Liebe Alexandra, als ich dein Thema hier gelesen habe, habe ich mich natürlich als ADHSlerin seit Geburt, als traumatisiert seit Kindheitszeiten und als chronisch depressiv in vielem wiedergefunden.
Nur in 2 Dingen nicht: Ich habe nie befürchtet, mein Gedächtnis zu verlieren und ich habe mich nie geschämt wegen meiner Vergesslichkeit.
Da ich mich jahrzehntelang so ziemlich dauerhaft geängstigt und geschämt habe, ist das schon erstaunlich und mir nie zuvor aufgefallen.
Und darin liegt vielleicht auch eine unerwartete Beruhigung zu diesem Thema? Wäre jedenfalls typisch ADHS!
Die meisten Jahrzehnte sind mir auch meine Gedächtnisstörungen nicht mal als Gedächtnisstörungen aufgefallen.
Blackout in Prüfungen und bei Vorträgen oder wenn ich angestarrt wurde oder mich jemand verbal angriff, manche Jahre erinnere ich kaum noch und fast alle Urlaube, bevor ich Medikamente nahm, sind völlig ausgewischt.
Dass ich jemals die Namen meiner ChorkollegInnen wüsste, kam nicht vor und dass mir Worte im Gespräch nicht einfallen oder ich Namen verwechsle, das war nie anders.
Schusseligkeit und Vergesslichkeit hatten immer hohen Anteil an meinem körperlichen Trainingszustand, ohne Scherz, denn ich holte den ganzen Tag vergessene Gegenstände treppauf und treppab.
Das war normal für mich. Mein Vater war so, sein Vater, darum war das halt so. An der Uni waren so viele GeistesarbeiterInnen wie ich, dass das schon irgendwie dazu gehörte. Die verschusselten ForscherInnen halt! Das schien irgendwie zusammen zu gehören.
Wie viele große Geister und Künstler international waren depressiv, traumatisiert oder nach heutigem Wissen ADHSler und dass denen von einem Stab von Leuten dauernd ihr schusseliger Hintern hinterher getragen werden musste, das wusste jeder.
Dass sie im Alltag oft total bei den einfachsten Dingen aufgeschmissen waren, auch.
Sie alle hatten Zusammenbrüche, in denen gar nichts mehr ging, in denen sie so tief im Dunkel versanken, dass das noch heute ihrer hinterlassenen Literatur, Musik, ihren Gemälden und ihren Theorien abzulesen ist.
Über viele Ausnahmemenschen sagt man: Sie waren erst diese Ausnahmebegabungen durch ihre Schwächen und Desaster.
Genauso beschreibt sich die Autistin Greta Thunberg, die meint, dass nur ihre autistische Fixierung sie durchhalten lässt.
Also, wir haben keinen Gedächtnisverlust wie wirklich Demente, sondern wir haben Gedächtnislücken oder Gedächtnisblockaden.
Ein ADHS-Gehirn speichert lückenhaft ab wegen der Aufmerksamkeitsstörung. Aber gerät ein ADHSler in einen Hyperfokus, dann kommt kein Normalo mehr mit, oft genug erlebt!
Und in der Schusseligkeit Dinge miteinander zu verknüpfen, die noch nie verknüpft wurden, auch Kreativität genannt, auch da sind ADHSler Spitze! Das ist auch Hirnleistung und zwar gesellschaftlich hoch geschätzte, sonst hätte uns die Evolution längst ausselektiert.
Ein Trauma vergisst als Überlebensstrategie.
Eine Depression in ständigen Emotionen von Alarm und Bedrohung und Anspannung und Getriebenheit oder Paralysiertsein produziert soviel Stresshormone, dass die Hirnleistung ebenfalls in den Sparmodus der Ausnahmesituation hineinblockiert wird, wie bei ADHS im übrigen auch oft.
Medikamente und Stille und Entspannung und Psychotherapie wirken da.
Und fühlen wir uns wohl und entspannt wie hier im Forum, schreiben wir lange hoch reflektierte Beiträge und die Gedächtnisstörungen sind solange oft ganz vergessen.
Liebe Grüße! maya
Und das ist eben auch der Unterschied.
22.06.2019 19:11 •
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