Das Helferlein und die Überforderung

David Spritz
Mir fällt gerade was ein, das ich eigentlich in mein Büchlein schreiben wollte, das aber gut hierher passt, in Anknüpfung an die o.g. Geschichte mit dem Elefanten:

In einer Folge von den Drei Fragezeichen, die ich als Kind oft gehört habe, verrät sich ein Schurke dadurch, dass er Senf und Blut auf dem Esstisch hinterlässt, obwohl er behauptet hat, Vegetarier zu sein. Der Sprecher kommentiert das mit: „Man fällt eben nicht ungestraft aus der Rolle.“ Als Kind kannte ich aber noch nicht die Redewendung „aus der Rolle fallen“ und interpretierte diesen Ausspruch als: „Man tanzt eben nicht ungestraft aus der Reihe.“ Dies untermauerte eine Vermutung, die ich einige Zeit vorher durch Schlussfolgerung aus dem Verhalten meiner Mutter abgeleitet hatte, nämlich dass man immer schön lieb, brav und angepasst sein sollte, weil man Anderen sonst mit seinen „Ecken und Kanten“ zur Last fallen würde. Als ich diese alte Folge letztes Wochenende mit meinen Kindern gehört habe, ist mir das plötzlich klar geworden. Es war wie eins von vielen fehlenden Bruchstücken, das plötzlich wieder auftauchte.

Zunächst habe ich mir nichts Besonderes dabei gedacht, aber jetzt, einige Tage später, ist die Konsequenz bei mir durchgesickert: Ich habe damals eine falsche Schlussfolgerung mit einer missverstandenen Redewendung bewiesen und seitdem mein Leben danach gelebt. Ich habe diese Gedanken später nicht mehr geprüft. Durch das häufige Hören des Hörspiels in meiner Kindheit waren sie wie in Marmor gemeißelt und bildeten eine meiner Lebens-Maximen. Ich war mir so sicher, dass meine Theorie wahr ist, dass ich beschloss, sie zu verinnerlichen und nie wieder in Frage zu stellen.

Da drängt sich mir doch die Frage auf: Wie vielen dieser falschen Schlussfolgerungen und Missverständnisse bin ich noch aufgesessen? Wie viele sachlich völlig falsche Weisheiten bestimmen noch heute mein Leben? Es wird sich ja hier nicht um einen Einzelfall handeln!

Das gibt einem echt zu denken, oder?

06.07.2011 23:06 • #16


Knoten
Hallo David,

dein Beitrag gibt mir in der Tat zu Denken.

wir wurden erzogen uns anzupassen um keinen Ärger zu machen.

Vielleicht sollten wir die ganzen Sprüche mal versuchen aufzulisten und für uns Prüfen in wie weit sie unser Leben beeinflussen.

Der Erste der mir einfällt ist: Solange du die Füsse unter meinem Tisch stellst, hast du zu tun was ich dir sage!
Er bedeutet doch auch nichts anderes als: pass dich an, sonst gibt es Ärger.

Nummer 2: Wenn Erwachsene Reden, haben Kinder den Mund zu halten!
Irgendwie die gleiche Aussage, oder?

07.07.2011 09:59 • #17


A


Hallo Knoten,

Das Helferlein und die Überforderung

x 3#3


S
Ein Paar hinter die Ohren haben noch niemanden geschadet

Benimm dich anständig, was sollen denn die Leute denken

07.07.2011 10:36 • #18


JeanLucca
Heul nicht, Du bist doch ein Mann

07.07.2011 10:42 • #19


Knoten
mir fallen im Moment keine mehr ein, obwohl es bestimmt noch etliche gibt...

viellich hilft es auch weiter, wenn eine Erinnerung an die Verpflichtungen geschaffen wird. also mithilfe daheim, überstützung von anderen, überforderung im kindesalter.

ich glaube auch das hat unsere helferlein ordentlich gefüttert.

meine größte Aufgabe und Herausforderung war, auf meinem Bruder aufzupassen.

08.07.2011 13:55 • #20


David Spritz
Ich hatte gerade wieder so einen schonungslosen Moment der Klarheit.

Ich habe letzte Woche einige Arbeitskolleginnen gegen mich aufgebracht, weil sie eine Äußerung von mir gegen Frauenfußball in den falschen Hals gekriegt hatten und mich daraufhin als Chauvinist und Macho bezeichneten. Nach außen tat ich zwar so, als würde mich das nicht berühren, und beharrte auf meiner Meinung. In mir drin aber hatte ich den Impuls, vor ihnen auf die Knie zu fallen, sie um Verzeichung zu bitten, meine Aussagen zurückzunehmen, meine Meinung ab jetzt für mich zu behalten und sie anzuflehen, mich doch bitte, bitte, bitte wieder zu mögen.

Und heute wurde mir bewusst, dass es genau das gleiche ist mit meiner Ex-Frau, die unser gemeinsames Haus, in dem sie noch wohnt, gerne behalten würde, während ich versuche, es zu verkaufen. Es ist für mich dermaßen furchtbar, mich bei ihr und meinen Ex-Schwiegereltern unbeliebt zu machen, dass ich mich regelrecht zum Weitermachen zwingen muss, weil es sich so dermaßen beschissen anfühlt. Dabei könnte es mir doch eigentlich vollkommen egal sein, was die von mir halten, so lange ich selbst überzeugt bin, das Richtige zu tun, und das bin ich nun mal.

All das geht natürlich zurück auf meine Mutter, die mir ebenfalls immer und immer wieder zu verstehen gegeben haben muss, dass ich nicht mehr liebenswert sei, wenn ich mich nicht so verhalte, wie sie es von mir braucht. Und auch das wirkt noch heute nach und bestimmt einige Aspekte meines Verhaltens.

Das Problem ist, dieses Muster ist so tief eingebrannt, dass es einfach zur Selbstverständlichkeit geworden ist, und dass ich es oft nicht mal merke, wenn ich mal wieder drauf reingefallen bin. Man muss offensichtlich echt aufmerksamer durchs Leben gehen, was manchmal ganz schön anstrengend ist. Aber ich glaube ganz fest daran, dass sich das irgendwann mal bezahlt macht, wenn man diese ganze Ursuppe mal aufgearbeitet hat.

Oder was meint Ihr?

Kleiner Nachtrag: Das erklärt auch, warum mir meine Umwelt manchmal aus heiterem Himmel total bedrohlich vorkommt. Ich habe dann offensichtlich die Befürchtung, dass wenn ich aufhöre, mein Verhalten zu kontrollieren, und mich einfach mal gehen oder hängen lasse, man mich plötzlich nicht mehr mögen wird und ich mich dann mies fühlen werde. Und ich nehme es meiner Umwelt offenbar übel, dass sie mir mit derlei Konsequenzen droht und mich damit zwingt, immer ganz viel Energie in die Aufrechterhaltung meiner Fassade zu stecken. Und dabei passiert das alles in Wirklichkeit nur in meinem Kopf. Krass!

11.07.2011 13:41 • #21


David Spritz
Es geht immer weiter! Gerade beim Yoga hatte ich wieder eine kleine Erleuchtung.

Meine Emanzen-Freundin hat mir jetzt auf Grund meiner Äußerungen gegen Frauenfußball die Freundschaft gekündigt. Zuerst war ich sehr geknickt und habe angefangen, mich zu fragen, ob es das überhaupt wert ist. Schließlich brauche ich doch ihre Freundschaft, um mich gut zu fühlen! So dachte ich jedenfalls.

Aber mir wurde klar, dass ich etwas sehr Wichtiges getan hatte. Ich bin trotz aller Zweifel und der Befürchtung möglicher negativer Konsequenzen bei meiner ursprünglichen Meinung geblieben. Ich war mir selbst treu, auch wenn es zunächst unbequem war. Aber ich habe das Gefühl ausgehalten und ihm nicht nachgegeben, und jetzt fühlt es sich richtig gut an. Bin richtig stolz auf mich!


Und mir ist noch was klar geworden: So eine Freundin brauche ich nicht.

13.07.2011 14:57 • #22


S
Das ist genau die richtige Einstellung. Wir sind nicht auf dieser Welt, um es anderen recht zu machen.

Glückwunsch, die Freundin ist es nicht wert. Null Toleranz bezügl. anderer Meinungen. Übrigens bin ich als Frau auch total gegen Frauenfußball und habe mir kein Spiel angesehen.

Serafina

13.07.2011 15:18 • #23


Knoten
frauenfussball? ich guck nicht mal herrenfussball. das spiel ansich ist mir zu ... nein ich sags nicht ;-)

david, es ist schön ,dass du immer mehr fühlst, das es nicht um andere sondern um dich geht.

mein kleiner monk war die letzten tag richtig artig. er hat mich sogar bei meinem psychiater unterstütz und damit hat er mir! geholfen.

irgendwie habe ich im moment nicht einmal das bedürfnis anderen helfen zu wollen. seit ich die entscheidung getroffen habe nicht mehr an meinem arbeitsplatz zurück zu kehren gehts mir sehr gut. es ist ruhe in mir eingekehrt. monk schläft :-)

13.07.2011 19:59 • #24


David Spritz
Glückwunsch! Genieß die Ruhe! Er wird nicht ewig schlafen, also bleib achtsam!

Heute war ich beim Psychiater zum planmäßigen Zwischencheck, und er hat mir seine Beobachtung mitgeteilt, dass ich dazu neige, Dinge, die ich einmal erreicht habe, dann ganz schnell abzuhaken und zu den Akten zu legen, so dass natürlich Tür und Tor dafür geöffnet sind, dass sich die alten Muster wieder einschleichen. Der kleine Monk (ach nee, meiner heißt ja Jürgen!) ist unartig und muss erzogen werden.

14.07.2011 14:04 • #25


Knoten
Hallo David,

du meinst dein Jürgen macht dich glauben, dass alles ok ist, sodass er die Türen wieder auf machen kann?

lg, knoten

14.07.2011 20:55 • #26


David Spritz
Ja, so könnte man es auch ausdrücken. Obwohl das andererseits auch schon wieder ein bisschen nach Verfolgungswahn klingt.

Ich weiß es nicht...

15.07.2011 14:30 • #27


Knoten
könnte durchaus sein. vielleicht nimmst du alles zu sehr auseinander ?

15.07.2011 21:27 • #28


David Spritz
Ich will diesen Thread nicht für meine Probleme missbrauchen, daher als Link:
depressiv-nach-trennung-was-dagegen-tun-t21259.html

21.07.2011 13:13 • #29


A


Hallo Knoten,

x 4#15


David Spritz
Hatte heute wieder eine Erleuchtung, diesmal ganz ohne Yoga:

Wenn ich es mir zum Ziel mache (oder zulasse, dass mein Jürgen es mir zum Ziel macht), am Ende des Tages „reinen Tisch“ zu haben, egal ob am Arbeitsplatz, im Haushalt oder wo auch sonst, mache ich mich damit zum Sklaven der Umstände. Es liegt dann nicht mehr in meiner Macht, wie viel Energie ich aufwenden muss, um am Ende des Tages zufrieden nach Hause gehen zu können, sondern es hängt davon ab, wie viele Aufgaben von außen an mich heran getragen werden. Außerdem kann ich niemals einen angenehmen Endzustand erreichen, sondern die „Tretmühle“ geht am nächsten Tag von vorne los, und ich beginne jeden Tag wieder von Null mit meinen Bemühungen. Das weiß ich natürlich am Abend vorher schon, und ich werde dementsprechend unruhig.

Die Energie, die ich dafür aufwende, den „Mangelzustand“ (also keinen reinen Tisch am Ende des Tages) zu beheben, wäre besser angelegt, wenn ich sie dazu verwende, mich selbst dazu zu bringen, ihn zu ertragen, ja, ihn als Normalzustand hinzunehmen und ihn nicht mehr als persönlichen Makel zu betrachten. Der so erzielte Erfolg ist auch von längerer Dauer und bedarf nur von Zeit zu Zeit geringfügiger Korrekturen, sobald der Jürgen mich wieder mal ins alte Gedankenmuster bugsiert hat, ohne dass ich es gemerkt habe. Diese Vorgehensweise kostet also auf Dauer wesentlich weniger Energie und ist auch viel berechenbarer und somit weniger angsteinflößend.

22.08.2011 20:33 • #30

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