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Burnoutgefährdet - Unsicherheit über meinen Zustand

F
Hallo liebe Forengemeinde,

dass ich 'burnoutgefährdet' bin, weiß ich schon eine ganze Weile: Ich bin perfektionistisch veranlagt, habe seit jeher hohe Ansprüche an mich und andere, kann schlecht Nein sagen, bin eher ein people pleaser und gehe im Job oft über meine Grenzen. Jetzt ist wieder der Zeitpunkt gekommen, an dem ich meinen aktuellen psychischen und körperlichen Zustand hinterfrage und unsicher bin, wie schlimm es wirklich um mich steht. Vielleicht könnt ihr mir bei der Einschätzung helfen?

Ich bin Mitte 30, männlich, arbeite in der Forschung (Vollzeit). Die Arbeit ist stets befristet (Projektbasis), ich mache mir relativ viel Druck 'abzuliefern', was auch daran liegt, dass ich mir oft wie ein Imposter vorkomme. Ich habe nie das Gefühl, genug geleistet zu haben oder gut genug zu sein, andere kommen mir immer besser vor. Bin deswegen auch schon in Therapie (psychoanalytische Gruppentherapie). Ich versuche immer, so effizient und produktiv wie möglich zu arbeiten: Da ich jedoch vor allem geistig arbeite, laugt mich die 40h Woche extrem aus (mache auch oft Überstunden); ich fühle mich meistens gehetzt, atme kaum durch, nutze gefühlt jede freie Minute um produktiv zu sein. Das geht für mich auf Dauer nicht gut, und das merke ich bereits seit vielen Monaten, eigentlich Jahren.

Ich habe seit Jahren auf einem Ohr einen Tinnitus, Nacken- und Schulterverspannungen sind für mich schon zur Normalität geworden (manchmal bekomme ich davon auch Schwindel), jetzt gerade bin ich mit dem dritten Infekt in 6 Monaten krank geschrieben (mein Immunsystem scheint ziemlich im Eimer, denke ich mir), ich bin ständig müde und ausgelaugt und seit einigen Monaten bin ich in sozialen Situationen richtig ängstlich geworden (eine Angststörung wurde schon diagnostiziert), sodass ich mich entweder sozial zurückziehe (das tut auch manchmal gut, oftmals führt es aber zu Grübeleien und noch mehr Unsicherheit) oder extrem unsicher bin. Mein Selbstbewusstsein wird immer schlechter und ich kann scheinbar nichts dagegen tun. Ich versuche schon, mir ab und an 'Erfolge' aufzuschreiben, aber ich 'fühle' sie nicht, sie rutschen irgendwie durch mich durch und bleiben in meinem inneren System nicht haften. Stattdessen habe ich da eine innere Stimme in mir, die viel zu kritisch mit mir ist, die immer was zu bemängeln hat. Es macht mich wahnsinnig. Entspannt und relaxt war ich schon lange nicht mehr.

Ich fühle mich außerdem richtig entfremdet von mir selbst. Früher war das anders. Da war natürlich auch nicht immer alles rosig, aber ich hatte zumindest das Gefühl Ich oder irgendwie bei mir zu sein. Jetzt ist es eher so, dass ich irgendwie wie fremdbestimmt oder ferngesteuert durch mein Leben wandele und die Verbindung zu mir verloren habe. Das macht mich oft traurig. Darunter leiden auch meine engen Beziehungen. Ich fühle mich immer wie ein Schauspieler. Auch mein Therapeut meint, ich sei ein Maskenmensch. Ich denke, ich trage diese Masken, um nach außen den Eindruck zu vermitteln, dass alles gut ist und ich klar komme. Wie es mir wirklich geht, weiß ich gar nicht richtig.

Es ist so, dass ich in meinem Alltag noch ganz gut klarkomme. Ich bin funktional. Kann meine Arbeit noch einigermaßen ok erledigen, einkaufen gehen, Wohnung und mich selbst sauber halten, Termine einhalten, etc. Dennoch leide ich sehr unter diesem Entfremndungsgefühl und der Energielosigkeit.

Abgesehen vom Job habe ich nicht sonderlich viel vorzuweisen. Ich habe zwar ein paar enge Freunde, aber keine Partnerschaft und keine Kinder. Aufgrund der Energielosigkeit strengen mich (erste) Dates auch eher an. Von daher ist es eher schwierig für mich, andere Bereiche in meinem Leben auszubauen, auch wenn ich mir eine Partnerschaft eigentlich sehr wünsche. Hobbies habe ich, mir fehlt aber oft die Zeit dafür.

Mich würde interessieren, welchen Eindruck ihr von mir und meiner Situation habt, wenn ich meine Zeilen lest. Ich brauche eine 'Außenperspektive', um meine Lage einschätzen zu können.

28.05.2024 12:44 • x 4 #1


Stromboli
Lieber Flipp

Du fragst nach dem Eindruck, den deine Worte vermitteln:
Bei mir entsteht das Bild eines sehr sensiblen, differenzierten Mannes, der ganz viel ganz klar weiss und sieht an sich selbst und der zugleich sehr schmerzhaft leidet daran, dass sein Wissen quasi ein mit Gefühlen und realem Leben unverbundenes Dasein fristet. Das Wissen kann sich nicht in gelebtes Leben umsetzen. Das ist, grob gesagt, mein Eindruck.

Damit bist du hier in bester Gesellschaft, ich glaube, vielen Userinnen und Usern hier ist das vertraut, mir selber auch. So vieles eigentlich klar zu sehen und doch nichts entscheidend ändern können, ergibt eine Wiederholung der Ohnmachtserfahrungen, die vermutlich auch an der Wurzel liegen.

Mir gehen Ideen durch den Kopf, was ev weiterhelfen könnte, aber nach Rat hast du erstens nicht gefragt und zweitens ist das eh immer so eine Sache, was dem einen hilft, kann für den anderen genau das Verkehrte sein.

Darum wünsche ich dir jetzt einfach erstmal viel Kraft und dass du möglichst liebevoll mit dir selbst sein magst.

28.05.2024 15:07 • x 2 #2


A


Hallo Flipp,

Burnoutgefährdet - Unsicherheit über meinen Zustand

x 3#3


Nuance
Mir fällt nicht viel ein.
Du analysierst Deine Problematik sehr gut.
Ich frage mich, warum Du nichts änderst.
Ist es eine Art Arbeitssucht?

Wurde die Schilddrüse mal untersucht?

Warum nimmst Du Dir keine Auszeit? Urlaub...
Einen längeren. Vlt. eine Weltreise machen, Dir Träume erfüllen.
Wärst Du zufrieden mit Deinem Leben/Deinen Errungenschaften wenn man Dir morgen eine tödliche Krankheit diagnostizieren würde?

Ist Dir Ansehen wichtig und was andere von Dir denken?
Mehr fällt mir nicht ein.

Machst Du so weiter, kann Dein gesamtes berufliches Kartenhaus Schaden nehmen - und Deine Seele. Und letztere erholt sich leider nicht immer. Oft bleibt man wenig(er) belastbar.

28.05.2024 18:53 • x 1 #3


F
@Stromboli: Danke für deine Worte! Tat gut sie zu lesen und ja, Wissen und Änderungsfähigkeiten klaffen bei mir auseinander. Ich habe Angst vor meiner eigenen Courage. Etwas zu ändern heißt immer auch, sich wahrlich einzugestehen, dass etwas gerade extrem schief läuft in meinem Leben. Da bin ich noch nicht, schätze ich. Da gibt es noch dieses Stimmchen: So schlimm ist es noch nicht, du kommst ja noch klar, streng dich mehr an.

Mich würden deine Ideen dazu, was ich ändern könnte, sehr interessieren.

@Nuance: Arbeitssucht? Ja, könnte sein. Meine Schilddrüse wurde mal untersucht. Der geht es gut.

Eine Auszeit würde ich super gern nehmen. Ich sehne mich eigentlich danach. Würde gern Südostasien bereisen zum Beispiel. Gleichzeitig denke ich, dass eine Auszeit meine berufliche Karriere ruinieren würde. Ich kann mir das nicht leisten ... mehrere Wochen fehlen, die Arbeit ruhen lassen, eine Lücke im Lebenslauf. Das hält mich davon ab. Wie machen das nur andere? Wie schaffen sie es, sich zu trauen zu sagen: Es reicht, ich muss etwas ändern, ich gehe reisen und kümmere mich erstmal um mich, dann sehe ich weiter. Der Mut fehlt mir.

Ich wäre nicht zufrieden mit meinem Leben, wenn man mir eine tödliche Krankheit diagnostizieren würde. Ich möchte noch so viel erleben eigentlich. Fühle mich gleichzeitig gefangen in meiner 'Anerkennungs-' oder 'Karrieresucht'.

Und ja, Ansehen (oder ich würde eher sagen: Anerkennung) und was andere von mir denken, ist mir wichtig. Ist mir eigentlich viel zu wichtig. Ich wünschte, das wäre nicht so.

Wenn ich ehrlich zu mir bin, sieht meine Wunschvorstellung eigentlich so aus:
Die nächste Projektphase sausen lassen, stattdessen One-Way-Ticket nach Bangkok und dann erstmal 2-3 Monate in Asien verbringen (das Geld dafür wäre da). Mir auf Reisen klar werden, was ich wirklich im Leben möchte. Beruflichen Plan B überlegen und mein aktuelles Karriereziel aufgeben (weil ich im Grunde bereits weiß, dass es mir nicht gut tun wird, viel zu viel Druck und Belastung und Arbeitspensum). Das Leben wieder wirklich ERLEBEN lernen. Nach der Reiserückkehr Schritte einleiten, damit es beruflich anders weiter geht.

Was hält mich ab? Viel. Meine Projektmitarbeiter wären zutiefst enttäuscht, wenn ich nicht weitermachte. Es wäre sicher auch mein Karriereaus in dem aktuellen Bereich. Obwohl ich ganz gut qualifiziert bin, habe ich tiefsitzende Ängste, dass ich nach einer Auszeit nicht mehr Fuß fassen würde, dass ich im Bürgergeldbezug lande oder so...irgendwann dann bei Aldi an der Kasse (nichts gegen Kassierer bei Aldi, aber ihr wisst vielleicht, was ich meine).

Das Leben im Neoliberalismus ist eigentlich nicht darauf ausgelegt, dass man sich eine Auszeit nimmt, Systemfragen stellt oder sich selbst finden will.

28.05.2024 20:05 • x 3 #4


Dakota
Wie andere das mit dem Lebenslauf machen? Den frisiert man, machen alle. Da sehe ich kein Problem.
Bürgergeld? Bist Du angestellt oder selbstständig? Angestellt bekommst Du Arbeitslosengeld.

28.05.2024 22:02 • #5


F
@Dakota: Was meinst du mit Lebenslauf frisieren?

Ich bin angestellt, klar würde ich erstmal ALG beziehen. Ich wollte nur deutlich machen, dass ich gedanklich zum Katastrophieren neige: Wenn ich über eine Auszeit-nehmen nachdenke, kriege ich sofort Panik, dass ich beruflich den Anschluss verlieren werde, die 12 Monate ALG dann nicht reichen und ich letztlich jahrelang im Bürgergeldbezug hängen bleiben werde.

28.05.2024 23:01 • #6


Lost111
Zitat von Dakota:
Wie andere das mit dem Lebenslauf machen? Den frisiert man, machen alle. Da sehe ich kein Problem.

Ähem, ich habe meinen Lebenslauf nie frisiert.
Das zu verallgemeinern finde ich nicht ok. Wer das machen will, mag das tun, mir egal. Das muss Jeder für sich selbst entscheiden.

28.05.2024 23:21 • x 2 #7


Dakota
Lebenslauf frisieren = Lücken füllen durch geschickte Formulierungen + Ausgedachtes.

@lost Ich habe sehr viele Krankheitszeiten in meinem Leben gehabt, natürlich habe ich meinen Lebenslauf frisiert. Wie soll es auch anders gehen. Ich habe ebenfalls mir selber schon Gehaltsnachweise geschrieben, denn wenn man krank ist und nicht arbeiten kann, gleichzeitig eine Wohnung braucht ... geht auch das nicht ohne Frisieren.
By the way - ich habe stets alles zahlen können, ob Miete, Rechnungen etc. Und ja, alle machen das nicht, aber viele.

29.05.2024 11:57 • x 1 #8


Fritz
Hi Flipp
Erstmal willkommen

Du hat ja bereits deine Probleme erkannt und dich selbst eingeschätzt.
Jetzt solltest du versuchen, diese Probleme aufzulösen.
Da gibt es viele Möglichkeiten, aber die Arbeit bleibt dir alleine, ein anderer wird sie nicht für dich tun!

Dass ich 'Burnout gefährdet' bin, weiß ich schon eine ganze Weile:
Ich bin perfektionistisch veranlagt, habe seit jeher hohe Ansprüche an mich und andere, kann schlecht Nein sagen, bin eher ein Ja-Sager und gehe im Job oft über meine Grenzen.
Jetzt ist wieder der Zeitpunkt gekommen, an dem ich meinen aktuellen psychischen und körperlichen Zustand hinterfrage und unsicher bin, wie schlimm es wirklich um mich steht.

Vielleicht könnt ihr mir bei der Einschätzung helfen?

Ich denke, du solltest in erster Linie deinen Selbstwert steigern.
Bilde Deinen Selbstwert nicht durch Leistung!
Also, arbeite an dir und es wird dir besser gehen.
Ich weiß, es ist einfacher geschrieben als getan, aber es gibt keine andere Lösung.
Servus

29.05.2024 13:09 • #9


bones
Nun ich sehe deine Probleme Recht deutlich von dein Beruf und natürlich an dir selbst.
Sicher möchte man alles richtig machen. Aber 100%, beziehungsweise 200% brauchst du nicht. Weil es reichen die 100%. Du muss lernen, dass es auch neben dein Beruf , du Zeit für dich nehmen sollst . Das ist sogar wichtig. Denn wenn du für dich sorgst, dann kannst du auch gute Leistung, vorallem mit gesunder Einstellung arbeiten. Überstunden kann man machen, sollte aber kein Dauerzustand sein. Sollte das aber nicht anders gehen, dann solltest du stattdessen zb Freitag diese abfeiern in dem Du früher gehen kannst. Gibt verschied Möglichkeiten. Du profitierst nur davon. Mache nicht den Fehler, den die meisten gemacht haben inkl mich.

Nun schaue nicht wie andere das machen mit Auszeit nehmen. Der Schein trübt oft. Aber solltest du eine Auszeit nehmen wollen , dann ist es mit Sicherheit nicht das Ende deiner Karriere. Aber dein bedenken kann ich nachvollziehen.

29.05.2024 16:37 • x 3 #10


Stromboli
Zitat von Flipp:
Mich würden deine Ideen dazu, was ich ändern könnte, sehr interessieren.


Also, ich versuche dann noch zwei, drei Ideen zu äussern, vielleicht auch eher kritische Fragen zu stellen.

In einer Klammerbemerkung deines ersten Posts steht, du bist in einer psychoanalytisch orientierten Gruppentherapie. Zum Thema Therapie lese ich ausserdem, dass dein Therapeut dir das Etikett Maskenmensch verpasst habe.
Besteht deine Therapie nur aus dieser Gruppentherapie und ist besagter Maskenmensch-Therapeut dann auch der Gruppentherapeut? Oder bist du auch noch in Einzeltherapie?
Ansonsten liest sich dein Post so, als ob du dein eigener Therapeut wärst.

Zu diesem Thema:

- Was du sehr klar und akkurat beschreibst an dir und über dich, ist eine breite Auffahrt auf eine Autobahn, die geradewegs ins Burnout führen wird. Bleibt zu hoffen, dass dann noch eine Ausfahrt kommt, bevor es so weit ist. Und sonst wird das Burnout eben die Aufgabe übernehmen, dich von dieser Autobahn wegzulotsen. Das mag jetzt nüchtern und hart klingen, aber ich glaube, dem solltest du wirklich ins Auge schauen. Der befürchtete Crash mit Karriereaus wird kommen, wenn du so weitermachst. Die gute Nachricht: Es wird selbst dann nicht der Weltuntergang bzw. das Ende aller Chancen sein. Aber du hast jetzt noch die Möglichkeit, alles in weniger dramatische Bahnen zu lenken.

- Therapie: Ich denke, du brauchst unbedingt therapeutische Unterstützung, aber das wenige, was du dazu sagst, lässt mich zweifeln, ob du da aktuell gut versorgt bist. Psychoanalyse: Ich glaube, sie wird heute zu Unrecht oft schlechtgemacht, aber in deiner Situation NUR auf eine solche Therapie zu setzen, halte ich für gefährlich. Ich kenne diese Gruppe nicht und kann daher nur spekulieren: Vor mir erscheint eine Runde von Menschen, die sich bei jedem Treffen vorwiegend gegenseitig bestärkt und bestätigt in den Einsichten, die alle bereits haben, ohne dass sich etwas relevant verändert im realen Leben. Kann es in diese Richtung gehen? Wenn nicht, vergiss es. Wenn aber doch, dann würde ich mich an deiner Stelle therapeutisch unverzüglich neu orientieren. Mein Impuls ist, Einzeltherapie wäre aktuell zielführender. Und nicht nur (oder gar nicht mehr, eigentlich weisst du da schon alles) psychoanalytisch, sondern irgendetwas Lösungsorientiertes: Ego States, innere Familie, Körpertherapie in Verbindung mit den Emotionen ... google und schau, was Resonanz hat, aber es sollte darauf angelegt sein, das reale Leben zu verändern, und dich darin tatkräftig unterstützen, so wie du es selbst ja möchtest.

- Ich verstehe die Ängste und Katastrophenszenarien im Kopfkino sehr, kenne das aus bestimmten Phasen meines Lebens bestens. Selber habe ich es 2013 an die Wand gefahren - Job (definitiv), Ehe, Gesundheit war alles futsch. Aus heutiger Sicht und mit der Erfahrung dessen, was dann folgte: Mir hätte nichts Besseres passieren können. Aber die nächsten paar Jahre fühlte sich das noch ziemlich schrecklich an und der Weg aus diesem Loch war lang und steinig. Darum: Vielleicht könntest du es dir leichter machen, wenn du die nötigen Veränderungen proaktiv an die Hand nimmst und den Aufbruch in ungewisses Neuland wagst. Du wirst nach allem, was du von dir schreibst, nicht an der Aldi-Kasse und auch nicht im Bürgergeldbezug landen.

Dabei lass ich es jetzt mal. Nimm daraus, was sich stimmig anfühlt, und versuche nicht, auch hier den people pleaser zu spielen und Tipps anzunehmen, die dir gar nicht taugen.

Herzliche Grüsse, Stromboli

29.05.2024 22:50 • x 3 #11


Dys
Zitat von Flipp:
Mich würde interessieren, welchen Eindruck ihr von mir und meiner Situation habt, wenn ich meine Zeilen lest. Ich brauche eine 'Außenperspektive', um meine Lage einschätzen zu können

Ohne Dich zu kennen ist es mir nicht möglich deine Lage einzuschätzen. Daher kann ich natürlich nur zu dem etwas sagen, das Du schilderst.
Zitat von Flipp:
Ich wollte nur deutlich machen, dass ich gedanklich zum Katastrophieren neige

Da Du dies ja erkannt hast, bleibt eigentlich nur der Gedanke, „wie schaffe ich es, nicht zu Katastrophisieren“ übrig, der Dich weiterbringen könnte. Denn natürlich kann alles erdachte Negative auch passieren. So wie auch alles nicht Erdachte, dass negativ aber auch positiv sein kann, passieren könnte. Beeinflussen kannst Du aber ohnehin nur, was in Deiner Macht liegt. So wie Du es momentan zu handhaben scheinst, wirst Du jedenfalls kein gutes Gefühl haben, wenn Du Dich entscheiden wirst, ob Du eine Auszeit nimmst oder nicht. Denn per Definition ist eine Auszeit ein sich rausnehmen und automatisch ein Schritt ins Ungewisse.

Bestenfalls könntest Du also keine Angst vor dem Ungewissen haben. Hättest Du diese Angst nicht, wärst Du vielleicht schon in Thailand und würdest dort die Zeit genießen. Oder Du wärst Dort und hättest von Anbeginn Zeit Katastrophen zu erdenken, die Dich ereilen könnten, was dann aber nichts anderes wäre, wie dass was Du schon machst, nur in einem anderen Ambiente.

30.05.2024 10:20 • x 1 #12


Momo58
Zitat von Flipp:
Ich versuche immer, so effizient und produktiv wie möglich zu arbeiten: Da ich jedoch vor allem geistig arbeite, laugt mich die 40h Woche extrem aus (mache auch oft Überstunden); ich fühle mich meistens gehetzt, atme kaum durch, nutze gefühlt jede freie Minute um produktiv zu sein. Das geht für mich auf Dauer nicht gut, und das merke ich bereits seit vielen Monaten, eigentlich Jahren.

Für die Arbeitszeit gäbe es eine einfache Lösung: reduzieren. Dein AG kann dir das nicht verwehren, wenn du weniger arbeiten möchtest.
Ich habe selbst jahrelang gearbeitet und hatte wenig Kraft und Energie, daneben noch Hobbies oder Freundschaften zu pflegen. Mein einziges Freizeitvergnügen war Wandern und das habe ich am liebsten alleine gemacht. Nun gehe ich Ende Juni in die Altersrente und habe dann viel Zeit.
Zitat von Flipp:
Es ist so, dass ich in meinem Alltag noch ganz gut klarkomme. Ich bin funktional. Kann meine Arbeit noch einigermaßen ok erledigen, einkaufen gehen, Wohnung und mich selbst sauber halten, Termine einhalten, etc. Dennoch leide ich sehr unter diesem Entfremndungsgefühl und der Energielosigkeit

Vielleicht hast du das, was man eine funktionale Depression bzw. hochfunktionale Depression nennt. Wenn du nicht mehr abschalten kannst, ist das natürlich ein Warnzeichen.

30.05.2024 10:57 • x 1 #13


BlackKnight
Und Flip, im Gegensatz zu der Sichtweise eines Members, es gibt nicht nur die EINE Lösung; du hast viel mehr Möglichkeiten; einige wurden hier schon super geäußert viel Glück und alles Fute dir....

30.05.2024 11:42 • x 2 #14


F
@Stromboli: Puh, da hast du mir einiges zum Nachdenken mitgegeben. Sehr gut.

Zitat:
Besteht deine Therapie nur aus dieser Gruppentherapie und ist besagter Maskenmensch-Therapeut dann auch der Gruppentherapeut? Oder bist du auch noch in Einzeltherapie?


Der Maskenmensch-Therapeut ist der Gruppentherapeut. Er hat mir die Rückmeldung auch im Rahmen der Gruppe gegeben. Ob das Format (psychoanalytische Gruppentherapie) aktuell das Richtige für mich ist, habe ich mich auch schon gefragt. Ehrlich gesagt war ich einfach froh, überhaupt irgendeinen Therapieplatz zu bekommen. Ich habe mich gestern beim Thera auch gemeldet und habe jetzt morgen einen Einzeltermin bekommen. Da werde ich ihm meine aktuelle Lage etwas detaillierter schildern. Vielleicht hilft es.

Zitat:
Ansonsten liest sich dein Post so, als ob du dein eigener Therapeut wärst.

Den Satz habe ich nicht verstanden. Was meinst du damit?

@Dys: Danke für deine Rückmeldung. Wäre wohl gut, wenn ich therapeutisch daran arbeite, nicht so katastrophieren. Ansonsten - da hast du Recht - wird es mich verfolgen, egal welche Entscheidung ich treffe.


@Momo58: Arbeitszeit reduzieren löst mein Problem eher nicht, denn ich arbeite in einer Branche, in der man sich durch Arbeitszeitreduktion eher ins Karrieaus katapultiert und andere eben an einem vorbeiziehen.

Den Gedanken, dass ich eine hochfunktionale Depression haben könnte, hatte ich auch schon mehrfach. Blöd nur, wenn die Erkenntnis an sich nicht weiterhilft. Ich versuche schon, für Ausgleich zu sorgen (nehme mir fürs WE angenehme Aktivititäten vor; zwinge mich, mich mit Freunden zu treffen; versuche regelmäßig Sport zu machen; jede Woche wieder versuche ich, realistische To Do Listen zu schreiben, etc.), aber wirklich nachhaltig hat sich noch nichts verändert. Wer weiß wie bescheiden es mir ginge, wenn ich all dies nicht machen würde :-/ Heißt: Ich halte mich noch irgendwie über Wasser. Ist aber schwer und anstrengend und mit einem schönen/angenehmen Leben hat das bei mir nichts zu tun.

30.05.2024 13:51 • x 3 #15


Stromboli
Zitat von Flipp:
Den Satz habe ich nicht verstanden. Was meinst du damit?


Dein erster Post las sich für mich, überspitzt gesagt, fast wie ein Bericht eines Therapeuten über seinen Klienten. Du siehst alles so klar, was erfahrungsgemäss bei Leuten wie uns (kopflastig geworden durch emotionale Unterernährung bei intellektueller Hochfunktionalität) oft darauf hinausläuft, kognitiv die absolute Kontrolle zu behalten - um die emotionalen Wunden nicht spüren zu müssen, die der ganzen Problematik zugrundeliegen, und so weiterhin funktionieren zu können. Ich habe diese Kunst fast perfekt beherrscht. Zum Glück nur fast.

Ist es damit verständlicher?
Ich glaube, deine vermutlich tiefsitzenden emotionalen Verletzungen sehnen sich nach deiner Zuwendung. Alleine sind wir damit aber erstmal überfordert und ein Therapeut, mit dem eine vertrauensvolle Beziehung möglich ist, kann da sehr hilfreich sein.

30.05.2024 14:00 • x 3 #16


F
@Stromboli
Verstehe. Ja, kann ich was mit anfangen. Sehr viel sogar.

Ich habe allerings absolut gar keine Ahnung, wie ich Zugang bekommen soll zu den tiefsitzenden emotionalen Verletzungen. Ich bin aktuell richtig weit entfernt von mir und meinen Gefühlen. Ich merke das auch im Gruppensetting. Dort teile ich natürlich immer mal etwas, aber es ist eher ein affektloses, eher kognitives Erzählen. Ich spüre dabei nichts. So komme ich auch nicht sonderlich voran, scheint mir. Wie ich Zugang zu meinen wahren/tiefersitzenden Gefühlen bekommen kann, weiß ich nicht. Ich werde das morgen in der Einzelsitzung mal ansprechen. Vielleicht hat der Thera Übungen o.ä. parat.

Was hat bei dir geholfen, aus der intellektuellen Hochfunktionalität herauszufinden?

30.05.2024 14:09 • x 4 #17


A


Hallo Flipp,

x 4#18


Stromboli
Zitat von Flipp:
Was hat bei dir geholfen, aus der intellektuellen Hochfunktionalität herauszufinden?


Lieber Flipp

Da verstehe ich deine derzeitige Ratlosigkeit nur zu gut. Das affektlose, kognitive Erzählen, wie du es nennst, kenne ich aus meiner Vergangenheit bestens. Mehr als einmal bekam ich von Therapeuten zu hören, wenn man mir zuhöre, habe man den Eindruck, eigentlich sei ich gar nicht wirklich beteiligt an dem, was ich erzähle, ich erzähle so sachlich nüchtern über Dinge, die einen Menschen ja eigentlich verzweifelt, wütend, traurig usw. machen würden.

Die unbarmherzige Tragik dahinter: Wir haben seinerzeit (natürlich nicht bewusst, das hat unser seelisches Immunsystem für uns geleistet) hohe und dicke Schutzmauern um unsere emotionalen Bedürfnisse nach z.B. Zuwendung, Liebe, Kontakt, Geborgenheit, Sicherheit, Beachtung, Anerkennung, Wertschätzung, Ermutigung, Trost ... usw. herum errichtet - um uns zu schützen vor der permanenten Verletzung eben dieser Bedürfnisse. Hinter diesen Schutzmauern sind diese Bedürfnisse dann mehr und mehr gar nicht mehr spürbar geworden - bis in die Gegenwart hinein.

Gleichzeitig haben wir vielleicht, wenn wir z.B. in der Schule gut waren, intellektuell begabt, die Erfahrung gemacht, dass wir damit ein bisschen Anerkennung ergattern konnten. Oder zumindest hat man uns in dieser Beziehung nicht so enttäuscht wie im Bereich der Gefühle. Bei mir war es so, dass ich dem emotionalen Hungertod in der Umgebung meiner Kindheit wohl nur knapp entronnen bin, auch die körperliche Entwicklung zeigte sichtbare Spuren davon, relativ unbeschadet entwickeln konnte sich nur der Intellekt. Da profitierte ich u.a. davon, dass ich in der Schule ein gewisses Ansehen genoss bei den Schulkameraden, weil sie gerne in den Prüfungen von mir abschrieben.

Was bei mir weniger der Fall war (ich wurde in meiner Familie hauptsächlich ignoriert und war einfach lästig), aber bei manch anderen Betroffenen zusätzlich viel Schaden anrichtet: wenn Elternteile ihre eigenen ungestillten emotionalen Bedürfnisse an den Kindern auslassen. Wenn z.B. der Sohn herhalten muss, um der Mutter Trost und emotionale Anerkennung zu geben. Das geschieht natürlich selten offensichtlich, für das Kind nicht erkennbar, aber umso perfider für seinen Zugang zu den eigenen Gefühlen.

So erstaunt es nicht, dass wir als erwachsene Menschen auf dem Weg blieben, auf dem wir uns am sichersten fühlten, nämlich dem intellektuell-akademischen.

Soviel zu möglichen Hintergründen. Damit weisst du immer noch nicht, wie du da herausfindest. Ich kann dir dafür auch kein Rezept geben. Bei mir war es ein viele Jahre dauernder Prozess in kleinen und kleinsten Schritten, mit zahlreichen Rückschlägen und Enttäuschungen, mit unendlich viel Geduld und immer wieder Durchstehen von Durststrecken. Eine so massive Schutzmauer löst sich nicht von heute auf morgen auf, auch nicht auf übermorgen. Ich finde es hilfreich, sich klar zu machen, dass sie seinerzeit einen überlebenswichtigen Zweck erfüllt hat. Und das verletzte Kind, das sich dahinter verbirgt, fühlt die damalige Angst und Panik immer noch. Deswegen läuten auch gleich alle Alarmglocken, wenn seine Gefühle plötzlich ins Bewusstsein zu dringen drohen ... und die Schutzmauer verschliesst die kurzzeitig entstandene, undichte Stelle sogleich wieder, das geschieht unterbewusst und in Millisekunden. Der Intellekt kann aus alledem quasi ein stark verdünntes Destillat ziehen, vielleicht auch weil wir darüber gelesen und uns informiert haben, er kann dann theoretisch vieles einordnen ... aber eben, emotional erlebbar und spürbar wird es dadurch nicht, und die Folgen für Psyche und Körper bleiben bestehen.

Ich würde an deiner Stelle schauen, dass ich therapeutisch nicht einseitig auf analytischen und gesprächszentrierten Wegen bleibe. Die brauchst du vermutlich weiterhin auch, weil du dich dort einigermassen sicher fühlst. Ich würde mir zum erklärten Ziel setzen, endlich meine Gefühle aus ihrem Kellerloch zu holen, und dafür erstmal den verlorenen Schlüssel zu finden. Dass du Wut spüren kannst, Verzweiflung und Schmerz, dass vielleicht Tränen fliessen dürfen, all das wäre sehr heilsam. Und glaube jetzt nicht, mir gelänge das heute alles problemlos. Weinen kann ich z.B. bis heute nur in Ausnahmesituationen, da bin ich immer noch dran. Die frühen Verletzungen (ich würde wetten, um solche handelt es sich bei dir auch) werden nicht vollständig heilen, aber es ist möglich, sich endlich so um sie zu kümmern, wie es schon damals nötig gewesen wäre.

Ich glaube, sobald du ein wenig Zugang zu deinen Gefühlen spürst, wird dir das auch helfen, klarer zu sehen und klarer entscheiden zu können, wohin dein Weg dich führen soll, auch beruflich.

Zum Schluss vielleicht noch zwei Bücher, die mir selbst sehr geholfen haben in diesen Prozessen:
- Sei nicht so hart zu dir selbst, Andreas Knuf
- Posttraumatische Belastungsstörung, Pete Walker
Wobei, ein Buch ist nicht per se hilfreich, es ist auch wichtig, dass es zum richtigen Zeitpunkt zu einem kommt, wenn man dafür offen ist. Du kannst ja mal reinschauen. Und wenn du nicht viel Resonanz spürst, ist nichts an dir falsch deswegen! Vergiss nicht, people zu pleasen ist vermutlich eins deiner grössten Hindernisse. Nimm dir in dieser, aber nur in dieser!, Hinsicht den Trumpel jenseits des Atlantiks zum Vorbild: Flipp first!

Von Herzen alles Gute

31.05.2024 09:14 • x 7 #18

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