Hallo an alle!
Ich bin neu dabei und würde ganz gern auch meine Geschichte in die Runde werfen. Bisher habe ich hier viel mitgelesen und den Eindruck gewonnen, in eurem Kreis gut aufgehoben zu sein. Endlich Gleichgesinnte! Und ich habe sehr viel Respekt vor eurem Austausch.
Bitte verzeiht, dass ich meine Story in aller Ausführlichkeit schreibe. Ich klettere dafür extra wieder in die Geschehnisse zurück, um ein möglichst klares Bild für mich selbst zu bekommen und auch euch zu vermitteln.
Ich bin weiblich und selbst als bipolar diagnostiziert und vor Jahren bereits einmal therapiert, in jungen Jahren war ich eher manisch, seit einigen Jahren sehr gemäßigt, das hab ich im Griff. Nun war ich besonders in den letzten zwei Jahren in die Depression gerutscht, eher mittelschwer, aber zuvor hatte es noch nie diese Dimensionen bei mir. Meine Depression habe ich ohne Medikamente ertragen, der Leidensdruck war zu gering. Ich hatte niemals Suizidgedanken und war die gesamte Zeit arbeitsfähig. Und seit Ende letzten Jahres arbeitete ich selbstständig daran, schrittweise wieder aus dem Loch rauszukommen.
Anfang diesen Jahres lernte ich einen gleichaltrigen Mann kennen, als ich in eine lokale FB-Gruppe postete, dass ich keinen Bock mehr auf Depression hätte und Freundschaften finden möchte. Mich erreichten etliche Nachrichten, aber nur seine war auf meiner Wellenlänge. Er hatte eine Krebserkrankung überstanden, nach dem Koma erlitt er einen leichten Hirnschlag, rutschte in eine organische Depression, die kann sich chronisch festsetzen. Das ist erst ein paar Jahre her. Er gilt als austherapiert, bekommt keine Medikamente, kann nur Sport treiben und gesund leben, um die Symptome gering zu halten. Leider ist er nicht arbeitsfähig, obwohl er zuvor eine beeindruckende Karriere als Psychologe in der Forschung begonnen hatte. Natürlich zieht ihn das ins Bodenlose. Krankheit, keine Karriere, keine körperliche Ausdauer im Sport, und sein Selbstwertgefühl in Scherben. Sein authentisches Wesen gefiel mir jedoch von Anfang an. Unser Kontakt begann online und wir spürten, dass wir uns unbedingt kennenlernen, anfreunden wollen.
Er fand sofort einen Zugang zu mir, wir hatten diese besondere, echte Verbundenheit. So nah als hätten wir uns uns schon immer gekannt. Wir mögen nur authentische Menschen, erlebten sehr viel ähnliches in der Vergangenheit. Wir begannen, uns gegenseitig Aufmerksamkeit, Bestätigung und Mut für den Alltag zu schenken. Auf einmal war da dieses Band zwischen uns. Und ich bin mehr als sicher, dass wir beide von Anfang an spürten, dass zwischen uns auch mehr möglich ist. Das Gefühl, jemand Besonderes gefunden zu haben - einfach so mitten im Alltag.
Während er Freunde hat, um sich nicht allein zu fühlen, hatte ich mich von sozialen Kontakten weitestgehend distanziert. Miteinander verloren wir das Gefühl von Einsamkeit. Uns beiden ist gemein, dass wir Beziehungsangst bzw. Bindungsangst generell haben. Wir ließen viele Bindungen in der Vergangenheit einfach abbrechen. Zu Freunden als auch zu Partnerschaften. Ich nannte es von meiner Seite aus verbrannte Erde. Seit ich diese Bezeichnung verwendete, hatte er permanent Angst davor, ich könne ihm so etwas antun. Verlustangst vielleicht? Ich erklärte ihm, dass ich in den letzten Jahren soweit gereift sei, dass ich so etwas nicht mehr tue, sondern Verantwortung übernehme und kommuniziere.
Bei unseren ersten beiden Treffen waren wir mit einer Gruppe Fremder bei einem Stammtisch. Beim ersten beobachteten wir einander nur, beim zweiten Abend umwarb mich ein Typ, den mein Kontakt und ich schon beim ersten Stammtisch gesehen hatten. Ich ging nicht darauf ein, aber blieb höflich im Gespräch, man saß ja kreisum am Tisch. Der Typ ist sportlich, gesund, offen, gutaussehend - gefällt sicherlich vielen Frauen. Aber der Mann, den ich mochte, sah augenscheinlich nur, dass er mit ihm nicht mithalten könne. Eifersucht. Er versuchte sie hinter einem Vorwand zu verstecken und warf mir bei seinem Abschied Vertrauensbruch vor, den er nicht begründete. Das sei es gewesen mit unserem Kontakt. Ich fing aus Hilflosigkeit an zu weinen und wir sahen einander zum ersten Mal tief in die Augen. In seinen sah ich Traurigkeit, Schmerz. Ich fragte ihn, ob er mich küsst, doch er tat es nicht. Traurig bat ich ihn zu gehen.
Natürlich schrieb ich ihm danach, weil ich nicht verstand. Er antwortete, dass durch den Vertrauensbruch keine Freundschaft mehr möglich sei, er nun einen Eindruck hätte, was ich mit verbrannter Erde gemeint haben könne, ich aggressiv gewesen sei, dass ich mich wieder unter Leute bewegen solle und eine besondere Feinfühligkeit und Wahrnehmung besäße. Er hätte ihm sehr weh getan, mich weinen zu sehen. Dann noch ein Leb Wohl und dass er hoffe, wir können nun in Frieden und Würde auseinander gehen. Wenn er mir noch etwas bedeutete, würde ich seine Grenze nun akzeptieren.
In dieser Nachricht schrieb er wiederholt nicht rein, was der Grund für den Vertrauensbruch gewesen sei.
Eigentlich hätte ich direkt schnallen müssen, dass er scheinbar getriggert war. Nur gab er sich mir gegenüber zuvor so stark wie ein Fels und positiv gefestigt, als hätte er seine Depression im Griff und wäre soviel stabiler als ich.
Nach ein paar Tagen schrieb ich ihn noch einmal an, bewusst etwas sachlicher, vorwurfsfrei und selbstliebend. Einen Tag später erklärte er mir in 26 Voicemails am Stück, dass ich ja nicht locker lasse und er sich noch einmal ehrlich erklären wolle. Ich kann euch beschwören, dass ich weder wütend noch aggressiv an diesem Abend war, aber er empfand es wohl so. Zudem solle ich Verantwortung für mein Verhalten übernehmen. In seinen ganzen Nachrichten bekam ich den Eindruck, er hätte Angst vor mir als Frau. Er wisse nicht, wie ich drauf wäre, wenn er sich mal verlieben sollte, dann wiederum wisse er nicht, wie es wäre, wenn wir uns mal zu zweit treffen. Da müsse er ja einem Kumpel Bescheid geben, weil er Angst haben müsse, auf nimmer Wiedersehen vom Erdboden zu verschwinden. Ich verstand nicht, warum er vor mir solche Angst hatte. In denselben Nachrichten zeigte er sich am Ende wieder versöhnlich. Ich entschuldigte mich dafür, ihm irgendwie weh getan zu haben. Er bat mich darum, ihm nicht wieder ein Messer in den Rücken zu rammen und fragte im selben Atemzug, ob wir am nächsten Tag ins Kino gehen wollen, was mich überraschte. Ich musste ablehnen und ihn auf die Tage darauf vertrösten. Aber ab diesem Moment waren wir verbundener, ungezwungener und vertrauter in unserer Kommunikation als davor. Und wie bereits zuvor, war derjenige, der jeden Tag den Kontakt zuerst suchte, immer er.
Wie bereits zuvor konnten wir stundenlang telefonieren, gemeinsam lachen und uns Nonsens erzählen. Er erzählte mehr Geschichten über sich, ich hörte ihm wahnsinnig gern zu. Bei einigen meiner Geschichten bat ich ihn um Zeit, sie später zu erzählen, die er mir gab. Er meinte, wir hätten alle Zeit der Welt. Gleichzeitig ließ er zwischendurch mal anklingen, dass in meiner Vergangenheit wohl noch einiges unaufgeräumt sei, was mich zu diesem Zeitpunkt nicht weiter beschäftigte. So unaufgeräumt empfand ich mich gar nicht, erzählte aber wie gesagt erstmal nicht so viel von mir.
Er war manchmal flirty und wir sprachen oft über die Liebe, er sehnte sich sehr nach bedingungsloser, freier, poetischer und romantischer echter Liebe. Danach, so angenommen zu werden, wie er ist.
Wir beide hatten einen Kessel voll Geschichten aus der Vergangenheit. Mir fiel auf, dass er manchmal etwas abfällig über Verflossene sprach. Und mir fiel auf, dass manche davon ihn immer noch emotional beschäftigten. Eine wollte ihn durch einen Suizidversuch wieder an sich binden, eine Andere hatte zwei Töchter, die er abgöttisch liebte, obwohl es mit der Frau selbst wohl sehr schwierig war. Darauf ging er in dieser Geschichte nicht näher ein. Sie war aber seine letzte Partnerin, vor 2 Jahren. Da war er schon innerhalb seiner Depression. Im Anschluss hatte er nur Affären geführt, sich kurz in die Damen verliebt (oder zumindest ein Gefühl bekommen, das es suggeriert), aber nicht an sie gebunden. Er sagte, er habe immer ein ausschließliches Interesse an einer bestimmten Person, dann nicht mehr und dann ginge er direkt zu nächsten. Wie eine Nut..
Ich hingegen stand ehrlich dazu, in den letzten Jahren nichts geführt zu haben. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm erklärte, dass ich niemandem mehr wie in der Vergangenheit weh tun wollte, und dass ich die Geduld habe, dass mich das Wahre schon finden würde. Dass ich so lange nichts Körperliches hatte, schien ihn zu verunsichern. Während eines anderen Themas, über das wir uns freudig unterhielten, sagte er am Telefon einmal völlig aus dem Zusammenhang gerissen kurz weinerlich: Du wirst mich verlassen, du wirst mir das Herz brechen. Ich sagte zu ihm spaßig, dass ich das nicht tun werde.
Wir trafen uns das erste Mal zu zweit und gingen ins Kino. Wir hatten den Saal fast allein und saßen nah nebeneinander. Keiner von uns konnte sich auf den Film konzentrieren. Er schaute mich die ganze Zeit genau an, machte mich auf kleine Narben in meinem Gesicht aufmerksam und lächelte, das tat ich ebenso. Wir waren völlig nervös, wendeten uns einander zu und lächelten uns immer wieder an, während wir uns tief in die Augen schauten. Er traute sich, mir vertrauensvoll die gesamte Zeit in die Augen zu blicken. Die Luft war voller Spannung. Für mich war völlig klar: Zwischen uns schwingt mehr mit als nur diese tiefe Freundschaft, die sich so schnell und ungezwungen entwickelt hatte. Der Tag, den wir damit begannen, sollte kein Ende nehmen. Wir vergaßen völlig die Zeit und lebten den Moment, gingen spazieren, schaukelten im Park, fuhren in meinen Stadtteil (wir wohnen nur 2km auseinander), spielten Billard. Als der Laden schloss, gingen wir in den nächsten, der noch offen hatte, bis auch dieser schloss. Am Ende fuhr zu ihm kein Bus mehr. Wir standen lange da und blickten einander in die Augen, konnten uns schlecht von einander lösen. Er fragte mich mit schelmischem Blick, ob er nicht mit zu mir könne. Das lehnte ich ab, ich hätte nicht aufgeräumt. So schlimm? Ja.
Nach etlichen gemeinsamen Stunden, die wir an diesem Tag verbrachten, ging er dann nach langem Abschiedsgetaumel zu Fuß heim.
Ich konnte es für mich noch nicht fassen, aber spürte, dass zwischen uns etwas ganz anders ist. Für mich war er besonders. Und er gab mir das Gefühl, ich wäre es für ihn ebenso. Am nächsten Tag teilte er mir mit, wie schön er den Tag mit mir fand und wiedermals, wie besonders ich für ihn sei und dass er sich mit mir nicht einsam fühle.
Die nächsten zwei Tage kommunizierten wir nur wie gewohnt online oder per Telefon. Wir wollten uns am Wochenende wiedersehen. Am eigentlichen Tag sagte er mir ab, weil es ihm körperlich nicht gut ging. Das war für mich kein Problem. Am nächsten Tag schlug er begeistert vor, mit mir wieder ins Kino zu wollen und dies und das zu unternehmen und war begeistert. Ich spürte, wie drängend ihm war, mich zu sehen, aber wie in den Wochen ansonsten auch innerhalb unserer Kommunikation, blieb ich die ruhigere, mit ein wenig mehr Abstand.
An diesem Tag gingen wir wieder ins Kino, nur diesmal war der Saal voll. Er äußerte, dass es ihn ärgert. Neben uns saßen Leute. Wir waren wieder genauso nervös wie beim ersten Mal, aber verhaltener, weil eben nicht allein für uns. Auch an diesem Tag gingen wir im Anschluss spazieren und in ein Teehaus. Tiefe Gespräche, tiefe Blicke. Wenn wir einander anblickten, dann nur einander in die Augen. Irgendwann sagte er völlig aus dem Kontext gerissen: Ich hasse dich!, woraufhin er sofort beschwichtigte, dass es nicht stimmen würde.
Das Wetter war leider sehr mies. Nach einigen Stunden war ich diejenige, die den Abend für beendet erklärte, weil wir sowieso grad an der Haltestelle unserer Buslinie vorbei gingen. Der Abend wäre ansonsten mit Sicherheit wieder endlos geworden. Wir saßen nebeneinander und sahen uns wie Teenager an, mit so einer leichten Erwartung. Eine deutliche Anziehung. Ich hielt es nicht aus, ich stand auf bevor meine Haltestelle erreicht war. Fragend schaute er mich an. Ich beruhigte ihn, ich wolle nur stehen. Zum Abschied streichelte ich ihm über den Kopf.
Als ich zuhause war, konnte ich es kaum ertragen: Ich wollte wissen, ob er sich von mir ebenso angezogen fühlt wie ich von ihm. Ich wollte einfach wissen, ob ich mich strikt auf Freundschaft fokussieren sollte oder der Anziehung nach mehr mit ihm nachgeben dürfe. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich darin für mich Klarheit. Ich schickte ihm eine Sprachnachricht, dass ich eigentlich im Bus überlegt hatte, ob er nicht noch zu mir mitkommen wolle, aber dann doch dachte, das wäre zu schnell zu persönlich. Und ich sagte ihm auch, dass ich im Kino gern meinen Kopf an seine Schulter gelehnt hätte.
Er antwortete, dass er immer die Zeit vergisst und nie an den nächsten Tag denkt und eigentlich mit mir gern wieder Billard gespielt hätte, aber sich nicht zu fragen traute. Es sei gut so, sonst hätte er nicht geschafft, seine Wäsche zu waschen.
Ich fragte ihn, ob ihm der Abend ebenso gefallen hätte wie mir. Daraufhin erwiderte er, was die Frage nun schon wieder solle und ja, dass er den Tag auch wieder schön mit mir fand. Ob ich so unsicher sei, dass mich jemand grässlich finden könne. Ich entgegnete, dass ich sicher sei, dass ich ihn mag. Er fragte, ob ich generell bei Menschen unsicher sei bzw es nicht einordnen könne, wie sie mir gegenüber stehen. Ich sagte, nur wenn ich mich in einem Umfeld unwohl fühle oder im Gegenteil: zu wohl. Eigentlich wollte ich ihm damit nur deutlich signalisieren, dass er mir in jeder Hinsicht gefällt. Daraufhin kam von ihm an diesem Abend nichts mehr.
Am Tag darauf musste ich ihn von meiner Seite aus anschreiben. Ich wollte mich für zwei Nebensächlichkeiten, über die wir abends sprachen und denen ich meinerseits vielleicht nicht genug Aufmerksamkeit entgegen gebracht hatte, entschuldigen. Er antwortete, müde vom Training zu sein, aber dass er gleich mit dem Bus an meinem Stadtteil vorbei käme und wir uns kurz für 10 Minuten zum Reden treffen können. Er wirkte kühl.
Da wir keine Bar zum Unterhalten fanden, gingen wir Billard spielen. Aus 10 Minuten wurden dort 2 Stunden. Er wurde dort mir gegenüber ruhiger, entspannter und wieder teilten wir diese tiefen Blicke, Spannung zwischen uns. Ich erwähnte die beiden Dinge, die ich sagen wollte. Daraufhin meinte er, dass er auch noch mit mir über etwas reden wolle.
Nach dem Billard standen wir draußen. Er bat mich, mit zu mir zu kommen. Wir schauten einander schweigend an, ich stimmte zu.
In meiner Wohnung wirkte er anfangs etwas unsicher. Obwohl ich aufgeräumt hatte, mäkelte er hier und da rum. Danach ließ er sich auf meinem Sofa nieder, er fror trotz der Heizung, ich gab ihm eine Decke. Wir unterhielten uns, ich erzählte ein paar zu diesem Zeitpunkt unaufgearbeitete Dinge aus meiner Vergangenheit, die nicht schlimm waren und mit denen ich gut klar kam. Er lehnte sich an mein Sofa und wir schauten einander wieder nur tief an. Dann nahm er mit beiden Händen auf einmal meine Hände in seine als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Er streichelte sie, ließ sie nicht mehr los, blickte mich sehnsüchtig an. Irgendwann zog er mich an sich und wir lagen eng umschlungen da. Unsere Verbundenheit war so stark und natürlich zu spüren. Wir erzählten uns einfach weiter Dinge, er erklärte mir, wie bedeutsam ich ihm seit Anfang an war. Es fühlte sich so an als hätten wir nie etwas anderes gemacht, ich fühlte mich in diesem Moment bei einem Menschen angekommen. Während wir uns streichelten kam es zu einem ersten kurzen Kuss. Ich spürte, dass er wollte, ihn aber etwas abhielt und fragte ihn, ob dies seine Grenze sei. Er entgegnete, dass er das nicht einknicken lassen dürfe. Ich verstand nicht. Dann sagte er, dass er mich ja nach dem einen Abend in der Kneipe habe weinen sehen. Und er könne keine weinenden Frauen ertragen. Er führte aus, dass er Angst vor Frauen habe, vor allen Frauen. Angst um seine Freiheit, Angst davor, wie es einem Freund von ihm geht, der nun alleinerziehend sei. seine Ex (die mit den Töchtern) sei seine behandelnde Ärztin gewesen, sie hätten On/Off geführt, er habe aus seiner Wohnung ausziehen müssen, weil er die Erinnerungen nicht ertragen habe. Wenn Frauen leiden, würde ihn das fertig machen und dann gibt er nach und lässt sich wieder ein. Seine letzte Affäre, über die er sagte, sie sei einfach dumm, habe ihn noch bis 3 Monate zuvor heulend bedrängt, weil Frauen über ihn sagen, er sei eiskalt, was er angeblich auch tatsächlich sei. Daraufhin saß er dann in seiner Wohnung und es hätte nicht mehr viel zum Suizid gefehlt. Sie würde sich wohl immer noch melden, aber er nicht mehr bei ihr.
Und dann hätte ich ihm auch noch gesagt, wie lange ich nichts Körperliches mehr mit einem Mann hatte, ich hätte ihm das nicht sagen dürfen. Ich sei doch so besonders. Und wieder sein Freiheitsbedürfnis - es sei ein Geben und Nehmen. Das war das Thema, über das er mit mir reden wollte. Gleichzeitig wollte er es auch nicht totreden, weil man ja einfach laufen lassen könne. Ich wünschte, ich hätte den Ernst der Lage erkannt und könnte den kompletten Dialog in meinem Kopf noch abrufen - es sind nur diese wenigen Satzfetzen da.
Ich saß da, hörte es mir an, verstand aber nicht, was das alles mit mir zu tun haben sollte. Ich sagte ihm, ich würde nicht wieder vor ihm weinen. Hatte er denn nicht verstanden, dass ich genauso beziehungsängstlich war, dass mir meine Freiheit genauso wichtig war, dass ich nicht direkt in eine Beziehung einsteigen will, ohne es wachsen zu lassen? Ich hatte in ihm doch eigentlich dasselbe passende Nähe-Distanz-Bedürfnis entdeckt, wie ich es selbst in mir trage. Warum verglich er mich mit anderen Frauen? Warum vertraute er mir denn nicht? Sonst tat er es doch auch.
Wir kuschelten weiter, wir wollten diese Nähe so sehr. Wieder schauten wir einander an. Ich sagte ihm, dass ich seine Grenze nicht überschreiten würde, wenn er es nicht wolle. Er zog mich an sich, schaute mich in einer seltsamen Mischung aus Ängstlichkeit und Sehnsucht tief an und sagte: Du wirst mich töten! Ich bat ihn erneut um sein Vertrauen. Danach küssten wir uns. Er fluchte: Schon wieder keine Freundschaft! Danach küssten wir uns wieder. Er hielt mich einfach ganz fest und ich streichelte seine Stirn. So verging der Abend, bis ich ihn zum Bus brachte. Am Bus zog er mich wieder an sich, ganz nah, wieder küssend. Wir lächelten wie verliebte Teenager. Als der Bus kam, sagten wir, wir sehen uns die Tage.
Als ich heim kam, fühlte ich mich erfüllt, glücklich, frei. Aber ich wollte es nicht überbewerten. Vielleicht würde es Freundschaft+. ich hatte noch keine Möglichkeit, das für mich zu sortieren.
Ich schrieb ihm noch, wie gut sein Haargel riecht. Am nächsten Morgen bedankte er sich in einem Satz dafür. Er würde es seinem Friseur ausrichten. Dann kam nichts mehr. Spätabends schickte ich ihm eine Voicemail, dass ich am Tag darauf früh zur Arbeit aufstehen müsse. Falls er noch Lust zum Quatschen hätte, könne er sich ja melden. Nichts.
Am nächsten Morgen hörte er die Nachricht ab, antwortete, er habe den ganzen Tag geschlafen und ja, am heutigen Abend könne man ja quatschen oder so. Ich antwortete, dass ich mich abends nach der Arbeit melde. Ich tat es, er hörte es nicht ab. Stattdessen ging er bereits am Mittag auf allen Kanälen offline, am nächsten Tag war er es ebenfalls. Ich machte mir Sorgen, das war nicht seine Art. So langsam bekam ich Angst, er könne sich etwas antun, in meinem Kopf geisterte Du wirst mich töten. Abends textete ich ihm, dass ich ihn nicht in seinem Rückzug stören wolle, weil er wohl derzeit nicht mit mir reden wolle, ich mir aber Sorgen mache, ob bei ihm alles okay wäre. Dass ich hoffe, dass er eine gute Zeit hat und ich immer für ihn da sei.
In dieser Nacht schrieb ich ihm einen Brief. Darin verfasste ich, wie ich den Abend unseres Kusses erlebt habe, dass es sich für mich wie Heimkommen angefühlt habe. Dass ich ihn so sehr als ganzen Mann wahrnehme, mit allen seinen positiven und negativen Seiten. Und dass er mich an diesem Abend in seinen wahren fragilen Kern habe blicken lassen. Dass mir unsere Freundschaft so verdammt viel bedeutet, egal in welche Richtung sie sich bewegt, ob wir miteinander schauen, wohin uns das führt oder ob wir uns miteinander freuen, dass wir die passenden Partner finden. Ich würde an seiner Seite bleiben, aber mir grad Sorgen machen, weil mir bewusst sei, er könne die Sache ganz anders wahrnehmen.
In dieser Nacht schlief ich nicht. Als er am nächsten Mittag noch nicht wieder aufgetaucht war, versuchte ich ihn anzurufen. Kein Durchkommen. Wenige Stunden später bekam ich von ihm 6 Sprachnachrichten. Anfangs war er eiskalt, danach bemerkte ich in seinem distanzierten Tonfall, wie schwer es ihm fällt.
Es täte ihm Leid, dass er sich erst jetzt melde, aber er könne unsere Freundschaft nicht weiter führen. Schon bei der Heimkehr am Abend unseres Kusses habe er gemerkt, dass es ein Fehler gewesen sei. Er habe viel geschlafen, starke körperliche Beschwerden bekommen, Übelkeit, sich nicht fit gefühlt. Er habe an unserem Abend etwas einbrechen lassen, was er eigentlich nicht habe einbrechen lassen wollen. Er wolle damit aussagen, ich solle weiter in Bewegung bleiben. Er fände es schade, mich als Freund zu verlieren, aber anders sei es ihm nicht möglich. Die Welt solle mich nicht als Freund verlieren, ich solle mich nach dem ersten negativen Erlebnis nicht wieder daheim einigeln. Ich solle mich mit anderen Menschen treffen und weiter in Bewegung bleiben. Er täte ihm Leid, er habe das so nicht kommen sehen.
Und es sei nicht nur ein Fehler gewesen, ihm sei es tagelang richtig dreckig gegangen. Ihm sei sogar übel gewesen. Und ich solle das bitte nicht falsch verstehen. Ihm sei nicht übel gewesen, weil er sich vor mir geekelt hätte - im Gegenteil, er habe etwas gemacht, was er so nicht wollte und was er aus der vorangegangenen Zeit schon kannte, als er etwas ähnliches tat, wobei ihm dieses üble Gefühl aufkam. Und das wollte er gar nicht und habe jetzt ganz viel logetriggert. Er sei immer noch schlapp vom Gefühl der letzten Tage.
Die ganzen Zweifel, die er nach dem Eskalationsabend in der Kneipe gehabt habe, seien bei unserer Zeit und den Treffen danach wie weggeflogen gewesen. Er habe Vertrauen zu mir aufgebaut und sei nicht das, was er zuvor befürchtet habe. Ich sei ein wahnsinnig toller Freund und toller Mensch und deswegen bitte er mich, nicht die Flinte ins Korn zu werfen, auch wenn es so beschissen für mich endet. Ich solle nicht das Vertrauen verlieren, dass es wieder gut zwischen mir und anderen Menschen werde. Ich sei vertrauenswürdig und berechenbar.
Nur sei es so, dass es sich wie mit einem Glas trüben Meerwasser verhalte. Wenn es lange steht, sei es klar und einfach, wenn es wieder in Bewegung käme, würden die ganzen Trübstoffe von unten nach oben kommen und es würde dauern, bis es auch in Bewegung wieder klar wäre. Und es seien diese Trübstoffe an mir, und ich käme nicht umhin, das zu meinem Ziel zu machen. Dass ich mich wieder bewege, würde nicht ohne ablaufen. Es würden vielleicht weitere Enttäuschungen kommen, aber am Ende würde ich Erfolg damit haben und wieder glücklich sein.
Und natürlich sei da diese Spannung zwischen uns. Das sei alles überhaupt kein Problem und ich habe da auch nichts falsch gemacht, nur könne er das nicht. Dass ich es mir mit einer Beziehung am Ende offen lassen würde, sei vollkommen legitim, aber diesmal sei es bei ihm so gewesen, dass er wirklich eine Beziehung ausschließen möchte.
Ihm ginge es gerade erst wieder gut, so dass er rausgehen und wieder neue Dinge ausprobieren könne, aber das stünde auf wackeligen Füßen. Er fand es erschütternd zu sehen, dass er wohl wieder die gleichen Fehler machen könne. Natürlich sei er anfällig für Zweisamkeit, auch wenn er nicht richtig verliebt sei. Er könne wohl das Gefühl bekommen, aber dem sei dann nicht so - was ja auch nicht schlimm sei. Andere Leute treffen sich für irgendetwas auf Datingapps, aber bei uns war das nicht so und da seien unterschiedliche Erwartungen und Emotionen für einander drin gewesen.
Vor allem sei bei uns eine tiefe Ebene der Freundschaft und des Vertrauens. Das wäre niemals gut gegangen.
Ich sei sicherlich anfällig dafür, das alles intensiv wahrzunehmen, weil ich ja auch einsam gewesen sei. Wenn wir es so lassen würden, wäre ich nicht offen für einen anderen Mann, den ich vielleicht kennenlernen könnte, weil ich an seiner Seite bleibe in der Hoffnung, dass es zwischen uns zum laufen käme. Und das könne er als guter Freund nicht verantworten.
Er wolle es aber nicht altruistisch darstellen. Er müsse den Kontakt vor allem seinetwegen abbrechen, weil es für ihn viel zu intensiv sei, dafür dass er es eigentlich nur als Freundschaft laufen lassen könnte. Für alles Andere würden die Gefühle vielleicht nicht ausreichen, aber es könnte trotzdem dahin laufen. Das sei das Problem.
Er habe sich wahnsinnig unfrei gefühlt, auch wegen der Verantwortung, dass dann vielleicht viel laufen würde. Er habe sich schlecht gefühlt nach dem Abend, ihm war übel, er war fertig. Er habe sich wie eine Nute gefühlt und das wolle er nicht. Und er wolle das auch mir nicht antun. Er kann, er kann, er KANN die Freundschaft leider nicht weiterführen. Aber er wolle mir sagen, dass ich recht hatte: Er habe mir vertraut.
Es war Valentinstag.
Das alles klang überhaupt nicht so wie das, was er mich zuvor hat spüren und wissen lassen. Vor allen Dingen hatte ich den Eindruck, dass er mich als abhängig und bedürftig wahrnahm. Dabei war ich diejenige, die bis zum Abend, ab dem ich es einfach wissen wollte, ob zwischen uns auch mehr geht, immer ein bisschen mehr auf Distanz blieb, noch nicht zu viel über mich erzählte, ihm eher zuhörte. Er gab mir ja das Gefühl, wir hätten alle Zeit der Welt.
Ich nahm den Brief, den ich in der Nacht zuvor geschrieben hatte, fuhr hoch zu seiner Wohnung, deren Adresse er mir nie genau gab, aber genau beschrieb, wo das Haus steht. Ich klingelte in der Hoffnung, dass er nicht öffnet und ich den Brief in den Briefkasten werfen kann. Nur wollte ich nicht, dass er mich eventuell aus einem Fenster sieht, ohne dass ich geklingelt hätte. Er öffnete und wir standen einander gegenüber. Sofort schauten wir uns wieder in die Augen. Ihm war anzusehen, dass er sich seit Tagen hat gehen lassen.
Er sagte, er habe es nicht anders gekonnt. Ich bat um ein letztes Gespräch. Er war kalt und distanziert, wollte es aber sofort draußen führen, ich solle dort warten. Draußen wollte ich weglaufen. Ich ahnte, dass ich ihn durch meine Anwesenheit überforderte, dass ich seine Grenze überschritten hatte und ich wollte nicht, dass wir uns schlimm verstricken.
Er kam raus, wir saßen auf einer Bank, einander zugewandt, Er blickte mir in die Augen, mit einer Mischung aus Angst und Schmerz. Wir redeten eine Stunde. Ich sagte ihm, dass ich nicht verstehe, warum wir den Kontakt abrechen müssen. Immer wieder sagte er, ich solle seine Nachrichten hören und würde es in ein paar Tagen verstehen. Ich dachte die ganze Zeit, es sei nur die Bindungsangst und fragte tatsächlich, warum wir nicht einfach F+ führen können, woraufhin er dann meinte, warum ich genau diese Frage stellen würde. Ich merkte, dass ich ihn in die Enge trieb. Ich meinte ganz offen, ob er jetzt einfach wolle, dass die Nächste kommt, beide einander weniger wertschätzen und er dann einfach locker etwas mit ihm führt ohne die Intensität, die wir haben. Er antwortete, dass wir nie wieder miteinander reden dürfen, weil die Anziehung und Intensität immer zwischen uns seien würden. Ich fragte, wie er denn jemals eine ernsthafte Beziehung führen wollen würde ohne diese Intensität. Daraufhin sah er mich angstvoll an.
Er sagte, er wolle mir keine Hoffnung machen. Er wolle das mit mir, aber könne nicht in dieses Feuer steigen. Man könne auch nicht zu einem Einbeinigen sagen, er solle einen Marathon laufen. Er sei mit mir überfordert.
Wir beide hatten feuchte Augen, aber niemand weinte. Es war ganz klar, dass sich niemand vom Anderen lösen wollte, aber er sagte, es ginge nicht anders, er könne nicht anders. Ich sagte, ich wolle ihn nicht verlieren. Daraufhin entgegnete er sofort, er mich doch auch nicht. Er würde mich doch auch vermissen. Ich sagte wieder, dass andere Leute glücklich wären, eine so wichtige Verbindung zu einem Menschen für sich gefunden zu haben. Ja, sagte er, aber bei uns dürfe es nicht sein.
Ich fragte ihn, ob er mich nun überall blockieren und mich bei FB entfreunden würde. Daraufhin schaute er mich ängstlich an: Ob er das müsse? Ich sagte nein, ich wolle ja, dass er sich meldet. Er schüttelte mit traurigen Augen den Kopf. Er sagte, er hängt sich an Menschen, ich würde ihm nicht egal werden. Am Ende umarmten wir uns, ich küsste ihn auf die Wange. Langsam ging er in seine Wohnung, ich stand da und sah ihm nach, bis ich selbst ging.
Ich dachte in diesem Moment tatsächlich nur an seine Bindungsangst und fragte mich, ob er denn nicht verstanden habe, dass ich ebenso ängstlich vor Nähe bin. Nach 2 Tagen schrieb ich ihm also eine feige Mail, in der ich mich unter Wert verkaufen wollte. Dass mir die Freundschaft so wichtig sei, ich ihn aber auch als Mann so attraktiv finden würde, dass ich hoffte, wir könnten was lockeres miteinander haben. Nachdem ich sie bei Whatsapp abschickte, bereute ich es schon kurze Zeit später. Er las es vielleicht, keine Reaktion.
Ich sah ihn nach ein paar Wochen im Bus sitzen, als ich an diesem vorbei ging. Er sah mich auch, bekam einen schweren Blick, wischte sich mit der Hand durchs Gesicht.
Es dauerte eine gewisse Zeit, bis ich verstand, dass er neben der Angst auch zurück in seiner Depression war. Auch wenn ich wusste, dass seine Verflossenen ihn wohl damit zurück gewannen, gab ich nichts mehr von mir. Kein Weinen, kein Bitten. Natürlich war ich traurig, er fehlte mir sehr. Aber für mich war klar, dass ich nicht mit Tränen als Druckmittel vor ihm stehen und um ein Weiterführen bitten wollte, wenn ich wusste, er kann es so nicht.
Stattdessen fing ich nach 2 Wochen an, einen Blog zu schreiben. Jeden Tag ein bisschen. Ich schilderte darin alles, was die Leute, die ich zuvor aus meinem Leben strich, nicht über mich wussten. Mein Weg in die Depression, meine Diagnose, meine Bindungsangst, warum ich Freundschaften und Kontakt zur Familie abbrach. Mit allen wichtigen Personen nahm ich nebenbei wieder Kontakt auf, entschuldigte mich, bat um Neuanfang ohne Vorwürfe. Ich räumte auf, auf einmal war die Kraft da, die Selbstliebe.
Auf einmal spürte ich, wie sehr ich diesen Mann liebte. Dass er in mir ausgelöst hatte, mich um mich selbst zu kümmern. Diese ganze Liebe, die ich auf einmal fühlte! Ich investierte sie in den Wiederaufbau von Bindungen zu wichtigen Menschen, ich investierte sie darin, Dinge auszuprobieren, mich jeden Tag besser zu fühlen. Einfach darin, mich selbst zu stärken. Noch nie hatte ein Mensch mich zu so etwas bewegen können.
Was ich in der Ferne mitbekam: In den ersten Wochen konnte er wohl seine Tagesstruktur weiterleben: Täglich zum Sport, ab und zu zum Arzt. Zumindest war das zuvor sein Alltag.
Das Virus kam näher und auf einmal wurde seine Sportstätte geschlossen. Durch seine vorherige Krebserkrankung gehört er zur Risikogruppe. Ich konnte anhand seines Onlinestatus erkennen, ab wann er wohl zuhause in seiner Wohnung bleiben musste. Es tat mir so weh zu wissen, was dieses Einschließen für ihn bedeuten musste. Natürlich hatte ich Angst um seine Gesundheit.
Von ihm kam nichts, von mir kam nichts. Aber nach 3 Jahren der Pause fing ich langsam wieder an, auf meinem FB-Profil Bilder zu posten. Ich wusste nicht, ob er das verfolgt. Seines liegt quasi still. Sein Profilfoto ebenso wie meines nur ein abstraktes Bild von irgendwas.
Nachdem ich 3 Wochen daran geschrieben hatte, postete ich den Link zu meinem Blog mit der Angabe, dass darin stünde, warum ich so viele Jahre nicht habe von mir hören lassen, auf mein FB-Profil. Ich schränkte die Sichtbarkeit so ein, dass nur mir wichtige Leute dies sehen konnten, inklusive ihm. Ich weiß nicht, ob er je darin las. Irgendwie glaube ich es nicht.
Wir waren in einer Nachbarschaftshilfegruppe unserer Stadt. Eine Nachbarin aus der Risikogruppe suchte jemanden zum Gassiführen ihres Hundes. Ich schrieb dort rein, ich würde es gern übernehmen. Später postete ich ein Bild von der ersten Runde mit dem Hund auf mein Profil (ohne Selbstbeweihräucherung).
Am Tag darauf versah mein Kontakt in dieser Gruppe ein paar willkürliche Posts von Leuten mit Likes. Der auf den ich antwortete lag mittendrin, aber wurde von ihm scheinbar nicht beachtet.
In einer weiteren nebensächlichen Gruppe unserer Stadt, in der nur wenige Mitglieder sind, wurde irgendwas architektonisches gepostet. Er kommentierte darunter, dass er hoffe, es würde errichtet, da es mehr Spaß mache in einer pulsierenden Stadt zu leben anstatt in einer konservierenden und permanent alten Zeiten nachtrauert. Ich wusste nicht, wie ich das zu deuten hatte. Normalerweise kommentierte er nirgendwo. Und der Kommentar passte auch nicht zum Post. Aber er wusste, dass ich es lesen kann.
Wieder ein paar Tage später änderte ich zum ersten Mal seit Jahren mein FB-Profilbild mit einem richtigen aktuellen Foto von mir, das ich beim Gassigehen aufnahm. Die Likes darauf waren mir egal. Ich sah aber, dass er entgegen seiner Gewohnheit auf einmal immer für eine kurze Minute online kam, dann lange nicht, und dann wieder. Genau ab dem Ändern des Bildes.
6 Wochen nach dem Abend unseres Kusses schrieb ich ihm eine kurze Nachricht bei FB, obwohl ich Angst hatte, er würde mich blockieren. Ich schrieb ganz sachlich, dass ich ihn nur wissen lassen wolle, dass ich oft an ihn denke und mich frage wie es ihm geht und er klarkommt. Und dass ich mich über Austausch freuen würde, aber verstünde, wenn er das nicht möchte. Dass ich immer seine Freundin sei und es keinen Grund der Welt gebe, ihm das nicht mitzuteilen.
Als er online kam, las er es nach ein paar Minuten. Ging 10 Minuten offline und kam dann den gesamten Abend und den nächsten Tag immer zur vollen Stunde für eine Minute online, um dann wieder off zu sein. Mir fiel es auf, weil ich Dank Corona derzeit auch nicht mehr arbeiten darf und mein Laptop den gesamten Tag mit Tabs im Hintergrund offen ist. Ich werde also Daueronline angezeigt, obwohl ich auch vom Screen weg bin. Das weiß er aber eigentlich. Es kam von ihm aber keine Antwort. Er blockierte mich auch nicht.
Nach diesem Verhalten tauchte er scheinbar ein paar Tage unter. Dann am letzten Freitag änderte er über Nacht sein Profilbild bei Whatsapp. Zuvor war es dasselbe abstrakte Bild wie bei FB.
Auf einmal war da sein Führerscheinfoto. Und ich erinnerte mich daran, dass wir bei unserem letzten Billardspiel am Abend unseres Kusses kurz darüber sprachen. Er meinte, das Foto auf seinem Führerschein wäre sehr krass. Ich bat ihn, es mir zu zeigen, was er nicht wollte. Es war eigentlich nebensächlich. Aber auf einmal war es das Bild, das nun sein Profil auf WA zierte. Ich überlegte, ob er vielleicht eine Neue kennengelernt hatte, vor der er sich von Anfang an nicht genierte, oder ob es ihm vielleicht egal war, weil er ansonsten ja nur enge Freunde dort im Kontaktverzeichnis hatte. Vielleicht hatte er mich ja vergessen. Ob das eine subtile Geste in meine Richtung war? Hmmm.
Am nächsten Tag traute ich mich, ihm bei WA zu schreiben: Ganz viel Liebe! Er sei bereits früher schon ein schöner Mann gewesen. Er wird es gelesen haben. 2 Tage später änderte er sein Bild erneut. Diesmal ein altes Bild von ihm aus der Zeit vor der Krankheit. Er lächelt darauf, ein Familienfoto. Da er sich selbst nicht so annehmen kann wie er ist, gibt es keine aktuellen Bilder von ihm. Die würde er aber auch nirgendwo zeigen wollen, befürchte ich. Er will nicht mal neue Ausweisfotos machen lassen.
Einen Tag nach Einstellen dieses Bildes schrieb ich ihm, dass es ein herrliches Lausbubenlächeln wie der Sonnenschein sei. Keine Antwort, kein Blockieren.
Ich frage mich, ob das Ändern der Fotos auf diesem Kanal (der, auf dem in unserem Chat auch die 6 letzten Voicemails und diese unsinnige anbiedernde letzte Mail von mir sind) ein Zeichen an mich sein sollen.
Seitdem passierte nichts, außer dass ich ihn vermehrt chattend wahrnehme, wenn ich online bin. Aber er braucht seine Freunde ja jetzt auch besonders.
Ich weiß nicht, ob er den liebevollen handgeschriebenen Brief von mir las.
Und es tut mir Leid, dass der Text hier so lang geworden ist. Ich bin nur wirklich tief noch einmal in die Geschichte hinab gestiegen und sehe mich auch wieder mit allen Emotionen konfrontiert.
Ich würde mir einfach so sehr ein einfaches Hallo wünschen! Ein Weiterführen der tiefen Freundschaft.
Gleichzeitig werfe ich mir vor, dass er bis heute nicht weiß, dass ich ihn liebe. Dass ich tatsächlich eine Tiefe für ihn entwickelt habe und ihn für mich als einzigartig empfinde. Dass ich ihm diese Dinge in der kurzen Mail vor über einer Woche nicht einfach schrieb.
Es ist für mich nur schwer zu ertragen, dass er tatsächlich gesagt hat, wir dürfen nie wieder miteinander reden, weil es zwischen uns zu intensiv sei. So als hätte ich ihm mit Mord gedroht oder ihm Bösartiges angetan. Stattdessen standen sich zwei tief einander zugeneigte Menschen gegenüber und könnten alles füreinander und miteinander sein.
Sorry für diese Ausführlichkeit. Ich wollte es nur zumindest einmal von der Seele geschrieben haben.
02.04.2020 18:04 •
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