Escitalopram und 425 mg Passionsblumenkraut - Wirkung unterstüzen?

A
...oder begrenzt ihr dessen Nebenwirkungen.

Ich nehme seit 5 Wochen Escitalopram 10 mg/d gegen eine mittelgradige Depression ein (sofort nach dem (Früh-)erwachen, um die innere Unruhe nicht zu lange in den Tag hinein zu ziehen, vielleicht ist es jedoch besser es anders zu nehmen, z.B. beim Frühstück, das war jedoch bislang bei mir nicht praktikabel, da ich wochenlang unter Appetitmangel, insbesondere früh, gelitten habe).

Persönlich habe ich festgestellt, dass ich besser schlafe (habe vor allem Durchschlafstörungen mit Früherwachen gegen 04.00 Uhr), wenn ich abends 400 mg organisch (Citrat, Glycinat) gebundenes Magnesium nehme.

Das Morgentief (hauptsächlich die Unruhe nach der Medikamenteneinnahme, beim Aufwachen selbst fühle ich mich inzwischen gar nicht mehr so schlecht) puffere ich dadurch, dass ich zusätzlich zu Escitalopram noch zwei Tabletten eines pflanzlichen Sedativums (für den Tag) mit jeweils 425 mg Passionsblumenkraut-Trockenextrakt einnehme. Der Vormittag ist dann weitgehend gerettet, wenngleich dennoch immer noch unangenehm. Am Nachmittag und am Abend geht es mir (inzwischen schon) meistens akzeptabel bis sehr gut.

Wäre interessant, mal zu erfahren, ob und was ihr macht.

04.07.2009 18:13 • #1


G
Ich wäre ja ein bisschen vorsichtiger mit dem Mischen von pflanzlichen Produkten. Auch diese können im Zweifelsfalle hoch gefährlich werden. Ebenso muss man bedenken, dass manche pflanzlichen Stoffe eine Wechselwirkung mit dem Antidepressiva einnehmen können oder diese sogar verstärken können bis hin zum Tod. Ich denke jetzt gerade an so etwas wie dieses Serotoninüberdosis (oder so ähnlich). Ich bin kein Mediziner und kenne mich mit den Mittelchen, die du da so nimmst nicht aus, aber irgendwie sträuben sich mir beim Lesen die Nackenhaare. Ebenso ist es auch nicht so, dass pflanzliche Mittel nicht gefährlich sein können. Nur weil es pflanzlich ist, ist es noch lange nicht unbedenklich. Fliegenpilze und Tollkirsche sind schließlich auch giftig.

Ich unterstütze die Wirkung meines Antidepressiva's mit einer Therapie und einer Veränderung meiner Lebensgewohnheiten. Auch wenn das Letztere der schwerste Teil des Ganzen ist. So sind z.B. Ruhepausen inzwischen eine Pflicht geworden und die tun mir auch gut. Zur Stärkung meines Immunsystems nehme ich noch zusätzlich Zinktabletten (wenn ich sie nicht vergesse). Außerdem versuche ich mich gesund zu ernähren mit viel Obst und Gemüse. Jedenfalls muss ich so keine Wechselwirkungen befürchten.

LG

06.07.2009 20:53 • #2


A


Hallo ava66,

Escitalopram und 425 mg Passionsblumenkraut - Wirkung unterstüzen?

x 3#3


M
Hallo Ava66,
ich finde es widersprüchlich, dass du das antriebssteigernde Antidepressivum mit beruhigenden Pflanzenpräparaten einnimmst, um die folgende Unruhe aushalten zu können. Ist die Einnahme der pflanzlichen Präparate mit deinem Arzt abgesprochen? Ich weiß, dass es bei gleichzeitiger Einnahme von hochdosierten Johanniskrautpräparaten zu dem sog. Serotonin-Syndrom kommen kann. Ob das jetzt bei Passionsblumenextrakten auch zutrifft, weiß ich nicht.

Du schreibst, du nimmst das Escitalopram seit 5 Wochen ein. Eigentlich sollten sich die Nebenwirkungen gemäßigt haben und die antidepressive Wirkung deutlich zu spüren sein. Wenn dies nicht so ist, solltest du über die Medikation mit deinem Arzt sprechen.

07.07.2009 10:05 • #3


M
Mir wurde vom Arzt ein beruhigendes Medikament (Mirtazipin) und ein anregendes (Escitalopram) gleichzeitig verordnet. (30mg Mirtazipin und 10 mg Escitalopram. Ich nehme die Medikamente auch so ein.

Demnach müssten sich zwei ungleiche Medikamente auch schon mal vertragen. Bin natürlich kein Fachmann. Bei mir wechseln sich agitierte mit gehemmten Phasen ab, tageweise.

LG von Mona

07.07.2009 11:31 • #4


A
Die Zugabe des Passionsblumenkraut-Extrak-Präparats ist mit meiner Ärztin abgestimmt. Ich hatte die Ärztin am Anfang (3. Einnahmetag) gebeten, mir etwas zu verschreiben, was mir die Unruhe nach der Einnahme der Escitalopram nimmt, dabei aber eher an einen Benzo gedacht. Sie hat mir jedoch ein Privatrezept auf das pflanzliche Präparat ausgestellt, welches bei mir gut wirkt.

Die antidepressive Wirkung ist deutlich spürbar. Mir geht es die meiste Zeit des Tages jetzt akzeptabel bis gut. Je nach Tagesform bin ich am späten Vormittag bis frühen Nachmittag inzwischen wieder gut beanspruchbar und unternehme auch viel zusammen mit meinen Kindern. Inzwischen bin ich auch fast 6 Wochen auf dem Medikament und hoffe, dass die Symptome in den nächsten paar Wochen komplett verschwinden.

Bei meiner letzten depressiven Episode war ich etwa nach 9..10 Wochen symptomfrei, von einem Tag zum anderen (kein Morgentief mehr und durchgeschlafen). Allerdings ging es mir schon etwa zwei Wochen vor der Remission schon recht gut und die Symptome hatten weitgehend ihre Schrecken verlohren, so wie etwa jetzt bei mir auch.

08.07.2009 17:54 • #5


M
Hallo Ava,

so wie Du es beschreibst, ging es mir nach meiner zweiten depressiven Phase. Ich saß eines abends vor dem Fernsehschirm und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass die Depression weg sei. Ich hatte mich da tatsächlich auch nicht getäuscht. Die Symptome waren zuvor immer mehr in den Hintergrund getreten.

Warum es dieses Mal nicht klappt, ist dem Psychiater und mir schleierhaft. Er meinte, die Dichte der Rezeptoren sei nicht mehr gegeben. Neue Rezeptoren müssten erst wieder nachwachsen. Welche Zeit das beanapruche, könne niemand vorhersehen.

Sei jedenfalls froh, dass es bei Dir so schnell klappt. Stimmt es, wenn ich annehme, dass Deine Depression vorwiegend endogen Anteile hat, aber mitausgelöst durch lebensgeschichtliche Anteile.

Wenn Dir die Beantwortung der Frage zu persönlich ist bin ich auch nicht böse, wenn ich keine Antwort bekomme.

Dir jedenfalls weiterhin gute Besserung

sendet Mona.

09.07.2009 09:56 • #6


A
Ich denke, dass Depressionen bei mir genetisch prädestiniert sind. Sie kommen in meiner Familie nicht gerade selten vor. Meine Mutter litt unter mehreren depressiven Episoden und mein Bruder hatte auch bereits mindestens eine Depression. Auslöser waren jeweils größere Belastungen (Endphase meiner Promotion + Geburt meines ersten Kindes, Trennung von meiner Frau + Arbeitsüberlastung, Arbeitsüberlastung)

Bei mir war es bei der letzten depressiven Episode so, dass ich eine Zahnbehandlung hatte. Es wurde dazu eine Betäubungsspritze eingesetzt, obwohl nicht viel zu bohren war. Ich erinnere mich noch genau, dass ich die Zahnärztin gebeten habe eine Spritze zu geben, da es mir nicht so gut geht und ich jetzt keine Schmerzen haben möchte.

In dem Moment, als die Zahnärztin die Betäubungsspritze einsetzte wurde mir bewusst, dass irgend was anders wurde. Am darauffolgenden Tag gab es kein Früherwachen mehr und kein Morgentief. Die Symptome waren weg. Ich habe mich manchmal danach gefragt, ob es einer der Inhaltsstoffe der Betäubungsspritze war, der die Restsymptomatik beseitigt hat, vielleicht das Lidocain, Mepivacain oder Bupivacain selbst (ist ja alles ähnlich wie Cocain) oder die beigefügten Vasokonstriktoren (z.B. Adreanalin). Ich habe vor ein paar Tagen auch schon überlegt, ob ich einfach zu meiner Routine-Untersuchung gehen soll und meine Zahnärztin um eine Betäubungsmittelspritze (gleiche Inhaltsstoffe wie vor 4 Jahren) bitten soll, um die Reproduzierbarkeit des Ereingnisses zu testen.

Ich wundere mich auch, warum deine Depression, Mona1, nicht remittiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein Psychiater im Verlauf der Jahre schon Dosis, Augmentierung (Methylphenidat, Neuroleptika; S-Adenosyl-Methionine) und/oder andere Medikamente durchgespielt hat, oder?

Das Problem an der Sache ist, dass die Psycho-Pharmakologie der Depression, trotz inzwischen einigermaßen brauchbarer Medikamente, nach wie vor ein Trial-And-Error-Spiel ist. Das behagt mir als Naturwissenschaftler überhaupt nicht. Hier ist meiner Ansicht nach noch viel zu viel Empirie im Spiel. Meine Psychiaterin hat es mir mal erläutert. Der erste Versuch ist üblicherweise ein modernes SSRI wie Citalopram oder Escitalopram bzw. das Medikament, was bei der letzten Behandlung am besten funktioniert hat. Wenn es trotz Dosissteigerung nicht hilft, startet man ein SNRI und macht das gleiche Spiel, dann einen NaSSA. Irgendwann geht man auf die Trizyklika und augmentiert diese. Das ist für mich keine exakte Wissenschaft.

Ich persönlich würde mir wünschen, dass man vor dem Verschreiben eines Medikaments verschiedene Biomarker (z.B. Hormonspiegel und Genom über Blut-, Speichel oder Urinproben) des Patienten abfragt und anhand der Auswertung des Testergebnisses ein oder zwei möglichst nebenwirkungsarme Medikamente auswählt und dann einen Volltreffer landet. Ich weiß, dass am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München (MPIP) ein Genomtest entwickelt wurde und eingesetzt wird, der die Beschaffenheit eines Transport-Proteins der Blut-Hirn-Schranke abfragt. Dieser ist inzwischen auch kommerziell verfügbar. Aber kaum ein Psychiater kennt diesen Test oder setzt ihn ein. Mit diesem Test kann man bestimmen, ob der Patient mit seinem Genom gut oder schlecht auf ein SSRI anspricht. Wenn der Test eine schlechte Response signalisiert startet man (am MPIP) nicht mit einem SSRI um keine wertvolle Zeit verstreichen zu lassen.

Am gleichen Institut wurde ein CRH-Provokationstest entwickelt, welcher bereits nach einer Behandlungswoche mit einem Medikament Aufschluss darüber geben kann, ob der Patient auf das Medikament gut oder schlecht ansprechen wird. Dazu wird dem Patienten vor der Behandlung und nach einer Behandlungswoche das Hormon CRH gespritzt und die ACTH- bzw. Cortisol-Antwort, also die direkte Response des Stress-Regulationssystems (HPA-Achse) des individuellen Patienten gemessen. Die Messwerte können ausgewertet und die Entscheidung zur Weiterbehandlung mit dem Medikament frühzeitig getroffen werden. Ansonsten braucht man mindestens 4..6 Wochen um entscheiden zu können ob das Medikament hilfreich ist.

So stelle ich mir einen guten Anfang bzgl. der Psycho-Pharmakotherapie von Depressionen vor. Erst Diagnostizieren (und zwar wissenschaftlich exakt und mit Biomarker-Tests) und dann behandeln. Kein Arzt würde ohne eine Blutdruckmessung ein Hypertoniemittel verschreiben oder ohne die Bestimmung des Blutzuckerspiegels Insulin verordnen. Genau so müsste es in der Psychiatrie auch laufen.

09.07.2009 15:51 • #7


M
Hallo Ava,

mit großem Interesse habe ich Deine Zeilen gelesen. In mir keimt auch schon länger der Verdacht, dass die Verordnerei der Psychopharmaka oft einem Blindflug gleichkommt . Ich wundere mich immer wieder , warum mein früherer Psychiater, der es bei mir mit 15 mg Mirtazipin belassen hat, nicht mehr unternommen hat. Ich habe ihn gebeten, meinen Medikamentenspiegel zu überprüfen. Antwort: Brauchen wir nicht, Sie sagen doch, dass es wirkt . Als ich ihn geradezu anflehte, mir mein früheres Medikament Venlafaxin dazuzugeben, hatte er Bedenken wegen eines Serotoninsyndroms. Ich habe dann das Venlafaxin auch eine Weile dazugenommen, aber wahrscheinlich viel zu niedrig dosiert. Ich muss dazu sagen, dass ich etwa in dem Alter Deiner Mutter sein könnte, wo man vielleicht etwas vorsichtiger mit den Medikamenten umgehen muss. Aber so etwas?

Ich habe dann den Psychiater gewechselt . In unserer kleineren Stadt ist das gar nicht so einfach, weil jeder Psychiater den anderen kennt. Der jetzige stellte fest, dass ich bisher völlig unterdosiert gewesen sei. Und nun versuche ich es mit der jetzigen Dosis Mirtazipin und Escitalopram weiter. Ich muss zum Glück keinen Beruf mehr ausüben , die Depression hat mich in der ersten Woche des Vorruhestandes ereilt, aber es ist schon eine verfl. Leiderei , das kann ich Dir sagen.

Ich hatte auch ein Erlebnis ähnlicher Art wie Du mit dem Zahnarzt. Ich hatte mir eine Wundrose zugezogen, bekam Antibiotika, und schwups, weg war die Depression, für drei Tage. Ob es nun an den Medikamenten gelegen hat oder ob der Körper nicht gleichzeitig mit zwei Krankheiten leben will, keine Ahnung ! Ich glaube auch nicht, dass mir da jemand eine Antwort darauf geben kann. Das ist alles genau so rätselhaft wie die Depression selbst.

Auch bei Dir scheinen seelische Ursachen die Depression ausgelöst zu haben. Man könnte meinen, Körper und Seele wären eine Einheit. Aber ich kann bei mir nur eine völlige Eigengesetzlichkeit der Depression feststellen, die zur Zeit gar nicht auf lebensgeschichtliche Ereignisse reagieren will.

Nun aber genug geredet, ich fand es riesig nett von Dir, dass Du etwas über Dich erzählt hast, ich wünsche Dir weiterhin gute Besserung, notfalls mit Spritze !!!, pass auf Deine Kinder gut auf

und sei herzlichst gegrüßt von Mona.

09.07.2009 18:17 • #8


A
Es scheint so zu sein, dass bei dir also noch gar nicht so viel bzgl. der Medikation variiert wurde. Unterdosierung ist bei Hausarztversorgung mit Antidepressiva wohl immer wieder ein Problem. Du warst aber doch bei einem Facharzt in Behandlung. Ich hab oft den Eindruck, dass Mediziner im Wesentlichen auf der Basis von Empfehlungen und ihrer persönlichen Erfahrungen agieren.

Es wäre gut, wenn man verbindliche Standards und Algorithmen der Qualitätssicherung in der Psychiatrie durchsetzen würde. Insbesondere auf dem Gebiet der Diagnostik und der daraus abgeleiteten Pharmakotherapie scheint mir einiges im Argen zu liegen. Das Problem ist, dass die Medizin sich selbst eher als empirische Wissenschaft bzw. Kunst (Heilkunst) versteht, so dass evidenzbasierte Behandlungsansätze schwer zu etablieren sind.

Zitat von Mona 1:
Man könnte meinen, Körper und Seele wären eine Einheit.


Die depressive Symptomatik an sich ist ein rein körperliches Geschehen. Das, was wir als Seele bezeichnen, ist ja letztlich das Geschehen, welches uns unsere Biochemie des Gehirns zubereitet, also ebenfalls körperlich. Pharmakotherapie und auch Psychotherapie wirkt ja vor allem dadurch, dass sich nach und nach in der Gehirnchemie etwas tut, was man sogar mit bildgebenden Verfahren (PET) darstellen kann.

10.07.2009 07:52 • #9


M
Hallo AVA wenn es Dich hier im Forum noch gibt,

vielleicht liest Du hier ja noch mit. Wie geht es Dir inzwischen? Geht es weiterhin bergauf bei Dir?

Um noch einmal auf Deinen Beitrag zurückzu kommen. Mein Psychiater bezeichnet die Depression auch als körperliche Erkrankung. Schwer vorstellbar, dass unser Gehirn zumindest überwiegend nur durch Chemie gesteuert sein soll, Und trotzdem kann eine Beeinflussung durch Psychotherapie möglich sein. ( Bildgebendes Verfahren). Das ist schon sehr bemerkenswert.

Ich will ja nichts gegen die hochheilige Wissenschaft sagen. Aber in Bezug auf die Depression ist alles irgendwie schwammig. Erst ein Depressionsgen, dann wieder keines. Immer wieder neue Medikamente . Wie Du auch schreibst, Voruntersuchungen gleich Null.

Ich habe das unlängst bei meinem Psychiater angeprochen. Seine Antwort hat mich fast umgehauen. Er sagte, bei Leuten, die einmal eine schwere Depression entwickelt haben, gemeint war ich, würde sich im Anschluss an die Genesung oftmals noch eine Neurose aufpropfen. Ich fragte, Wie meinen Sie das? Er darauf, der Charakter verändert sich. Das habe ich noch nie gehört.
Ach Du meine Güte, jetzt bin ich 60 + und soll nun auch noch neurotisch werden ? Hast Du schon dergleichen gehört oder noch jemand anders? Mich beschäftigt das ganz schön.

Liebe Grüße von Mona.

16.07.2009 14:19 • #10


A
Hallo Mona1,

Mich gibts noch. Hatte einige sehr harte Tage durch äußere Einflüsse in Form von heftigem Ärger, der wahrscheinlich auch einen Gesunden locker umgehauen hätte, aber es geht wieder voran.

Ich denke mal, es gibt zwei Grundprobleme bei der pharmakologischen Behandlung von Depressionen:

1. Kine sinnvolle (somatisch basierte) Diagnostik. Das gegenwärtige Regelwerk beschreibt ja eigentlich eher die Störung anhand äußerlicher Kriterien (leicht, mittelgradig, schwer, rezidivierend, chronisch, mit oder ohne Psychose (was das vor allem soll frag ich mich ernsthaft)).

2. Keine direkt wirkenden Medikamente. Alle gegenwärtig auf dem Markt existierenden Medikamente (bis auf Tianeptine) funktionieren über Anreicherungseffekte von Neurotransmittern. Das dieses Konzept nicht wirklich gut funktioniert, zeigen schon die langen Wirklatenzen. Aber auch das Konzept Tianeptine ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es macht genau das Gegenteil eines SSRI und ist dennoch antidepressiv wirkungsvoll. Auf gut deutsch: Monoamin-Anreicherung (oder dessen Gegenteil) im synaptischen Spalt ist kein direkter antidepressiver Mechanismus, sondern wirkt über sehr weite Umwege.

Manchmal hab ich den Eindruck, dass jeder Wirkstoff bei dem einen oder anderen potentiell antidepressiv wirkt, wenn er nur genügend Wirbel im Gehirn veranstaltet (möglichst ohne dabei den Patienten vor Angst unter die Decke zu jagen). Die physikalischen Verfahren (EKT, TRM) machen ja im Prinzip das gleiche, wirken auch nicht bei jedem, aber bei denen, wo sie wirken, da wirken sie meist ganz gut. Es ist also im Prinzip egal, ob man chemisch oder physikalisch (oder mit Psychotherapie) das Gehirn durchschüttelt.

Die eigentlichen antidepressiven Effekte hat man noch nicht wirklich effektiv im Griff. Ich träume von einem Medikament, welches eine Depression innerhalb weniger Stunden wegblasen kann und kaum Nebenwirkungen hat. Das muss keine Utopie sein. Die chemischen Prozesse im Körper und im Gehirn kann man innerhalb von wenigen Minuten beeinflussen. Ein Benzo wirkt innerhalb von 10..20 Minuten. Das gleiche kann theoretisch auch ein Antidepressivum, wenn man genau wüsste, wo man ansetzen kann (oder es durch Zufall herausfindet, wie meistens in der Pharmakologie). Solche Antidepressiva werden keine Blockbuster sein, es sei denn man findet einen wirklich zentralen und schnell und mit wenig Nebenwirkungen zu beeinflussenden Hebel, der universell bei jeder Depression funktioniert (mit heftigen Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotential gibts das schon, z.B. eine Ketamin-Injektion). Ich vermute aber eher, dass es vielleicht eine Handvoll verschiedene Mechanismen gibt, an die man schnelle Wirkungen koppeln kann und die individuell verschieden sind.

Deshalb muss eine somatisch basierte Diagnose her. Am besten eine, aus der eine konkrete Behandlungsstrategie hinsichtlich der zeitlichen und chemischen Abfolge resultiert.

Sinnvoll wäre z.B. solch eine Beschreibung: mittelgradige Depression aufgrund extrem hoher Morgen-Cortisolwerte, hervorgerufen durch eine Übererregung von CRH-Rezeptoren, Auslöser ist ein persönliches Trauma (Ehekrise). Behandlungsempfehlung: Akutbehandlung 1 Tag Medi x, Erhaltungstherapie Medi y

oder: schwere Depression aufgrund eine Überaktivierung der Nebennierenrinde, hervorgerufen durch eine hormonelle Fehlsteuerung, kein äußerer Auslöser
Behandlungsempfehlung: Akutbehandlung 2 Tage Medi z, Erhaltungstherapie Medi soundso

Ich denke auch, dass man sich die existierenden schnell antidepressiven Konzepte mal genauer unter die Lupe nehmen müsste. Was passiert beim Schlafentzug, was bei einem SSRI nicht passiert? Was macht Ketamin, was ein SSRI nicht kann? Offensichtlich kann man die Cortisol-Ausschüttung (also dass, was die Depressions-Symptomatik hervorruft) in Stunden normalisieren, wofür ein SSRI einige Wochen braucht. Ergo, ein SSRI ist einfach zu weit weg vom wirklichen Eingriffspunkt. Kann man die Effekte anders (chemisch oder physikalisch) hervorrufen? Kann man die Effekte über lange Zeit erhalten und stabilisieren?

Was mich persönlich faszinieren würde, wäre ein Antidepressivum, welches gar nicht im Kopf wirkt, sondern direkt an der Nebennierenrinde. Warum hat das noch keiner versucht? Das Cortisol, welches die Symptome herbeiführt, kommt ja nicht aus dem Gehirn. Wozu muss man im Gehirn herumrühren, wenn man auch eine andere Stelle addressieren könnte. Chemie, die im Kopf wirkt, hat meistens auch Nebenwirkungen im Kopf (z.B. Angst, innere Unruhe), welche gerade bei einer Depression eher unangenehm sind. Das könnte man mit einem Körper-Antidepressivum leicht umschiffen.

17.07.2009 21:14 • #11


M
Zitat von ava66:
ich träume von einem Medikament, welches eine Depression innerhalb weniger Stunden wegblasen kann und kaum Nebenwirkungen hat.

Was für eine schöne Vorstellung ...
Aber meines Erachtens ist das eben nicht so einfach. Eine Depression ist eben weit mehr als eine chemischen Störung im Gehirnstoffwechsel. Viele psychische Faktoren spielen eine Rolle. Gerade deshalb funktioniert wohl auch eine Psychotherapie.

Was machst du eigentlich Ava66? Wenn ich deine Postings so lese, da schwindelt es selbst mir im Kopf. Bist du ein Pharmavertreter? Betreibst du selbst fachliche Studien zur Depression? Woher beziehst du diese detaillierten Informationen, die kaum einer versteht??

18.07.2009 11:09 • #12


M
Hallo

Danke AVA, für Deine Ausführungen. Ich habe sie mir ausgedruckt.Da ich mich die letzten drei Jahre sehr viel mit demThema Depression beschäftigt habe, kann ich vieles von dem nachvollziehen, was über die Chemie der Depression geschrieben wurde. Missi, AVA ist Naturwissenschaftler, vielleicht rührt von daher die Gründlichkeit.

Ich neige auch idazu, alles erklärt haben zu wollen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Der Ruhestand verführt ja geradezu dazu. Und, über das Thema Depression ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.

Ich bin der Meinung, dass man zumindest bei einigen Depressionen, die starke körperliche Komponente nicht unterschätzen sollte. Dass ist umso bemerkenswerter, als sie durch seelische Ursachen oft ausgelöst werden und auch dann noch fortbestehen, wenn eine seelische Beruhigung längst wieder stattgefunden hat. Ich kann da aber nur von mir, aber nicht auf andere schließen. Ich glaube aber auch, dass eine gute Psychotherapie in jedem Falle hilfreich sein kann.

Also, pflegt Eure Stresshormonachsen, AVA, lass Dich nicht durcheinanderwirbeln von äußeren Dingen,

Mona.

18.07.2009 13:15 • #13


A
Zitat von Missi:
Zitat von ava66:
ich träume von einem Medikament, welches eine Depression innerhalb weniger Stunden wegblasen kann und kaum Nebenwirkungen hat.

Was für eine schöne Vorstellung ...
Aber meines Erachtens ist das eben nicht so einfach. Eine Depression ist eben weit mehr als eine chemischen Störung im Gehirnstoffwechsel. Viele psychische Faktoren spielen eine Rolle. Gerade deshalb funktioniert wohl auch eine Psychotherapie.

Es ist nicht so einfach, weil man nach wie vor nicht (annähernd) vollständig verstanden hat, was bei einer Depression chemisch alles passiert. Es gab viele Hypothesen:

1. Zu geringe Monoaminspiegel
2. Rezeptor-Modifikationen
3. Deregulation der HPA-Achse

Meiner Ansicht nach sind 1. und 2. chemische Folgeerscheinungen von 3. Weiterhin glaube ich, dass man eine Depression schon dann behandeln sollte, wenn es Anzeichen für eine Deregulation der HPA-Achse gibt (z.B. zu hohe Morgen-Cortisol-Werte). Man sollte also nicht erst warten, bis Symptome da sind. Den Cortisol-Spiegel kann man z.B. im Speichel messen. Also z.B. bei stressreichen Events morgens auf einen Teststreifen oder noch besser auf den Sensor eines kleinen Messgeräts (vielleicht wie ein Fieberthermometer, Depressionmeter) spucken und den Wert ablesen. Wenn der Cortisol-Spiegel signifikant erhöht ist, sofort ein Antidepressivum nehmen, also noch bevor Symptome, wie z.B. Schlaflosigkeit, Morgentief, Stimmungsverschlechterung da sind. Am besten gleich eins, welches direkt die CRH-Rezeptoren blockt, die wirken innerhalb von wenigen Tagen (zumindest in den ersten klinischen Versuchen, es gibt ja bisher noch keine marktreifen CRH-Rezeptor-Antagonisten).

Im Max-Planck-Institut für Psychiatrie nähert man sich dieser Methodik schon mit dem Dex/CRH-Test* an, allerdings erst, wenn das Kind schon im Brunnen ist um bei (mehr oder weniger behandlungsresistenten) Depressionen innerhalb einiger Tage zu checken, ob das Medikament wirksam ist, bevor man dies in der abklingenden Symptomatik erkennt. Man kann in dieser Weise etwa ein Medikament pro Woche auf seine Wirksamkeit testen und Versager schnell und nebenwirkungsarm wieder absetzen.

* http://www.mpipsykl.mpg.de/research/the ... index.html

Den Begriff psychisch muss man wahrscheinlich definieren und ich glaube, dass ich darunter etwas anderes verstehe, als du, Missi. Was ist die Seele? Meiner Ansicht nach ist das, was wir als Seele bezeichnen, chemische Prozesse welche uns Wohlbefinden bzw. dessen Gegenteil und alles dazwischen zubereiten. Diese innerlichen Prozesse müssen wir von den äußeren Stress-bzw. Belastungs-Prozessen trennen. Letztere wirken individuell verschieden auf die inneren psychischen Prozesse ein.

Eine Depression ist nichts anderes als deregulierte chemische Prozesse im Gehirn (bzw. im ganzen Körper, es gibt ja jede Menge depressive Aktivität außerhalb des Gehirns, wo ich meine, auch therapeutische Konzepte ansetzen zu können). Psychotherapie wirkt letztlich auch chemisch. Das kann man z.B. auch mit PET zeigen. An der Universität Zürich wird speziell bei alten Menschen auch die Wirkung der psychotherapeutischen Behandlung evidenzbasiert über PET kontrolliert**. Auf diese Weise kann man besser den Behandlungserfolg kontrollieren und ist nicht nur an die äußerliche Symptomatik gebunden.

** http://www.henrikewolf.de/

Ein schnell wirkendes Antidepressivum erscheint mir nicht zu weit weg, allzumal es so etwas ja auch schon gibt, blos eben nicht in besonders verträglicher Form***. Man müsste das ganze jetzt eigentlich intensiv studieren und ein ähnliches Medikament wie Ketamin entwickeln, welches das gleiche leistet, jedoch nicht abhängig macht und psychotische Nebenwirkungen generiert. Den Wirkmechanismus glaubt man verstanden zu haben (NMDA-Rezeptor-Antagonist).

*** http://www.focus.de/gesundheit/news/dep ... 13215.html

19.07.2009 18:39 • #14


M
Hallo Ava,

wie geht es Dir inzwischen?
Hast Du schon einmal das Cortisol messen lassen? Kann man das auch über ein Blutbild feststellen lasen ?

Ich wünsche Dir, dass es weiterhin aufwärts geht
und grüße Dich herzlich

Mona.

29.07.2009 09:29 • #15


A
Mir gehts von Tag zu Tag besser. Nahezu symptomfrei, wenn man von Kopfschmerzen und etwas Konzentrationsstörungen absieht, obwohl die äußeren Umstände momentan nicht die günstigsten sind (persönlich ziemlich übler Stress und auch seit zwei Wochen wieder beruflich tätig und es gibt da viel zu tun).

Was die Medi-Unterstützung betrifft. Ich nehme inzwischen nur noch mein Multi-Vitamin und noch eine hochdosierte Fischölkapsel morgens und abends.

31.07.2009 19:35 • #16


M
Hallo Ava,

ich freu mich für Dich, dass es gesundheitlich so schnell bei Dir vorangeht. Bin aber ein bisschen wehmütig, weil es bei mir nicht so recht klappen will.

Ich habe vierzig Berufsjahre hinter mir. Wenn ich mir so die Zeitungsnachrichten anschaue, leben diejenigen, die sich nicht so hineingestresst haben länger. Das ist mir eigentlich erst jetzt aufgefallen. Also, gib auf Dich Acht! Ist leicht gesagt, ich weiss!

Alles Gute weiterhin von Mona.

02.08.2009 17:20 • #17


A
Naja, dass es mir gut geht ist wohl auch übertrieben. Eigentlich stecke ich persönlich in einer sehr unangenehmen Situation. Die berufliche Arbeit lenkt mich trotz Stress davon gut ab. Ich bin ganz froh, dass mich mein Antidepressiva momentan einigermaßen beieinander behält. Im Moment kann ich gar nicht beziffern, wie lange ich einigermaßen stabil über die Runden kommen werde und wann es mich umhauen wird. Es hängt viel davon ab, wie sich meine persönliche Situation entwickeln wird, wobei ich die meisten Dinge daran nicht in der Hand habe.

Vor einigen Tagen habe ich mich dabei ertappt, mich auf Webpages über Suizid umzuschauen um mir einen praktikablen und schmerzlosen Notausgang zu überlegen, wobei ich in der Tat glaube, dass es mir dabei eher um eine Entscheidung in Abwägung der Bilanz aller positiven und negativen Dinge geht. Sicherlich ist die Sache auch noch von einer gewissen depressiven Grundstimmung geprägt, wobei ich keineswegs den Tod ersehne, im Gegenteil. Momentan lebe ich sogar ganz gern, aber eben eher von Tag zu Tag. Ich genieße das Schwimmen gehen, treffe mich mit Freunden. Aber ich wage nicht zu planen, was in einigen Monaten sein könnte, bzw. ob ich mit meinen Kindern noch das nächste Weihnachtsfest feiern werde.

So siehts aus.

06.08.2009 19:23 • #18


A


Hallo ava66,

x 4#19


M
Hallo AVA,

Depression ist eine tückische Krankheit. Du hast sie schon zweimal wieder losbekommen.
Wenn sie sich das dritte Mal löst, schauen viele Dinge wieder anders aus. Auch die persönlichen Dinge.

Das wünsche ich Dir, Mona.

08.08.2009 09:46 • #19

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