl angepasst zu denken, nicht dazu zugehören, weil sich alles was man denkt und sagt so falsch und unecht anfühlt. Ständig sind bei jedem Kontakt, bei jedem Gespräch die Gedanken, die einem die eigentliche Situation vernebeln. Oh ja, das kenne ich genug. Dazu halt noch diese ganzen unerklärlichen Symptome wie extreme Magenprobleme, ohnmächtige Müdigkeit, Gefühlslosigkeit, Gliederschmerzen, Angst-/und Panikattacken. Ich selber bin 30 Jahre alt und fahre so ähnlich wie Du. Mit 16 hatte ich auch schon schlechte Phasen, konnte sie aber überwinden, weil ich immer dachte, dass es irgendwann verschwinden würde. Jetzt mit 30 merke ich, dass ich eigentlich mitten im Leben drin bzw. sein sollte und abwarten leider nichts mehr bringt. Ich merke, dass mein Leben an mir vorbei fährt.
Innerlich weiß ich, dass ich nicht krank bin, sondern diese ganzen Symptome daher kommen, weil ich mich versuche in etwas hineinzupressen, wofür ich nicht geboren bin. Ich nenne es den Schmerz der Trennung von sich selbst. Und wenn ich Deine Geschichte so lese, dann hab ich das Gefühl, dass es Dir genauso geht. Schon als kleines Kind wurde mir eingetrichtert, dass ich in der Schule fleißig sein muss. Später musste ich das Abitur machen, zur Uni gehen oder eine gute Ausbildung machen. Und nach der Ausbildung ist es eine Pflicht eine Arbeit zu haben. Das sind diese ganzen Erwartungshaltungen die von meinen Eltern, Großeltern, Gesellschaft, Politik usw. in mich hineingepflanzt wurden und die ich für bare Münze nehme. Mittlerweile hat man den Eindruck als ob ein erfülltes Leben nur durch eine schöne Karriere, durch einen Festvertrag und ordentlich Herausforderungen besteht. Da ich dieses Konstrukt in meinem Kopf installiert habe, denke ich auch so und bin daher nicht mehr frei. Ich lebe da ein Leben, das nicht mehr mein Leben ist und gehe daran zugrunde. Ich verstehe nicht, warum ich 39 Stunden die Woche auf der Arbeit sitzen muss. Wieso? Klar, um Geld zu verdienen. Nur irgendwie ist mir in dieser Leistungsgesellschaft der Sinn von Arbeit verloren gehen. Warum geht man Arbeiten? Um sein Leben zu finanzieren. Ich gehe schon längst nicht mehr arbeiten, um mein Leben zu finanzieren. Ich gehe arbeiten, weil ich muss! Ich gehe zur Arbeit, heuchle Interesse und Ehrgeiz vor und verdiene Geld, das ich in der Menge gar nicht brauche. Dass ich das Meiste meiner Aufgaben gar nicht erledigt kriege (durch Müdigkeit, Unbelastbarkeit) kriegt keiner mit, weil ich perfekt schauspielern kann. Wenn ich die Arbeit nicht erledigen kann und schauspiele, bin ich am Ende des Arbeitstages so müde, dass ich schlafen gehe. Selbst das Wochenende schlafe ich erschöpft durch. Ich lebe eigentlich nur noch für meine im Kopf installieren Vorstellungen der Arbeit. Und wenn ich mal so mit anderen Arbeitskollegen etwas vertrauter rede, dann sehe ich, dass bei den auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Nur keiner traut sich das zuzugeben und evtl. auszusteigen.
Natürlich kenne ich die ganzen Methoden wie Akzeptieren-lernen und so weiter. Nur habe ich immer das falsche Akzeptiert. Ich habe versucht zu akzeptieren, dass ich müde und nicht belastbar bin - aber gebracht hat es nicht. Nein, das Akzeptieren bedeutet etwas größeres.
Ich habe jetzt auch Jahre unzähliger Therapien und Medikamente hinter mir und nichts, aber wirklich nichts hat geholfen. So langsam wird mir allerdings klar (eigentlich wusste ich es schon immer), dass ich nicht krank bin, sondern da in etwas reingeraten bin, wofür ich nicht geschaffen bin. Ja sicherlich gibt es Leute, denen die Arbeit Spaß macht, die für bestimmte Rollen geboren sind. Ich weiß allerdings innerlich, dass ich für ein Karriereleben nicht geboren bin. Und Du scheinst dafür auch nicht geboren zu sein. Wenn niemand da wäre, der Erwartungen an Dich stellt, wärst Du frei. Man muss selber realisieren, dass da draußen niemand ist, der diese Erwartungen an Dich stellt. Das ist man selber. Du musst ehrlich zu Dir sein: möchtest Du wieder arbeiten? Oder möchtest Du nur wieder ohne Müdigkeit, ohne Depressionen arbeiten, um zu sein, wie alle anderen, die das augenscheinlich können? Denk dran, es ist in Ordnung den Anforderungen anderer nicht zu entsprechen. Es ist in Ordnung so zu sein, wie man ist. Woher kommt der Schwachsinn zu denken, dass man Herausforderungen suchen muss und Leistung erbringen muss? Das ist so ein Schwachsinn, den es gilt aufzugeben. Da dies allerdings in vielen Fällen bedeutet, einen anderen Weg einzuschlagen, vllt. sein ganzes bisheriges Leben über den Haufen zu werfen, ist diese Entscheidung so unglaublich schwer. Ich weiß eigentlich gar nicht wer ich wirklich bin. Und da beginnt die Angst sein bisheriges Leben loszulassen. Die Angst und die Ungewissheit nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Stattdessen klammert man sich lieber an sein Elend fest. Das ist der Punkt, an dem der Ausbruch so schwierig ist. Und das lässt die Sache für mich und wahrscheinlich auch für Dich so schwierig gestalten. Ich bin noch nicht an den Punkt, an dem ich mein bisherigens Leben ziehen lassen kann. Leider... Wir alle müssen nicht anders werden, nur zu uns selbst wieder zurückkommen.
21.10.2009 11:16 •
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