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Ist Genesung von Depression doch Willenssache?

M
Zitat:
Wenn in demselben Ratgeber steht, dass es wichtig sei zu lernen, MIT der Depression zu leben, dann widerspricht das in meiner Auffassung der Aufforderung, sie loszuwerden.


Ich weiß, sowas scheint verwirrend. Aber ich kann dir aus meiner Erfahrung (4 mittelschwere bis schwere Episoden gehabt) sagen: Das was du unter Punkt 1 beschreibst, halte ich für ein Ankämpfen gegen sich selbst. Man denkt, man kämpfe gegen die Depression an, indem man dies und jenes ausprobiert. Das Problem dabei ist aber, dass damit eine Erwartungshaltung einhergeht – "Jetzt hab ich doch X, Y und dann auch noch Z gemacht. Jetzt muss die sch*** Depression doch endlich verschwinden". Man kämpft damit eigentlich gegen sich selbst an, weil die Depression ein Teil von einem ist.

Bei mir kam zuletzt irgendwann ein Tag, an dem ich merkte: Nichts hilft. Ich habe dann so eine Art Trotzhaltung eingenommen und gesagt: "Also, kann man nichts machen, ist jetzt halt so. Ist mir doch grad zu blöd, jetzt noch weiter rum zu probieren. Dann bin ich eben depressiv."

Ich weiß nicht, mein Text erklärt es jetzt vielleicht auch nicht besser, als so ein Ratgeber, aber ich versichere dir: Dieser Nihilismus war der Anfang vom Ende dieser Episode. Ich schreibe das hier natürlich auch mit dem Hintergedanke, es mal zu lesen, wenn es mir wieder dreckig geht.

Ich glaube der Knackpunkt ist, sein Unterbewusstsein zu überlisten. Es fiel bei mir in diesen Zeitraum, dass ich die ABC-Methode (einfach googeln) kennen lernte. Ich finde, die sollte jeder depressive zumindest kennen.

17.01.2022 16:47 • x 2 #16


A
@Michael808 Genaus dieses Aufgeben hat bei mir auch geholfen. Ich war sehr am verzweifeln und habe lange gebraucht, vom Kämpfer-Modus in den Ist halt so- Modus zu gehen. Die Angst davor war riesen groß, denn für mich bedeutete es mich aufzugeben. Aber dann merkte ich dadurch, dass alles was ich aufgab, nicht echt war und dass ich dadurch die Kontrolle über mich selbst und über meine Gedanken Schritt für Schritt wieder erlangte.

War dann die depressive Phase bei dir direkt vorüber, oder war das eine Phase?

17.01.2022 17:12 • x 2 #17


A


Hallo Oli,

Ist Genesung von Depression doch Willenssache?

x 3#3


M
Zitat von An_dre:
@Michael808 Genaus dieses Aufgeben hat bei mir auch geholfen. Ich war sehr am verzweifeln und habe lange gebraucht, vom Kämpfer-Modus in den Ist halt so- Modus zu gehen. Die Angst davor war riesen groß, denn für mich bedeutete es mich aufzugeben. Aber dann merkte ich dadurch, dass alles was ich aufgab, ...


Gut ausgedrückt! Freut mich, dass du das bestätigen kannst.

Der zeitliche Verlauf war bei mir zuletzt so, dass ich nach ca. 9 Monaten Depression von der ABC-Methode erfahren habe. Ich habe dann soz. geprobt, dies auf meinen Verstand anzuwenden. Das hat nicht sofort zum Erfolg geführt, aber ich fing an daran zu glauben. Etwa eine Woche später kam mir dann die Einstellung Ist halt jetzt so. Ich gab mir kleine Aufgaben und nahm mir vor, deren Erfolg nach der ABC-Methode zu bewerten. Dazu gehörte z.B., mehrere Rasenflächen zu mähen. Während ich das tat, kamen mir positive Erinnerungen an meine Jugend.

Und dann wusste ich nicht, wie mir geschah. Es ist schwer in Worte zu fassen. Während ich da so mähte, dachte ich plötzlich: Hä? Irgendwas ist jetzt plötzlich anders in meinem Kopf. Ich traute dem Braten noch nicht, aber ahnte irgendwie schon, dass es vorbei sein würde. Aber weil ich so skeptisch war, schwang noch der Gedanke mit, dass es schon morgen wieder so weitergehen würde, wie zuvor. Aber tatsächlich, es war vorbei. Der Schlaf war noch lange gestört, was aber nur eine Folge meines Mirtazapin-Konsums war (soweit war ich damals glücklicherweise schon informiert).

Aber tatsächlich: Es war definitiv vorbei. Ich merkte das am folgenden Tag nochmal deutlich daran, dass ich plötzlich bei der Arbeit einen so unglaublichen Frieden empfand. Ich hatte da viele A******cher um mich rum. Und ich erinnere mich noch genau an die Situation, wie ich da im Großraumbüro saß und diese Kollegen anschaute und wie ich dabei nicht den geringsten Groll verspürte. Es war unglaublich!

18.01.2022 10:39 • #18


Oli
Danke, @An_dre , für die Erläuterung!

Ich kann damit viel anfangen, was Du schreibst, und finde mich darin wieder. Selbst, wenn es nicht so wäre, würde ich mir nicht anmaßen, Dich von etwas anderem überzeugen zu wollen. Das ist ja genau das, was ich bei meinem Therapeuten so merkwürdig fand, als dieser im Gespräch immer wieder meine Äußerungen gewertet hat nach dem Motto: "Jetzt haben sie es richtig verstanden, wie es sich verhält".

Mein Einwand, wenn ich ihn überhaupt so nennen will, ist jener, dass ich bei mir nicht weiß, was ich von all dem, was Du als Fassade bezeichnest, über Bord werfen soll. Was bleibt mir dann noch? Was füllt dann die Lücke? Brauche ich nicht etwas Neues, das das Alte ersetzen kann, bevor ich es wegwerfe? Und was kann das sein?

Wenn ich mir ansehe, was bei mir alles Fassade sein könnte, dann bröselt mein Leben mir weg bis zum Alter von zwölf Jahren oder noch früher. Ich würde mal sagen: verflixt.

20.01.2022 01:07 • #19


Oli
Ich habe vor einigen Jahren, das mal in einem kleinen Bereich meines Lebens auszuprobieren, nämlich mit dem Weihnachtsfest. Ich war früher mega-engagiert, habe in zwei Gottesdiensten in mehreren Funktionen mitgewirkt usw.

Ich habe dann nach und nach alles weggelassen, von dem ich nicht wusste, warum ich das eigentlich tue. Da blieb zunächst nichts mehr übrig. Gar nichts. Da meine Frau Weihnachten nicht am 25,12, feiert, sondern im Januar, kam auch von ihr kein Wunsch, den 24.12. besonders zu gestalten.

Dieses Jahr hatten wir dann tatsächlich wieder einen Baum und ich war mit unserer Tochter in der Kirche - wobei ich sagen muss, dass mir die 20 Minuten gelangt haben, die wir wegen COVID nur im Gottesdienst waren. Aber immerhin habe ich bemerkt, dass mir das Schmücken des Baums in den vergangenen Jahren doch etwas gefehlt hat.

20.01.2022 22:19 • #20


A
@Oli Was ich als Fassade bezeichne, ist nicht an bestimmten Ereignissen festzumachen, sondern wie du mit Dingen umgehst. Dass du dein Leben nach deinen Werten lebst.
Als Beispiel: Wenn es dir wichtig ist, dass dich Leute respektieren, du aber immer nett und höflich bist, weil du niemandem auf die Füße treten willst, kann es passieren, dass die Leute deine Grenzen nicht beachten. Logisch wirst du das immer rechtfertigen können mit Derjenige hatte einen schlechten Tag, oder was auch immer
Aber wenn jemand immer und immer wieder deine Grenzen überschreitet (oder du selbst), dann trägt das zum Unmut bei und häuft sich.

Ich habe dieses Beispiel deshalb gewählt, weil mir genau das passiert ist. Bis vor 3 Jahren hatte ich mir nach und nach die Einstellung aufgebaut, immer den unbequemeren Weg zu wählen und mich unter keinen Umständen zu verbiegen und zu verstellen.

Dann aber habe ich für eine vielversprechende Karriere, all meine Prinzipien über Bord geworfen und habe all meine inneren Regeln missachtet, habe mir eine Maske (Fassade) aufgebaut und mich mit ihr identifiziert, das für mein richtiges selbst gehalten. Diese wurde dann so schwer und hat mich in meinen Burnout getrieben, dass sie irgendwann gebröckelt ist. Unter all dieser Fassade lebt ein ziemlich sorgloser lebensfroher Kerl. Mit der Karriere ging es auch den Bach runter, also hat wirklich niemand profitiert.

Jim Carrey hat das mal ganz gut ausgedrückt, ich weiß nicht ob es auf alle zutrifft, aber ich kann das zu 100% unterschreiben:
Depression ist die Reaktion deines Körpers in dem er sagt Fu**** You, diesen Charakter möchte ich nicht mehr spielen, ich möchte ich selbst sein.

21.01.2022 09:35 • x 3 #21


A
@Michael808 Das freut mich, dass du so deine Depression loswerden konntest. Es ist schon merkwürdig, irgendwie kontraintuitiv, dass der Verstand dir sagt, du musst immer nach vorne rennen, vor dem Monster weg, sonst kriegt es dich. Wenn du aber dem Monster in die Arme rennst, merkst du, dass es gar kein Monster gibt.

Ich kenne das Gefühl von unglaublich großen inneren Frieden. Damit kann dich nichts aus der Ruhe bringen und keine Herausforderung stresst dich. Genieß es.

Ich weiß nicht ob du das kennst oder nicht. Eckhart Tolle kann ich ans Herz legen, mal bei Youtube anzuschauen, oder zu lesen. Seine Philosophie ist: Wenn wir den jetzigen Moment so akzeptieren können wie er ist, ohne ihn zu verändern, oder mentalen Widerstand zu leisten, dann lebt sich unser Leben viel sorgloser.

21.01.2022 09:51 • x 2 #22


Oli
@An_dre
Zitat:


Der Psychiater, zudem ich gehe, versucht, bei der Suche nach der passenden Medikamentierung herauszufinden, ob die vermeintliche Nebenwirkung des Präparates tatsächlich unerwünscht ist oder eben ein freigelegter Teil meiner Selbst, der durch solch eine von Dir beschriebene Rolle verdeckt wurde.

Mein Beispiel mit dem Weihnachtsfest passt vielleicht doch zu dem, was Du beschreibst. Denn ein großer Teil dessen, was ich um dieses Fest herum alles gemacht habe, war ja die Erfüllung von Rollen, die ich vielleicht gar nicht mochte. Ich habe meinen Eltern, Lehrer_innen und Verwandten gefallen wollen und mich über deren Lob definiert. Was, so frage ich mich, ist aber davon meine Identität? Welche Teile des Festes entsprechen meinem eigenen Bedürfnis? Und besonders quälend ist die Frage für mich: Ist da überhaupt irgend eine eigene Identität, die ich freilegen kann. Das Experiment, so lange alles wegzulassen, bis mein Kern erscheint, habe ich erstmal nur mit diesem Fest durchgeführt. Meine Bedenken sind ja, dass, wenn ich das mit meiner gesamten Person auf einmal mache, nichts mehr von mir übrig bleibt.

21.01.2022 13:58 • #23


A
@Oli Okay, jetzt verstehe ich, was du meinst. Jetzt ergibt die Geschichte einen Sinn.
Wenn die Frage in dir aufkommt, was denn dann noch deine eigene Identität bleibt, dann ist die Last, die du dadurch mitträgst ja umso größer. Vielleicht kannst du damit anfangen Nein zu sagen, in Situationen in denen du versuchst Lob zu bekommen, und den Drang verspürst dich anzupassen. Ein starkes unkommentiertes Nein ist der erste Schritt zur Kontrolle über deine Gedanken/Gefühle/Emotionen.

Was die Medikamentierung angeht, habe ich keine Erfahrungen. Ich finde, ein guter Indikator ist, was deine Wiederkehrende Gedanken und Emotionen sind. Meditation hilft zum Beispiel auch ganz gut dafür. Wenn mich etwas nicht loslässt, ein Konflikt, eine Situation, dann merke ich das am Besten beim meditieren und wirkliche Erleichterung bekomme ich, wenn ich das kompromisslos genauso raushaue, wie es in meinem Kopf herumschwirrt. Je ungefilterter, unbedachter du Emotionen rauslassen kannst, umso weniger belastet es dich. Und in Folge dessen, hast du deine Emotionen besser unter Kontrolle, als wenn du alles in dich hineinfrisst.

21.01.2022 16:59 • #24


Tealight
Zitat von Oli:
Guten Tag! Ich bin neu hier und möchte mich zunächst bedanken bei den vielen Teilnehmer*innen, die hier offen berichten. Mich beschäftigt immer ...



Bevor ich auf deine eigentliche Frage eingehe...

Hast du vielleicht mal dran gedacht, eine Haar Analyse machen zu lassen?!
( über zb Amazon kannst du sie beziehen.)
Ich habe mir eine machen lassen, und kann sagen : sehr aufschlussreich.....

Lieben Gruß

21.01.2022 20:14 • x 1 #25


Oli
Haaranalyse sagt mir gar nicht. Ich werde mich mal schlau machen. Vielen Dank!

21.01.2022 20:42 • x 1 #26


Oli
@Uerdinger

15.10.2023 23:00 • x 1 #27


Dakota
Für mich persönlich ist Disziplin vor und nach der Depression tatsächlich ein wichtiger Faktor (Prävention und Nachsorge, wenn man so will). In der Depression bringt es mir nichts, da hat der Wille kaum Macht.

16.10.2023 10:49 • x 3 #28


Dys
Zitat von Oli:
Trotzdem gibt es aber ja Menschen, die es schaffen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen; mit Plänen und Joggen und Positiv-Tagebuch und all den schönen Sachen, die die Therapeut*innen bereit halten. Wie machen die das?

Ja, die gibt es wohl. Doch das beweist erstmal nur, dass es diese Menschen gibt. Oder eher, dass diese sagen, sie hätten es geschafft und dann natürlich auch Beispiele nennen, wie sie es geschafft haben. Um darüber zu befinden zu können, ob das nun bei einem selbst so funktionieren könnte, fehlen aber mitunter einige wichtige Informationen über die Faktoren, die bei den Anderen gegeben waren. Denn Depression hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab und wie sie überwunden werden kann, oft noch von weiteren. Sich also die Frage stellen, weshalb derjenige es geschafft hat, man selbst aber irgendwie nicht, bringt insofern garnichts, weil man nicht derjenige ist, sondern man selbst.

Ich persönlich habe beispielsweise festgestellt, das es mich irgendwie frustriert, wenn ich beim Joggen reihenweise von anderen Joggern überholt werde. Diese Frustration ist dem überwinden meiner Depression aber nicht zuträglich. Klar, mit entsprechendem Trainieren würde ich irgendwann mithalten können oder sogar Andere überholen können und auch mal den befreienden Flow erleben. Soweit die Ratio, die aber eben in dem Moment der Frustration keine Rolle spielt, sondern nur das aktuelle Gefühl. Dieses Gefühl kommt aber ja nur auf, weil es eine Vergleichsmöglichkeit gibt. Vergleiche bringen aber tatsächlich nur etwas, wenn die Bedingungen die selben sind. Dies sind sie aber bei depressiven Menschen nicht und eigentlich bei gesunden auch nicht. Daher bleibt alles objektiv betrachtet nur unter den jeweiligen subjektiven Gesichtspunkten zu betrachten und entsprechend individuell zu bewerten. Um meine subjektiven Befindlichkeiten korrekt bewerten zu können, muss ich zunächst mal ehrlich zu mir selbst sein und tatsächlich erkennen, dass meine Depression nicht alleine der Grund für alles ist und auch dementsprechend nicht als Rechtfertigung für mein Verhalten dienen kann. Als Ausrede kann ich sie aber immer gut einsetzen, auch wenn ich tatsächlich nur mal mies drauf bin oder keine Lust auf etwas habe, oder schlichtweg zu faul bin, also könnte, aber nicht will. Nur wenn ich wirklich nicht mehr kann, dann weiß ich, dass die Depression wieder zuschlägt. Dann reicht der Wille bei mir nicht mehr aus, dann ist es auch sicher keine Willenssache. Auch wenn es bei vielem Anderen wohl eine Sache des Willens ist. Wäre es nur Willenssache, würden Medikamente alleine nichts bringen, was aber bei mir nicht der Fall ist. Bei Therapie sieht es teilweise anders aus, da muss zumindest der Wille da sein, mich darauf einlassen zu wollen, was manchmal auch weniger der Fall war, weil es mich mit unangenehmen aber wahren Dingen, mich selbst betreffend, konfrontiert hat, die auch frustriert haben und eine gewisse Trotzigkeit hervorgerufen hatten. Da war natürlich der Wille dahin. Schlimmer noch, die Depression als Argument zog da auch nicht mehr.

16.10.2023 11:26 • x 1 #29


A


Hallo Oli,

x 4#15


Uerdinger
@Dakota ,
Zitat von Dakota:
Für mich persönlich ist Disziplin vor und nach der Depression tatsächlich ein wichtiger Faktor (Prävention und Nachsorge,

Ich kann mich da nur an Dakotas Meinung anschließen, z b wenn ich auch zum Sport gehe. Ich sehe nicht den dramatischen Unterschied zw einerseits Kontrolle und Disziplin und andererseits Selbstmitgefühl und Helferlein, denke ein Zwischenweg ist genau richtig. Allerdings kenn ich auch nicht die starken Unterschiede wie Dakota, innerhalb und außerhalb einer Depression
Kurzum: Ob mit oder ohne Depression brauche ich morgens mehr oder weniger Disziplin, um aufzustehen

26.12.2024 16:56 • x 1 #30

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