Hallo @GoodVibes ! Willkommen im Forum!
Für Deine Einordnung, hier etwas zu mir: ich bin von einer chronischen Depression betroffen. Bei mir gibt es also quasi keine Episoden. Das erfordert natürlich einen anderen Umgang damit als bei Deinem Freund und Dir.
Insgesamt merkt man mir meine Depression wenig an, wenn ich mich unter Leute begebe, so wird mir es zumindest rückgemeldet. Ich habe eine Frau und ein sechsjähriges Kind.
Ich denke, dass es sicherlich hilfreich sein kann zu schauen, was Du für Deine eigene seelische Gesundheit tun kannst, ohne Deinem Freund dabei das Gefühl zu geben, ihn im Schlamassel alleine zu lassen. Es gibt Angebote für Angehörige von an Depression erkrankten Menschen, die von Profis geleitet werden (und oft kostenfrei sind).
Dass Menschen in Ihrer Depression nur an sich denken, kann ich für mich zumindest nicht bestätigen. Das mag von außen so aussehen, entspricht aber nicht meinem Erleben der Situation. Ich leide darunter, meinen Lieben nicht gerecht werden zu können. Und Rückzug kann dann auch ein Mittel sein, mich selbst davon abzuhalten, andere mit runter zu ziehen.
Als problematisch sehe ich es, dass Dein Freund weder eine Therapie anstrebt noch in ärztlicher Behandlung zu sein scheint. Da finde ich, dass ich meiner Familie schuldig bin zu signalisieren, dass ich an einer Verbesserung der Situation arbeite.
Außerdem kann man durch Arzt oder Therapeut seine Angehörigen beruhigen hinsichtlich der eigenen Unversehrtheit. Denn statistisch ist es wohl so, dass Menschen in einer Behandlung sich eher nicht das Leben nehmen (Depression ist eine relativ tödliche Erkrankung).
Es kann gut möglich sein, dass egal, was Du tust, genau das in den Augen Deines depressiven Partners ein Fehler ist: Zu nah, zu wenig nah, zu wenig Interesse, sein Ruhebedürfnis nicht respektieren - die Möglichkeit, aus Sicht eines Menschen mit Depression alles genau falsch zu machen, ist recht groß.
In einer Depression kann es sein, dass ich die Welt um mich herum als feindlich erlebe. Ein Partner ist ein wichtiger Teil dieser Außenwelt. Und er ist greifbar. Somit kann es passieren, dass die, die einem am nächsten stehen, am meisten abbekommen - was allerdings kein alleiniges Merkmal der Depression ist, sondern sich ganz oft wiederfindet, was ich so sehe.
Und Du bist dann eventuell die einzige Person, der er sein Leid zeigen will, indem er Dich mit in seinen dunklen Keller nimmt. Auch das ist mir aus anderen Situationen bekannt. Kinder, denen es schlecht geht, können Dich auf ihre Stimmung ganz gut herunterziehen und Dir so ihre Hilfsbedürftigkeit erfahrbar machen. Ein Appell an Dich zu helfen. Ob Du das dann kannst, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Für mich ist aber relativ klar, dass ich als ein Mensch mit einer Depression auch von meinen Freunden so gesehen und geschätzt werden will und eben nicht bloß der Teil von mir als liebenswert angesehen wird, der gut funktioniert. Denn die Depression wird bleiben, so wie bei anderen Leuten die krumme Nase bleibt und dieser krummnasige Mensch dennoch mit seiner Nase geliebt werden will und nicht immer mit Motorradhelm rumlaufen möchte.
Ich möchte aber auch nicht auf meine Depression reduziert werden und alles Störende, was ich tue, der Depression angelastet wissen.
Du beschreibst Deinen Freund als sensibel und anderen zugewandt. Er selbst erfährt aber vielleicht in seinem Alltag, dass ihm das gleiche nicht zuteil wird. Im Gegenteil, ihm wird vorgeworfen, er stelle sich an und wäre so furchtbar empfindlich.
Aber Dein Partner verzweifelt vielleicht daran, dass ER eigentlich die bessere Art des Umgangs untereinander hat, wie er meint, aber die anderen das nicht sehen wollen. Es kann ein gewisser Hass auf die blöde Welt da draussen entstehen, in der niemand außer mir weiß, wie es richtig geht. Aber statt dass die anderen ihren Fehler einsehen, hacken sie auf Dir noch rum. Auch das kann zu einem Einigeln führen.
Es kann unheimlich anstrengend sein, in einer Welt da draußen zu leben, in der fast alle gefühlt anders ticken als Du. Für mich war das einer der überraschendsten Punkte bei meinem Klinikaufenthalt: ich hatte das erste Mal in meinem Leben den Eindruck, dass meine Art in der Welt zu sein, akzeptiert wurde, ja sogar von anderen nachvollzogen und verstanden wurde und mir als gute Möglichkeit, die Welt zu sehen, zugestanden wurde.
Ich bin ein sehr reflektierter Mensch und mir wird vorgeworfen, dass ich Dinge kompliziert machen würde. Ich denke aber, dass die Dinge von ganz alleine verdammt kompliziert sind. Nur weil ich das aufzeige, bin ich ja nicht der Urheber. Und wenn wir alle etwas differenzierter auf die Dinge des Lebens schauen würden, wären wir vielleicht ganz gut beraten. Wenn wir zu sehr vereinfachen, werden unsere Erklärungen für die Welt immer ungenauer und irgendwann schlicht falsch.
Vielleicht gibt es bei Deinem Freund ja auch so einen Bereich, in dem er seine Weltsicht besser findet als die der anderen und darunter leidet, weil es keiner so macht, wie er. Sondern im Gegenteil: sein Verhalten wird als sog. Anpassungsstörung diagnostiziert. Fatal.
Das war jetzt kreuz und quer durch den Gemüsegarten. Meine Faustregel wäre, dass bei Depression immer alles anders sein kann, als ich es hier erzähle oder jemand anderes und vor allem als es in den Ratgebern steht. Für manche sind solche Bücher sehr hilfreich. Mich haben sie eher verzweifelt gemacht. Letztlich war dort immer die Botschaft am Start, dass man mit
viel Disziplin und Sport das wieder hinbekommt.
Aber meine Depression war ja nicht doof. Die hat den Braten ganz schnell gerochen und mich noch mehr blockiert. Sie hat auch ganz genau kapiert, dass so manche Strategie dahingehend ist, die Depression zu akzeptieren, um sie letztlich loszuwerden. Umarmungen um dann erdrückt zu werden, hat meine Depression nicht zugelassen. Die wollte schon sehr ernst genommen werden und nicht nur entfernt werden. Wenn ich davon ausgehe, dass eine Depression ein Warnsignal ist, dann sollte ich versuchen herauszufinden, wozu dieses Warnsignal ertönt.
02.10.2024 21:37 •
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