Hallo zusammen, ich bin auch neu hier und habe mich ein bisschen eingelesen über das, was euch beschäftigt. Dabei habe ich auch die Frage gelesen, ob jemand hier in einer Klinik war, weil es so lange dauert. Ich bin selber schwer depressiv und lebe mit bzw. nur durch meine Medikamente stabil. Selber war ich von Oktober bis Dezember 2019 in einer Fachklinik. Somit waren das gut 2 Monate. Und mir hat die Zeit geholfen.
Ich kann zum Verhalten der Männer nur eines sagen: für Männer scheint der Zustand, in den man in einer depressiven Phase reinrutscht, um ein vielfaches schlimmer zu sein als für Frauen. Mein Eindruck, auch durch das Zusammenleben mit den anderen Patienten und Patientinnen in dieser Zeit. Männer haben Veranwortung, im Job, in der Familie, überhaupt. Das soll jetzt nicht heißen, dass Frauen dies nicht haben aber Männer gehen mit diesem vermeintlichen Versagen auf ganzer Linie ganz anders um. Frauen handeln da auch direkter. Als Beispiel: ich lag mit einer Zimmergenossin zusammen, der während des Klinikaufenthaltes klar wurde, dass ihr ihre Partnerschaft (mit einem Spielsüchtigen) nicht gut tut. Sie hatte, wie wir alle, viel Zeit, darüber nachzudenken, wie das Leben danach aussehen könnte und muss. Sie hat sich noch während des Aufenthaltes in der Klink von ihrem Partner getrennt. Per WhatsApp, weil ihr die Kraft für eine direkte Konfrontation gefehlt hat. Männer haben in einer depressiven Phase garantiert auch diese Gedanken, was sie tun könnten etc. Aber sie halten sich oft die Hintertür offen. Warten ab, ob es ihnen besser geht und hoffen, dass ihr Rettungsanker, sprich, ihre Partnerin, dann noch da ist und zu ihnen hält. Verlustängste, Versagensängste....all das spielt da wohl eine ganz große Rolle.
Gleichzeitig mag man sich ja selber in so einer Phase nicht mehr. Oder kennt sich auch gar nicht mehr. Und hat auch keine Kraft. Weder für eine direkte Aussprache, noch dazu, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und Männer sträuben sich auch eher dagegen, in eine Klinik zu gehen und sich behandeln zu lassen. Das schaffe ich schon selber, was soll mir da jemand helfen, wenn ich mir selber nicht helfen kann.....
Ich betone: nicht alle Männer sind so. Und natürlich auch nicht alle Frauen. Aber ich habe eben diese Erfahrung gemacht. Frauen lassen sich eher helfen. Vertrauen sich ihrer Freundin, ihrer Familie etc. an. Männer eher nicht, weil es eine Art von Versagen sein könnte. Die Gesellschaft macht da oft sehr viel Druck. Und in einer Depression dann auch noch irgend eine Art von Druck zu bekommen.....tödlich!
Ich selber hatte in den 2 Monaten auch sehr viel Zeit, mir über das danach Gedanken zu machen. Und ich war so sehr in den Klinik-Alltag integriert und habe mich dort so sehr geborgen gefühlt, dass ich zwei Mal sogar vergessen haben, dass sich mein Freund zu einem Besuch bei mir angekündigt hatte. Ich brauchte aber diese Zeit dort, mal einen Gang langsamer zu fahren, nicht mehr dem Druck des Berufes, des Alltags, der Gesellschaft ausgesetzt zu sein. Mir war draußen alles zu schnell, zu laut, ich brauchte Ruhe, zum Nachdenken, zum Neuordnen meiner Zukunft, zum Mich-selber-verstehen. Das alles fällt jemandem in einer depressiven Phase unendlich schwer. Man will....aber man kann nicht. Man hat die Kraft nicht, alles wirbelt im Kopf durcheinander, man leidet unter unvorstellbaren Ängsten.
Für mich war es das erste Mal, dass ich das in meinem Leben erleben musste (ich hatte seit März 2019 eine schwere Vorerkrankung und es wurde im Laufe des Jahres 2019 immer schlimmer, ohne Aussicht auf baldige Besserung). Man klammert sich dann an die Klinik, auf deren Hilfestellung, auf Angebote, die die dortigen Sozialarbeiter im petto haben (sofern sie, wie in meinem Fall, Lust und Zeit und richtiges Engagement aufbringen können). Ich war froh, meine Medikamente zu bekommen, die nach ca. 3 Wochen erfolgreich angeschlagen haben. Ich fühlte mich wie ein einem wohligen Wattebausch. Ich hatte Angst, wieder in den Alltag entlassen zu werde und musste mich schrittweise an den Wochenenden daran gewöhnen, dass es weiter geht. Allerdings ist es auch heute - und ich bin auch noch nicht über diese Phase hinweg - schwer, jemandem, der nicht unter Depressionen leidet, klar zu machen, dass diese Krankheit so unendlich tückisch ist, einen immer wieder heimsucht und überfällt und es eigentlich erst mal nicht viel - außer Medikamenten - gibt, was man dagegen tun kann. Klar, es gibt Hilfsangebote in der Klinik, aber auch hier sind nicht alle hilfreich. Oft öffnen zum Beispiel Gesprächsgruppen Türen mit Erinnerungen, die plötzlich hoch kommen, die einem gerade in einer Depression überhaupt nicht gut tun. Man fällt plötzlich in ein Loch und das ist bodenlos. Nichts ist da, was einen aufhält. Im Normalfall hat man im Alltag, in der Familie, im Job eine Krise. Ja, dann, wie schon vorher gelesen Krönchen richten, weiter geht´s. In einer Depression gibt es vermeintlich (!) keinen Ausweg! Alle Gedanken wirbeln durcheinander, man kann sie nicht fassen, nicht sortieren, sich über nichts mehr freuen. Mir hat ein Positiv-Tagebuch geholfen. Aufschreiben, wenn etwas am Tag passiert ist, was einem ein bisschen Freude gegeben hat. Das war am Anfang einfach nur guter Schlaf. Ein Spaziergang im Park mit warmen Herbstsonnenstrahlen auf der Haut. Dagegen haben mich Gespräche mit Therapeuten anfangs immer zum Heulen gebracht. Immer. Erst nach und nach wurde es besser, bis ich reif war (in meinen Augen und in denen der Therapeuten/Ärzten), nach Hause zu gehen.
Inzwischen sind 7 Monate vergangen. Meine Medikamente halten mich aufrecht. Ich schlafe nachts ohne schlimme Gedanken, ohne Unruhe. Ich habe, auch durch die Vorerkrankung, jeden Tag aufs Neue Anlaufschwierigkeiten. Ich habe mich auch sehr verändert, wehre mich jetzt mehr, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle. Habe meine Gedanken, die mir in der Klinik kamen, mit einer Psychologin durchgekaut und sie hat mir geholfen, mir selber zu helfen (mehr habe ich von ihr auch nicht erwartet). Und ab nächster Woche kann ich, nach 16 Monaten krank sein, endlich wieder arbeiten. Damit ist die Depression nicht überstanden. Das merke ich jeden Tag. Aber mit dem Verständnis des Partners und meiner Familie LEBE ich wieder im Hier und Jetzt. Und ich würde sofort wieder in die Klinik gehen, wenn es nötig wird.
Sorry für diesen Roman, aber ich hoffe, ich kann denen von und unter euch, die sich schwer tun, jemanden zu verstehen, der eine Depression durchlebt, einen kleinen Einblick in das schlimme Gedankenkarussell geben, der sich da auftut. Depression ist eine Krankheit. Sie hat einen. Nicht man hat sie. Sie leitet einen, sie bestimmt den Ablauf, sie bestimmt, wie es weiter geht. Und ich als Nicht-Ärztin bin überzeugt davon: unbehandelt zieht sie das ganze Umfeld wie Partnerschaft, Familie, Beruf etc. ins Bodenlose!
Habt Geduld, aber denkt auch an euch. Wenn euch alles zuviel wird und ihr immer an eure Grenzen kommt, dann müsst ihr die Konsequenzen ziehen. Denn krank vor Sorge und Kummer und unzufrieden mit eurer Partnerschaft helft ihr eurem Partner/eurer Partnerin nicht. Und vor allem: eine Beziehung nur aus Mitleid oder aus Angst, dass sich der Partner was antut....das ist fatal. Lasst euch nicht erpressen. Auch das habe ich bei Mitpatienten erlebt. Sie machen ihrem Partner/ihrer Partnerin Vorwürfe und setzen sie unter Druck. In diesem Sinne, wie gesagt, sorry für den Roman, aber dieses Thema ist einfach zu wichtig und zu komplex für ein paar wenige Sätze. Passt gut auf euch auf! Bleibt gesund. Und ich schau die Tage mal wieder vorbei. Liebe Grüße!
31.07.2020 10:54 •
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