Hallo zusammen,
seit etwas über einem halben Jahr führe ich (35) eine Fernbeziehung zu einem Mann (36). Von der Entfernung her kann ich leider nicht mal eben so bei ihm sein, da uns rund 600 Kilometer trennen. Die Beziehung ist für diesen Zeitraum natürlich noch frisch. Insgesamt kennen wir uns schon fast drei Jahre. Es fing zunächst relativ lose an und erst die letzten anderthalb Jahre wurde es zwischen uns immer intensiver. Wir schreiben hauptsächlich über WA, telefonieren viel miteinander, Videoanrufe inklusive. Er hat von Anfang mit offenen Karten gespielt und mir erzählt, dass er an Depression erkrankt ist. Er ist ein sehr empathischer und gefühlvoller Mensch, der sehr darauf bedacht ist, dass es den Menschen, die ihm am Herzen liegen, gut geht. Er hat für alles und jeden ein offenes Ohr, hört zu und versucht Rat zu geben, wo er kann. Kurzum gesagt: Er ist eine Seele von Mensch.
Berufsbedingt konnten wir uns leider noch nicht so oft treffen, haben aber bereits einen gemeinsamen Urlaub verbracht, der für uns beide die wohl denkbar schönste Zeit des Jahres war. Vor allem nachdem wir beide, aufgrund unserer Jobs, sehr viel Stress und Anspannung mit uns herumschleppten. Auch sonst lief jedes Treffen absolut harmonisch und liebevoll ab. In seiner Nähe fühle ich mich einfach pudelwohl und geborgen. Ich kann auch sagen: Wenn ich bei ihm bin, dann fühle ich mich zu Hause.
Er hat wie gesagt von Anfang mit offenen Karten gespielt, was seine Erkrankung betrifft. So hatte er mir z.B. einmal erklärt, dass die depressiven Phasen bei ihm schlagartig von jetzt auf gleich eintreten können und was das mit ihm macht. Er hat mich quasi damals schon gewarnt, dass er in diesen Phasen, je nachdem wie heftig sie ausfallen, u.U. komplett dicht macht und sich dann nur noch verkriecht (völliger Rückzug). Aufgrund dieser Phasen hat er bereits viele Freunde verloren und auch eine Beziehung ist in die Brüche gegangen weil seine Ex-Partnerin damit nicht zurechtkam. Dass alles war für mich kein Hinderungsgrund um eine Beziehung mit ihm einzugehen. Wir sprechen über seine Erkrankung ganz offen, vertrauen einander sehr und sind immer füreinander da, wenn es dem anderen schlecht gehen sollte. Eine Therapie und Antidepressiva lehnt er bisher ab. Er hatte in der Vergangenheit bei den Therapeuten zwei Griffe ins Klo gehabt und dann aufgegeben.
Nun ist vor kurzem das eingetreten, wovor er mich bereits gewarnt hatte. Ich vermute es war ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren u.a. zu viel Stress auf der Arbeit, nicht aufgearbeiteter Erlebnisse aus der Vergangenheit etc. Ich bemerkte bereits, dass er sich in einer Abwärtsspirale befand und Aussagen wie z.B. dass er eine Last für alle sei und allen nur Probleme bereite, von sich gab. Die bekannten, sehr negativen Gedankengänge bei einer Depression. Von da an hörte ich dann auch schlagartig nichts mehr von ihm. Keine Reaktion auf Nachrichten oder Anrufe. Ich verstand sehr schnell, was da passiert war. Das alles ist nun etwas über 4 Wochen her. Zugegeben, die erste Woche war für mich ein emotionales Auf und Ab. Man rechnet damit, aber wenn es eintritt, bekommt es wieder einen ganz anderen Geschmack. Dennoch bedränge ich ihn nicht mir zu antworten und bombardiere ihn auch nicht mit Nachrichten. Ich zeige Verständnis für seine Situation und er weiß, dass er sich jederzeit bei mir melden kann, wenn er wieder kann. Auch melde ich mich nicht jeden Tag bei ihm, sondern einmal die Woche und dann auch nur mit einer kurzen Nachricht und auch hier, ohne jeglichen Druck auszuüben oder gar emotional zu werden. Die große Unbekannte ist natürlich nun die Frage: Wie lange wird es dauern? Das wird mir natürlich niemand beantworten können. Selbstverständlich vermisse ich ihn und habe bereits die eine oder andere Träne darüber verdrückt, aber es nützt weder ihm noch mir, wenn ich nun in Selbstmitleid versinke. Ich lenke mich ab und versuche mit meinen Gedanken nicht dauerhaft bei ihm zu hängen.
Natürlich ist die Versuchung bereits groß gewesen, einfach zu ihm zu fahren, aber das verkneife ich mir. Am Ende bleibt mir die Tür verschlossen und ich kann unverrichteter Dinge wieder wegfahren. Es ist ganz offensichtlich, dass er derzeit absolut keinen Kontakt haben möchte. Zumindest nicht zu mir. Und diese Zeit und den Raum gebe ich ihm gerne. Auf WA hat er mich nicht geblockt, was ich schon mal positiv einordne. Ich vermute aber, dass er momentan noch nicht mal meine Nachrichten liest um sich nicht unter Druck gesetzt fühlen zu müssen wenn eine Benachrichtigung kommt. In der ersten Woche habe ich es 2x versucht ihn anzurufen, aber das verlief sich ins Leere. Ich hege die leise Hoffnung, dass er wenigstens den Kontakt zu seinen Freunden vor Ort sucht (seine Familie ist ihm keine Stütze) und sich nicht auch da komplett abkapselt. Ich muss darauf vertrauen, dass er sich irgendwann wieder bei mir melden wird und sich darüber freut, dass ich noch da bin. Und nun kommt da eine Frage auf, zu der ich gerne mal eure Einschätzungen und/oder Erfahrungen lesen würde:
Warum sind es häufig gerade die nahestehenden Personen (Partner, Familie etc.), die von diesem plötzlichen Kontaktabbruch betroffen sind? Hat es etwas mit Selbstschutz zu tun, weil man gerade diesen geliebten Menschen einfach keine Angst machen bzw. keine Belastung für sie sein möchte? Dass sie die, die ihnen so nahe stehen, nur schützen wollen? Ich habe mich bereits sehr viel mit dem Thema Depression auseinandergesetzt und doch gibt es da noch genügend Fragen, auf die ich noch keine Antwort habe. Ich möchte dass alles noch besser verstehen können, allein schon aus dem Grund, damit ich damit noch besser umgehen kann. Daher wäre es für mich interessant, wie es andere Angehörige erlebt haben bzw. wie es sich für Betroffene darstellt. Ich danke euch, für eure Antworten.
Liebe Grüße
GoodVibes
02.10.2024 13:50 •
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