Hallo Jeany,
die Gedanken, die du dir machst, kann ich gut nachvollziehen. Ich war vor meinem Aufenthalt in einer solchen Notlage, dass ich mich nicht ausreichend informieren konnte. Erst in der Klinik habe ich einiges über das Konzept erfahren und auch im Nachhinein viel darüber gelesen.
Die Angst vor der Nähe zu den Mitpatienten kann ich gut verstehen. Und auch den Gedankengang: Vielleicht ist es gerade deshalb gut.
In de Klinik, in der ich war, sah es noch anders aus, da ich ein Einzelzimmer hatte. Das wäre meine größte Angst gewesen. Ich hatte zu der Zeit noch massive Essstörungen mit Fressanfällen und wäre schon deshalb nicht zurecht gekommen.
Insgesamt ist die Gemeinschaft hilfreich. Man tauscht sich aus und gibt sich Halt. Allerdings bin ich heute der Meinung, dass ein gewissen Maß an Stabiliät nowendig ist, um damit zurechtzukommen. Ich fühlte mich die ganze Zeit über an der Schwelle zur Psychose, alles war verschwommen und ich konnte kaum Nähe ertragen. Das habe ich allerdings scheinbar die ganze Zeit gut überspielt.
In meinen Augen ist genau das eingetreten, was du als Befürchtung äußerst: Die individuelle Therapie kam zu kurz. Im Nachhinein sehe ich kaum Gespräche, die sich wirklich nur mit mir beschäftigt haben. Und da ich ein Mensch bin, der sein Leiden in Gruppen nicht gut in den Mittelpunkt stellen kann, bin ich ziemlich untergegangen. Keiner hat gemerkt, dass ich am Limit war, weil ich mein Leben lang trainiert habe, meinen Kummer zu verstecken. Also war es in der Hinsicht für mich unzulänglich.
Wie es mit der Fastenvereinbarung gehandhabt wird, kann ich dir nicht genau sagen, weil es diese Regel in meiner Klinik nicht gab. Sie wurde als Empfehlung ausgesprochen, aber nicht als Voraussetzung: Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass solche schwerwiegenden Prozesse ohne Betreuung durchgeführt werden. Erkundige dich am besten bei der Klinik.
Das Bonding...ja. Krass, gut, aber gefährlich. Sp würde ich es beschreiben. Ich bin zweimal in ganz tiefe Emotionsausbrüche geraten. Das war sicher heilsam, mir fehlte allerdings die Nachbearbeitung durch einen Therapeuten. Ich habe Menschen erlebt, denen es danach richtig gut ging und andere, die lange daran zu knabbern hatten. Ich finde es insgesamt positiv, würde aber heute mehr Nachbesprechungen einfordern.
Ich kann nur mal ein Gesamtfazit geben: Das Konzept ist in meinen Augen geeignet für Menschen, die eine Krise erleben und sich neu orientieren möchten. Es bietet Lebenshilfe und unterstützt bei der Wiederentdeckung eigener Ressourcen.
Für mich war es eher kontraproduktiv. Die Schwere meiner Krankheit wurde nicht erkannt und einige Symptome eher noch gefördert. Zum Beispiel wurde mir immer das Gefühl vermittelt: Medikamente sind schei. und gefährlich, man muss es auch ohne schaffen, nu musst nur deine Gefühle wahrnehmen, mach mal keine Therapie nach dem Aufenthalt, das schaffst du auch so, da brauchst du nur etwas Disziplin... Viele traumatische Ereignisse in meiner Familie wurden aufgerissen (z.B. durch Familienaufstellungen) und nicht nach behandelt. Mein Vater wurde zu einem Interview eingeladen, bei dem ich anwesend war, aber es hat keiner aufgefangen, was da an Verletzungen bei mir entstanden ist.
Ich habe nichts an die Hand bekommen, um wieder allein zurecht zu kommen. Und zwei Monate nach meiner Entlassung war ich selbstmordreif, habe aber immer noch im Ohr gehabt, dass Medikamente schei. sind und dass ich es auch ohne neue Therapie schaffen muss. Wenn nicht, gebe ich mir scheinbar zu wenig Mühe.
Was ich noch ungeeignet fand, war die Tatsache, dass ich mich selbst um Termine mit den Ärzten kümmern mußte. Das ist mir in der akuten Phase der Depression sehr, sehr schwer gefallen. Ich hätte mehr Entlastung gebraucht.
Liebe Jeany, ich wünsche dir viel Erfolg. Frag ruhig weiter. Ich nehme inzwischen übrigens Antidepressiva und bin endlich wieder in der Lage, überhaupt stundenweise allein zu sein und regelmäßig in ambulante Therapie zu gehen. Vielleicht wäre es schneller gegangen, wenn ich woanders gelandet wäre, vielleicht mußte es genau so sein.
Alles Liebe
Anna
07.11.2007 15:25 •
#4