ParanoidAndroid
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Vor gut acht Jahren habe ich mich, wie viele anderen naiven Abiturienten auch, dafür entscheiden, zu studieren. Ich freute mich voller Erwartung auf mein neues Leben, und hatte keinerlei Ahnung, was mir blühen würde. Ich zog aus meiner Heimat am Ar. der Welt in eine teuere Stadt, weil dort ja eine der (angeblich) besten Universitäten dort ist.
Schon im ersten Semester war mir klar, dass ich mich auf eine Hölle eingelassen hatte. Natürlich ist aller Anfang schwer. Ich kam aber niemals mit dem Druck klar. Nicht nur das Studium. Zum ersten Mal hatte ich alle Pflichten eines Erwachsenen. Um überhaupt mithalten zu können, war das Studium für mich mehr als ein Vollzeit-Job. Oft hatte ich, selbst an Wochenenden, kaum ein paar Stunden frei für irgendwas anderes.
Und schon im ersten Semester bekam ich es mit den Schlafproblemen zu tun. Ich bekam vor einer Klausur genau null Schlaf. Seitdem hatte ich immer so viel Angst vor Schlafmangel, dass es alles nur noch verschlimmert hat. Im zweiten Semester bestand ich mehrere Klausuren nicht, als ich je mehr als 48 Stunden vorher nicht geschlafen hatte.
Unter diesem schlechten Stern habe ich dann den Rest meines Studiums aushalten müssen. Nur durch pure Sturheit habe ich es ausgehalten. Es ist schon irgendwie ein Wunder, dass ich all das überlebt habe. Ich wünschte nur, ich hätte es nie getan.
Auch die Bedingungen, unter denen man leben musste. Für so viele von uns ist das normal. Normal, dass man auf minimalem, engstem Raum zusammenleben muss, immer pleite ist, sich nichts gönnen kann, und all das in Ordnung ist - da es ja irgendwann vorbei sein würde.
Genau diese Mentalität - durchhalten, es muss ja *irgendwann* besser werden - fasst so ziemlich meine gesamten ersten sechs Jahre als Erwachsener zusammen.
Nach den ersten paar Semestern war ich verzweifelt genug, um 'experimentelle Schlafrhythmen' und Schlafmittel zu probieren. Es entwickelte sich eine starke Abhängigkeit von Schlafmitteln. Mir stärkere, rezeptpflichtige verschreiben zu lassen, hat es nur noch schlimmer gemacht. Manchmal dachte ich, ich hätte meinen Tastsinn verloren, so stark hat mich an manchen Tagen betäubt.
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Nachdem ich 22 wurde, sah ich immer weniger Hoffnung. Ich war mit jedem Aspekt meines Lebens höchst unzufrieden, und sah mich mit jedem Jahr nur miserabler werden. Das alles eine große Enttäuschung war, ist eine Untertreibung. Ich dachte mir, wenn es in zwei Jahren nicht deutlich besser ist, möchte ich nicht mehr leben.
Vollkommen, ohne das jemals bei meinem Hausarzt zu erwähnen, wurde mir dort das erste Mal Depression diagnostiziert. Ich beantwortete die Fragen, und bekam danach das erste Mal Mirtazapin verschrieben.
Ich war die ersten Wochen und Monate echt zufrieden damit. Denn ich konnte damit erstmal halbwegs vernünftig schlafen. Und dachte mir, es würde ja auf Dauer meine Stimmung verbessern, und damit würde alles besser, richtig?
Die Hoffnung hielt nicht lange an. Mein Arzt riet mir u.a. zu Änderungen in meinem Lebensstil, also v.a. dass ich mal Sport machen sollte. Darauf habe ich auch gehört. Ich wurde erstmal zum Jogger, und habe es trotz allem durchgezogen. Nur eine weitere falsche Hoffnung, dass es einem dadurch besser geht. Die Dosis des Antidepressivums wurde erhöht. Betäubt halt noch mehr. Abgesehen davon kann ich bis heute keinen Unterschied feststellen.
Die Situation ab 2020 hat alles nur noch schlimmer gemacht. Mit den Corona-Lockdowns wurden viele in die totale soziale Isolation getrieben. Es gehörte einfach dazu, dass man seine Kommilitonen täglich sieht. Nun spielte sich mein fast ganzes Leben auf wenigen Quadratmetern ab.
Das hat es echt nochmal auf eine neue Ebene gehoben. Ab dann hatte ich Sport bitter nötig. Fast alles andere spielte sich nur noch im Home Office ab. Die Leute an der Kasse im Supermarkt waren so ziemlich die einzigen, mit denen ich 'in real life' gesprochen habe. Unsere tollen Klausuren durften wir mit FFP2-Masken schreiben. Und bitte immer alle schön 'Social Distancing'.
Irgendwann hatte ich echt genug vom Laufen. Nicht, dass es jemals wirklich 'Spaß' gemacht hätte. Als die größten Lockdowns vorbei waren, fing ich im nächsten Fitnessstudio an. Ich meinte es richtig ernst, und glaubte wirklich, mein Leben dadurch verbessern zu können.
Dann letztes Jahr die finale Abschlussarbeit war nochmal extra furchtbar. Man wird als Student übel ausgenutzt. Offiziell sind es je sechs Monate, aber inoffiziell muss man noch ewig lang Vorarbeit leisten, um offiziell damit anfangen zu dürfen. Ich wurde im Sommer fertig. Bekam sogar eine top Note (nichts Besonderes). Am Ende hatte ich zwar mehrere Semester zu lang gebraucht, aber immerhin einen guten Abschluss.
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War es das alles wert? Nein, absolut verdammt nochmal nein. Es geht mir heute schlechter als je zuvor.
Ich zog nach dem Abschluss zu meiner Mutter zurück, es sollte ja nur kurzfristig sein. Ich dachte, ich würde schnell einen Job bekommen, und danach schnell eine Wohnung.
Es hat fünf Monate gedauert, bis ich meinen ersten Vollzeit-Job nach dem Studium bekommen habe. Um fair zu sein, lag es überwiegend an mir, denke ich zumindest. Mit jeder Absage wurde meine Motivation geringer. Eine einzige Absage auf einen meiner Traumjobs reichte jeweils, um mir die Nacht zur Hölle zu machen.
Aber ich hatte Erfolg. Meine Stelle war nicht gerade meine erste Wahl, aber naja. Ich konnte nicht mehr länger warten. Als NEET zu leben nach dem Studium, für mich gab es keine schlimmere Vorstellung. Ich hatte das Glück, nette Kollegen zu haben, und erstmal remote, also wieder nur Home Office arbeiten zu können.
Ich merkte sehr bald, dass remote arbeiten Grundvoraussetzung überhaupt ist, v.a. wenn man nicht in einer Großstadt wohnt.
Bald begab ich mich auf die Wohnungssuche, in der Stadt meines Arbeitgebers. Die Realität haute mir ein weiteres Brett vor den Kopf. In den nächsten paar Monaten verschickte ich über 100 Anfragen auf Plattformen wie ImmoScout usw. Jedenfalls hatte ich so ziemlich alles, was Vermieter sich wünschen - eine Schufa-Auskunft, Gehaltsnachweise, usw. usf. Trotzdem wird man damit immer noch in ca. 85% der Fälle komplett ignoriert.
Die paar Male, die ich tatsächlich zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen wurde, musste ich dann jeweils mein halbes Wochenende verbringen, im Zug dorthin und zurück zu fahren. Nur, um dann jeweils enttäuscht zu werden. Man hat wohl, nachdem man eingeladen wurde, gefühlt 1% Chance, die Wohnung auch zu bekommen.
Ich dachte, es würde besser, nachdem ich drei Monate hinter mir hatte. Und danach, als ich sechs Monate = Probezeit hinter mit hatte. Irgendwie wurde es gar nicht einfacher. Ist anscheinend aktuell quasi unmöglich, irgendwo in irgendeine Stadt eine Wohnung zu bekommen?
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Jedenfalls ist fast alles noch schlimmer geworden.
Ich muss immerhin zugeben, dass (bisher) das Berufsleben für mich deutlich entspannter ist als das als Student. Und außerdem habe ich jetzt erstmal genug Geld. Aber für was genau? Ich wohne jetzt seit gut einem Jahr wieder im Elternhaus, und zwar gegen meinen Willen. Der Job ist nicht 'erfüllend'. Dafür ewig studiert zu haben, ist bitter.
Auch mit einer der allerschlimmsten Aspekte ist der endgültige Zusammenbruch meines Soziallebens. Es hat sich herausgestellt, was ich schon 2020 geahnt habe: Uni-Freunde sind keine richtigen Freunde. Und die allermeisten werden einen nur ghosten. Ich wohne hier jetzt nicht mehr in einer Stadt, sondern mitten auf dem Land im nirgendwo. Hier ist niemand in meinem Alter. Es gibt hier keine sozialen Kontakte, die ich neu knüpfen könnte.
Arbeiten, Fitness, Fernseher glotzen, und ständig Wohnungsanfragen verschicken - mehr kann ich nicht machen in meinem Leben.
Dem lokalen Arzt zu erklären, dass ich Medikamente brauche, war leicht genug. Wenn man dann versucht, hier in der Gegend Therapie zu bekommen, wird man auf Wartelisten verwiesen, die min. 8 Monate lang sind.
Was ich mir zu einem nächsten Geburtstag wünsche? Eine Kugel im Kopf!
Das System ist gegen welche wie mich. Wenn der Wirtschaft Millionen entgehen, weil es wieder einer weniger ist, ist das mir recht. Als der Krieg vor ca. anderthalb Jahren angefangen hat, war es mir gleich, ob ich jetzt im Krieg gegen irgendwelche Russen verrecken muss oder nicht.
Wenn ich gewusst hätte, wie mein Leben heute sein würde, hätte ich es schon vor vielen Jahren beendet. Es gibt für nichts eine Belohnung. Was einem versprochen wurde, hat sich alles als Lüge herausgestellt. Ob man sich anstrengt oder nicht - der Unterschied ist nicht viel mehr als ein Wimpernschlag.