Guten Morgen, @joline, vielleicht ist es die Erkenntnis, dass du nicht allein mit deinem Problem bist. Und durch die Erfahrungen der anderen bekommst du vielleicht auch eine neue Sichtweise. Das könnte deine Frage beantworten.
Ich habe hier auch ein bisschen quergelesen. Als ich vor knapp einem Jahr an einer Gruppensitzung in der Klinik teilnahm, ging es auch um das Thema inneres Kind. Ich konnte bis dato gar nichts damit anfangen. Als das Thema vertieft wurde, habe ich die Gruppe verlassen. Alle Patienten, die an der Sitzung teilgenommen hatten, waren so zerstört, dass jeder Satz, den ich hätte beitragen können, den einen oder anderen getriggert hätte. Aus Schutz der Teilnehmer habe ich nicht gesagt, was aus mir rausbrechen wollte. Kein Eigenschutz, sondern Schutz der anderen.
Dadurch hat sich aber bei mir eine Tür geöffnet und mir mit Gewalt klar geworden, was mein inneres Kind so sehr verletzt hat, dass ich die Erinnerung daran jahrelang verdrängt habe. Und es waren Fakten, keine Mutmaßungen, ob wirklich alles so passiert ist, wie es passiert war. Gleichzeitig hat die Erkenntnis mich so extrem wütend gemacht, dass ich mit der Person, die diese Verletzungen verursacht hat, versucht habe, darüber zu reden. Ich bin auf völliges Unverständnis gestoßen. Auch, weil diese Person so etwas wie inneres Kind als völlig lächerlich abgetan hat.
Geholfen haben letzlich Gespräche mit anderen Familienmitgliedern, die mir bestätigt haben, dass ich das Opfer war und als unschuldiges Kind gar nicht anders konnte, als mit diesem Verhalten, das ich an den Tag gelegt habe, aufzuwachsen, denn ich kannte es nicht anders, es war Teil meiner Erziehung und fühlte sich, weil ich gezielt gesteuert wurde, jahrelang richtig an. Heute und durch Einzel-Gespräche mit meiner eigenen Therapeutin, die niemandem schaden können, weiß ich damit umzugehen. Es brach sich Bahn, es tat richtig weh, es hat mir aber die nötige Wut verschafft, nicht in Traurigkeit und Selbstmitleid abzurutschen.
Das/mein inneres Kind war und ist finanziell wohl behütet aufgewachsen, aber der Wohlstand war ein Bestechungsgeld. Ein Schweigegeld.
Die schmerzliche Erkenntnis hat dazu geführt, dass ich nach Jahren das, was ich hatte, nicht als schön empfinde, sondern als Last. Es hat mich verändert und auch die Erziehung, die mein Sohn von mir bekommen hat, hat es verändert. Ich konnte meinem Sohn finanziell nicht viel bieten (wobei, was ist viel?), aber ich konnte ihm Werte vermitteln, die so viel wichtiger waren als materielle Dinge.
Es hat einen unglaublich guten, feinfühligen und fairen Charakter-Menschen aus ihm gemacht. Und durch die Liebe und das Verständnis, die ich von meinem Peiniger nie gekommen habe, die ich aber an meinen Sohn (weiter) geben konnte, bin ich bis heute damit in der Lage, mein Erlebtes als Prüfung zu sehen, aus der ich noch relativ unbeschadet raus gekommen bin und die Liebe, die ich durch meinen Sohn täglich zurück bekomme, bestärkt mich darin, dass das innere Kind zwar traumatische Verletzungen erlitten hat, dass ich darüber aber ein Trostpflaster legen kann, um die Wunden (Erinnerungen) zu heilen und durch die Erinnerungen an durchaus sehr schöne Begebenheiten habe ich an die Zeiten als Kind, als unverletztes Kind, keine großen Probleme mehr, mich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen.
Ich bin heute die, zu der ich teils gemacht wurde, aber auch die, die daraus das Beste gemacht hat. Für sich, für andere und als erhobener Mittelfinger an den, der mich zu seinen Zwecken jahrelang verbiegen wollte. Derjenige hat auf ganzer Strecke verloren! Und darauf bin ich stolz!
12.01.2021 10:13 •
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