maya60
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Jetzt hat er ein biografisches Buch gleichen Titels darüber geschrieben und trifft mit seinen Erfahrungen auch mitten in mein Leben einer Frau, die Jahrzehntelang mit Depressionen lebte und mehr oder weniger funktionierte, erfolgreich: Eine hochfunktionale Depressive, die sich nie sicher war, ob sie schon depressiv war oder ob man das aushalten musste, sich nie zu freuen? Ob das das Leben halt war? Denn mit täglichem Zusammenreißen funktionierte ich ja immer weiter und weiter.
Und er beschreibt darin wirklich diese auch mir bekannte (und nach all den Zuschriften auf seinen Artikel hin anscheinend Unzählige mehr) Verfassung, in der man sich 25 bis 30 Jahre tagtäglich zusammenreißt.
Und obwohl man das immer noch kann, ist es dennoch immer so eine Zeit, während der man, wenn man ehrlich ist, nur die ganze Zeit im Bett liegen möchte. Aber weil man sich ja noch durch die Tage schleppt und aufrafft und selber in den Hintern tritt, darum muss man sich ja ewig weitersagen: Es geht ja noch. Das Leben ist eben schwer.
Aber dann, als man zum ersten Mal ein wirksames Medikament genommen hat, merkt man, dass man sich noch nie gefreut hat. Denn jetzt freut man sich auf Dinge und an Dingen.
Ja, man hat sich nie freuen können. Meistens war alles so grau und oft auch schrecklich niedergeschlagen, aber es ging ja mit Zusammenreißen immer weiter.
Und kein anderer merkte einem also was an.
Wie daueranstrengend das aber war, das merkte eben auch keiner.
Und so wünscht man sich schon manchmal, wirklich schwerer krank zu sein, damit endlich gesehen werden kann, wie sehr am Ende man eben schon die ganzen 25 bis 30 Jahre bisher war.
So und in vielen weiteren Einzelheiten aus dem Alltag beschreibt Till Raether sein Leben mit seiner leichten bis mittelschweren Depression, die er, wie ich damals auch, einmal im Jahrzehnt, wenn er zusammenbrach, psychotherapeutisch behandeln ließ, aber das hielt nicht lange an.
Auch Verhaltenstherapie half nur teilweise und zeitweise, aber das hielt nicht. Auch Medikamente helfen teilweise und zeitweise, aber das hält nicht.
Und erst, als Till Raether seine nicht dramatische aber andauernde Schwäche als dramatisch für ihn, der sich nie freuen konnte, einzustufen sich erlaubt und damit zu leben, offen und aus seiner Schwäche heraus, da fühlt er sich freier und froher.
Erst, als er sich nicht mehr zusammenreißt.
Erst, als er offen zu seiner nicht schweren Depression, die aber schwer genug ist, steht, nimmt er sich das Recht, sich auch freuen zu wollen. Das Recht, sich nicht immer grau oder niedergeschlagen zu fühlen.
Nicht mehr als hochfunktionaler Depressiver zu leben.
Er schreibt, dass die Leute uns hochfunktionalen Depressiven so lieben, weil wir ja alles persönlich nehmen und uns zusammenreißen und damit wahre Arbeitstiere sind. Denn in unserer Gesellschaft sollen wir ja gar nicht merken, wenn wir uns selber schädigen.
Gleichzeitig, schreibt er, hat die Gesellschaft aber auch Angst vor uns, weil irgendwann der Punkt kommen könnte, an dem wir nicht mehr ertragen können, was wir erleiden.
Und dann reden wir. OFFEN. EHRLICH.
Unterm Strich, was sind depressive Warnsignale, schon schwer erkrankt zu sein, auch wenn man noch funktioniert?
- Nie Freude
- immer der Wunsch, im Bett zu liegen und man tut das auch jede freie Minute
- man reißt sich immer nur zusammen
- Arbeitsmotivation ist täglich die schiere Versagensangst
Schon eine leichte Depression ist eine schwere Erkrankung. Funktioniert ja noch. ist nicht der Punkt. Und wie viele Zombies von uns laufen so Jahrzehntelang als hochfunktionale Depressive herum ohne Freude, weil es ja noch geht?
Nachdenkliche liebe Grüße! maya60