Liebe Djamila,
ich mische mich hier auch mal ein, weil ich noch weiß, wie hart das Leben ist, wenn man mittendrin steckt in der Sorge um das Kind. Als ich unter Aufbringen aller Kräfte 1,5 Jahre mit meinem Sohn geübt habe, sich richtig anzuziehen. Er hatte eine Apraxie, konnte die Bedeutung der Kleidung nicht verstehen und handhaben. Jeden Tag dasselbe: wie mache ich es am Besten? Sprechen half nicht, Bilder auch nicht, Kleidung in Reihenfolge übereinander und nebeneinander hinlegen, alles sehr schwierig. Anfangs brauchte er 1 Stunde, um sich anzuziehen. Aber dann in der Schule mit anderen Kindern blühte er auf, weil es dort auch Kinder gab, denen seine Behinderung nichts ausmachte und er unter seinesgleichen sein konnte. Da lernte er schneller, sich umzuziehen zum Sport etc. Obwohl dort Druck herrschte, man hat ja keine Zeit für so ein Kind. Heute weiß ich, es gibt Schulassistenten, Schultransport (er lief 2x täglich ohne zu schauen über eine 8m breite Straßenmündung, die Stadt sah keine Notwendigkeit, einen Zebrastreifen einzurichten). Und die für mich wichtigste Erfahrung aus all den Jahren der Sorgen ist, daß Kinder/ Jugendliche untereinander sehr viel mehr bewirken können, als ich das hätte erreichen können. Das traf mich sehr, ja ich war beleidigt, tat ich nicht alles für mein Kind? Sicher ja, aber war es auch das, was es brauchte? Teilweise fehlte etwas: andere Kinder, andere Menschen, lernen es selbst zu tun und in Gemeinschaft zu sein...
Obwohl mein Sohn anfangs gemobbt wurde, war er zu gerne unter anderen Kindern, und da war seine Freude meine Freude. Das Loslassen allerdings war ein längerer Prozess, es ist schwierig, sich aus dem Kreislauf des Gebrauchtwerdens zu befreien, was mache ich, wenn er weg ist? Was fange ich mit mir an?
Wenn das Kind selbständiger wird, können wir erstmal durchatmen und unsere Kräfte gezielter einsetzen, auch für das Kind. Und wir lassen ihm seinen Freiraum in Gemeinschaft, die wir allein nicht bieten können. Ich bin damit immer noch nicht fertig...
Ich wünsche Dir regelmäßig Freiraum für Dich und/ oder daß Du ihn etablierst
Viele liebe Grüße Alexandra
30.11.2020 13:46 •
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