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Krank oder einfach unfähig? - Wie erkennen?

D
Hallo,

ich bin jetzt schon längere Zeit stille Mitleserin und muss erst mal sagen, dass ich das Forum wirklich toll und hilfreich finde - danke dafür!
Habe auch schon des Öfteren versucht einen Beitrag zu starten - aber das ist gar nicht so einfach . kurz nur zu mir: ich habe glaube ich schon seit Ewigkeiten leichte Depressionen (Innere Leere - keine Freude für irgendwas) und leider kamen in den letzten Jahren zusätzlich immer wieder - für mich - große Belastungen auf mich zu. 2017/2018 waren wir in der Arbeit dann auch komplett unterbesetzt und hier begann dann auch die Zeit, in der ich eigentlich nichts mehr auf die Reihe bekam (privat) und mich total abgeschottet habe, weil einfach keine Zeit mehr für was anderes war. Beruflich ging es soweit noch ganz gut weiter - ich habe eben weiterhin irgendwie funktioniert und hatte und die totale Wertschätzung von den Kolleginnen/Chef immer - das hat mir immer die Motivation gegeben weiter zu machen bzw. durchzuhalten. Jedoch standen seit 2017 eben Kopfschmerzen (Migräne), Rückenschmerzen, Magen-Darm Beschwerden, Tinitus, Schweißausbrüche usw. an der Tagesordnung und ich habe halt immer auf einen Herzinfarkt oder sowas gewartet. Irgendetwas, was eine Auszeit rechtfertigen würde . Aber das ist nie passiert.
Nachdem ich jetzt vor einiger Zeit ein Projekt ziemlich verbockt habe, haben die Kolleginnen Alarm geschlagen und ich bin seither im Krankenstand. Dadurch ist mir erst bewusst geworden, wie sehr auch meine Konzentration gelitten hat - und erst im Krankenstand habe ich erkannt, dass ich eigentlich nicht mal mehr fähig bin z.b. eine einfache Spielanleitung zu verstehen.
Was mich jedoch extrem stört oder mir unangenehm ist: ich fühle mich soweit eigentlich recht gut - ich bringe eben nur nichts auf die Reihe. Und das wiederum macht mich soweit fertig, weil mir der Krankenstand einfach total unangenehm ist - muss aber auch erkennen, dass ich für die Firma wahrscheinlich seit längerem schon eine Gefahr bin aufgrund der fehlenden Konzentration.

Wo aber ist die Grenze zwischen krank und einfach unfähig sein? Ich bin nun eben seit beinahe 10 Wochen im Krankenstand - und es hat sich soweit nichts geändert (außer, dass die körperlichen Symptome nachgelassen haben). D.h. ändert sich da überhaupt jemals was? Mein Arzt will mich auch auf Reha schicken - was aber, wenn die Ärzte oder ich dort dann erkennen, dass ich ja gar nicht krank bin, sondern dass ich halt einfach so unfähig/zu blöd bin, meinen Alltag auf die Reihe zu bekommen?
Habt ihr auch solche Zweifel/Gedanken? Und wie geht ihr damit um? Bin irgendwie total ratlos was ich tun soll - einfach einen neuen Job suchen? Einen, der eher zu mir passt, weil weniger Verantwortung benötigt? Oder ist es wirklich eine Krankheit und es kann tatsächlich eine Besserung geben? Wie sind eure Erfahrungen?

Freue mich auf viele Erfahrungsberichte von euch.
Danke Liebe Grüße

17.06.2021 10:26 • x 4 #1


Heideblümchen
Hallo liebe @DontKnowX ,

als ich deinen Bericht oben gelesen habe, habe ich mich sofort darin wiedererkannt. Vor genau demselben Problem stand ich auch vor 2 Jahren. Ich habe plötzlich Fehler im Beruf gemacht, fühlte mich überhaupt nicht mehr wohl, aber bei mir ging es dann noch einen Schritt weiter, weil ich eben NICHT auf die Anzeichen geachtet habe und immer weiter und weiter gemacht habe. Das war der Anfang vom Ende. Das Resultat waren dann 3 Schlaganfälle im Rhythmus von fast immer genau 3 Monaten. Am Ende war ich so verzweifelt, dass auch ich eine schwere Depression entwickelt habe.
Von daher schon mal: es ist gut, dass du die Zeichen gemerkt hast und dass du dich erst mal körperlich und vor allem geistig erholst. Auch mit den Fragen: wie geht es beruflich weiter? habe ich mich auseinandersetzen müssen. Ich wusste nur: so geht es nicht weiter, das ist nicht mein Job, nicht mein Ziel, ich arbeite mich nicht mehr für andere auf!

Anfang dieser Woche war auch bei meiner Psychologin und habe ihr genau dieselbe Frage gestellt wie du auch: bin ich überhaupt krank genug für eine psychosomatische Reha, in die mich die DRV schicken will. Die Antwort ist (für mich): JA. Ich erkenne meine Grenzen selber scheinbar nicht und muss eine andere Sichtweise entwickeln. Schwer, nach gut 54 Jahren, sich zu ändern. Aber ich bin tatsächlich schon wieder im selben Trott wie vor dem ersten Schlaganfall, weil ich immer noch nicht gelernt habe, dass es genug ist, was ich mache. Dass ich nicht immer 120 Prozent geben muss, sondern dass 100 auch reichen.
Meine Psychologin hat mir dieser Tage mal aufgezeigt, wie mein Leben derzeit aussieht. 50 % Teilzeitarbeit (vormittags), 30 % Zusatzjob (nachmittags), 20 % Haushalt, Familie, Garten. Und wo bleibe ich? Da sind keine % mehr für MICH. Und man hätte mir keine Reha vorgeschlagen, wenn es nicht nötig wäre.

Auch ich habe oft gedacht, ich wäre einfach zu doof, Zusammenhänge nicht mehr sehen und verstehen zu können. Weißt du was, @DontKnowX ? Der Kopf kann einfach nicht mehr. Es geht nichts mehr rein. Der Speicher ist voll. Alles, was man mir versucht zu erklären, geht (bei mir) nur noch bis zur Nasenspitze. Komplexere Zusammenhänge muss ich erst in Ruhe überdenken, mich mehrfach damit auseinandersetzen, damit ich sie nach und nach kapiere. Du bist damit also absolut nicht alleine und ich denke, es geht auch vielen anderen hier genauso. Und ich denke, man muss nicht so lange durchhalten, bis es gar nicht mehr geht. Der Körper, der Geist geben einem genug Vorwarnungen, man ist es nur einfach gewohnt, immer und immer weiter zu machen. Auch ich muss lernen, dass keinem damit gedient ist, wenn ich komplett ausfalle, weil ich wieder mal meine eigenen Grenzen nicht beachtet habe. Und ja, auch ich plage mich natürlich mit Schuldgefühlen, in eine Reha zu gehen, wo es doch garantiert Menschen gibt, die es viel nötiger haben als ich. Und ich mache mir Gedanken, dass mein Chef dann ganz alleine mit MEINEN Aufgaben zurückbleibt. Und ob ich in einer Reha soweit abschalten kann, um mir nicht die ganze Zeit Gedanken darüber zu machen, wie meine Lieben zuhause ohne mich klar kommen werden. Nur versuche ich gerade, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich hoffentlich erholt und mit neuen Sichtweisen aus der Reha zurück komme und bis dahin gelernt habe, dass auch wichtig ist, wie es mir geht, was ICH für Pausen brauche.

Nochmals, liebe @DontKnowX, du bist nicht alleine. Zweifel nicht an dir und/oder deinem Verstand. Gönn dir die Pause. Dein Druck hat sich sicher nicht von heute auf morgen aufgebaut. Genauso wird er sich nicht innerhalb von ein paar Wochen wieder auflösen. Und du weißt ja scheinbar selber aus Erfahrung, dass eine Depression einfach eine tückische Krankheit ist, die jeden auf unterschiedliche Art und Weise (und Dauer) erwischt oder erwischen kann. Nicht du bist doof, sondern die Krankheit! Und mit faul oder unfähig hat das alles nichts zu tun. Das bist du sicher nicht! Alles, alles Gute und pass auf dich auf!

17.06.2021 12:23 • x 2 #2


A


Hallo DontKnowX,

Krank oder einfach unfähig? - Wie erkennen?

x 3#3


D
Liebe @Heideblümchen ,

Vielen Dank für deine lieben Worte! Ich muss in dieser Hinsicht wirklich auch meinen Kolleginnen danken, die mich eben zum Krankenstand gedrängt/überzeugt haben ... ich hätte sicher ebenso wieder weiter gemacht und wie du die Zeichen nicht beachtet, bis wahrscheinlich der Körper wirklich endgültig aufgibt. Tut mir leid, dass es bei dir tatsächlich soweit kommen musste

Deine Worte haben mich wirklich berührt und zum Nachdenken gebracht. So leid es mir für dich tut, auch in so einer Situation zu sein - so hilfreich ist es jedoch für mich, zu sehen, dass man nicht alleine ist und sich verstanden fühlt. Eigentlich echt erschreckend, wie wenig man auf sich selber achtet bzw. wie schwer sowas überhaupt sein kann. Ich hoffe du erkennst auch bald, wie wichtig DU bist und lernst in der Reha gute Wege, wie du auch auf dich selber aufpassen kannst. Ich wünsche dir auch alles, alles Gute weiterhin!

17.06.2021 18:39 • x 1 #3


HolgerK
Hallo, @DontKnowX
bei deinem Beitrag fühlte ich mich in eine Zeit vor 10 Jahren zurückversetzt, als es mir beruflich und privat ähnlich ging. Wie eine Spirale drehte ich mich im Kreis. Ich fühlte mich zunehmend überfordert, unfähig, Aufgaben vernünftig zu erledigen und habe es immer versucht, durch Mehrarbeit auszugleichen, wodurch aber die Konzentration weiter absackte und ich noch mehr Fehler machte, so dass ich irgendwann einfach Angst vor der Arbeit hatte, aber leider keine Kollegen hatte, die mich so vor mir selbst schützten, wie es deine Kollegen taten. Der erste Schritt in den Krankenstand ist schon mal geschafft bei dir und du darfst es akzeptieren.
Und eines lass dir nicht einreden, auch nicht vor dir selbst, dass du unfähig bist. Du bist fähig! Du hast deine Ausbildung gemacht und du hast deinen Beruf im Griff gehabt. Das die körperlichen Symptome nachlassen, seit du im Krankenstand bist, sollte dir schon zeigen, dass es sich um eine Krankheit handelt. Die körperlichen Symptome sind nur ein Schutzmechanismus deiner Seele, dir zu zeigen, dass etwas falsch läuft. Ich bin kein Therapeut, aber Betroffener, und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es gut ist, sich eine Auszeit zu nehmen und aus einer gewissen Distanz auf dich selbst, deine Freizeit und deine Arbeit zu blicken. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, es ist hilfreich, in die Reha zu gehen, da dort Therapeuten als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Wenn es dir gelingt, mit ihnen so offen umzugehen, wie du es hier im Forum getan hast, werden sie dir auch zeigen, dass du nicht unfähig bist. So war es bei mir, allerdings nicht in der Reha, sondern erst als ich in der Psychiatrie gelandet bin. Aber soweit muss man es ja nicht kommen lassen. Für mich war es schwer, Hilfe anzunehmen, auch das musste ich erst lernen. Manchmal sind dort auch Sozialberater, die einem aufzeigen können, ob es besser wäre, einen anderen Beruf zu ergreifen, eine neue Firma zu suchen oder nach einer Art Reset mit neuer Kraft aber vielleicht veränderter Einstellung zum Beruf wieder einzusteigen.
Nutze die Zeit des Krankenstandes, nimm den Druck von dir. Burn-Out, Depression sind keine Erkältung, die 14 Tage dauert und dann wieder weg ist. Es baut sich langsam auf. Ich selbst habe es bei mir nicht erkannt, denn allein der ständige Umgang mit mir selbst hat mich blind gemacht, die schleichenden Veränderungen zu bemerken.
Nutze die Hilfe, die dir angeboten wird. Sei achtsam, dann findest du deinen Weg. Sei nicht ungeduldig, denn er kann lang sein. Alles Gute wünsche ich dir auf deinem Weg.

19.06.2021 10:08 • x 1 #4

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