Ich hatte während meines Klinikaufenthaltes zweimal pro Woche Ergotherapie und hatte zunächst auch ein falsches - oder eher unbestimmtes - Bild davon. Oh, Beschäftigungstherapie mit Mandalas. Überspitzt.
Dabei konnte ziemlich bald feststellen, dass die Ergo in mir an mehreren Stellen etwas bewegt hat.
Ich konnte mir aussuchen, womit ich mich beschäftigen wollte. Ausmalbilder wären tatsächlich eine Möglichkeit gewesen, wenn ich einmal wirklich keine Lust auf etwas Anderes gehabt hätte. Grundsätzlich war das allerdings weniger für die Patienten von meiner Station gedacht. Ich habe während meiner Zeit fast ausschließlich mit Speckstein gearbeitet.
Es war mir nach langer Zeit wieder möglich, mich weitgehend auf eine Sache zu konzentrieren. Ich hatte sprichwörtlich ein Stück Arbeit vor mir und durfte mich diesem auch voll widmen. Da war niemand, der jederzeit nach mir hätte rufen können und mich etwa wegen einer leeren Tonerkartusche aus dem Flow gerissen hätte.
Diese Arbeit hatte an manchen Tagen den erfreulichen Nebeneffekt, dass ich mental etwas Abstand zu akuten Problemchen und Ärgernissen nehmen konnte. Hinterher sahen die Angelegenheiten weniger schlimm aus; ich war entspannter. Diesen Effekt kannte ich zuvor schon sehr lange etwa von meinem Schießsport, aber dort war er zuletzt so gut wie verschwunden. Schön, dass ich ihn hier nun wiederfinden konnte.
Gleichzeitig konnte ich sehen, wie dieses Stück Arbeit nach und nach Form annahm. Vom bloßen Stein zu einem Anhänger oder einer einfachen Skulptur. Und das habe ich geschafft. Meine Idee, meine Hände, mein Lernprozess im Umgang mit den Werkzeugen und dem Stein. Ziemlich toll, wenn man sich selbst als Nichtskönner betrachtet hat.
Es hat natürlich nicht immer perfekt funktioniert. Manchmal ist der Stein gebrochen oder ich habe eine Form durchtrieben. Ich und niemand anderes. Damit musste ich leben und das Beste daraus machen. Manches konnte ich flicken und manchmal musste ich halt meinen Plan ändern. Ich musste jedenfalls kein einziges Werkstück aufgeben.
Die Ergotherapie fand im Rahmen meiner Patientengruppe von der Station statt und manchmal waren auch noch einzelne Patienten von anderen Stationen dabei. Es war also immer jemand da, mit dem ich nebenbei schnacken konnte. Mein eigenes Ding machen, aber nicht allein sein.
Die Gruppensituation führte dazu, dass immer wieder mal jemand rüberkam und mir positives Feedback gab. Auch das war schön für den vermeintlichen Nichtskönner in mir. Es half mir, weniger hart über meine eigene Arbeit zu urteilen. Die meisten Stücke habe ich an gute Freunde oder mir besonders wichtigen Mitpatienten zu deren Entlassung verschenkt. Diese Leute haben sich offenbar ehrlich gefreut - über etwas, das ich fabriziert habe. Der Nichtskönner wurde noch kleiner.
Die Therapeutinnen waren natürlich nicht nur für die fachliche Anleitung da. Sie waren in die Besprechungen des Stationsteams eingebunden und wussten über meine Probleme Bescheid. Dahingehend haben sie auch immer mal das Gespräch angeleiert.
Ergo war toll!
01.03.2019 00:34 •
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