Ich habe mich schon gewundert, wo der Thread mamma mia hingekommen ist. So weit, dass er umbenannt sein könnte, habe ich gar nicht gedacht.
Zu meiner Mutter hatte ich ein angespanntes Verhältnis. Das sagt mir meine Erinnerung an viele Szenen, aber auch mein deutliches Gefühl, auch wenn meine Geschwister (Schwester 11 Jahre älter, Bruder 15 Jahre älter) dagegen reden. Fotos zeigen mich als wohlbehütetes Nesthäkchen, adrett gekleidet, gut ernährt, immer im Kreise der Familie. Meine Mutter bekam mich, als sie 36 war und zu einer Zeit, 1956, wo überall Autschwung und Neuorientierung zu sehen und zu spüren war. Mir sollte es an nichts fehlen, doch der Druck, von kindlicher Seite auch mithalten zu sollen, war sehr groß. Ich durfte nie widersprechen, nicht jammern, nicht krank sein, musste immer zufrieden sein, Dankbarkeit und ein fröhliches Wesen zeigen. Zeigte ich trotz allen guten Umsorgens Schwäche, nahm meine Mutter dies sehr persönlich. In Gegenwart meines Vaters hatte sie nichts zu sagen. Vielleicht hätte sie dann meinen Kindersorgen mehr Gehör geschenkt. Erziehungsangelegenheiten oblagen meiner Mutter und dennoch schaffte es mein Vater, sich mit grausamen Ideen einzumischen, die mich zu Tode erschreckten. Ich habe seit frühester Kindheit gelernt, über Lösungen und Fluchtmöglichkeiten nachzudenken, auch wenn ein Ereignis erst in weiter Ferne lag. Erst wenn ich wusste, wie ich ein Problem entschärfen konnte, wurde ich ruhiger. Durch das Nachdenken wurde ich ein stilles Kind. Schüchtern war ich sowieso. Mach mir keine Schande, dann mag ich dich leiden, wie oft hörte ich diesen Satz. Zur Sorge um die Familie gehörte für meine Mutter auch, dass niemand über uns redete. Es war so wichtig, nach außen hin gut dazustehen. So bin ich überkorrekt, überpünktlich, überfleißig geworden, wobei ich stets den Blick auf mein Umfeld hatte, was da womöglich über mich gesagt wurde. Auf meine Bedürfnisse achtete ich nie und Nein zu sagen, fällt mir immer noch extrem schwer. Ich muss mich sehr konzentrieren, um nicht auch noch eine Rechtfertigung für meine Ablehnung zu liefern. Dass meine Mutter mit meiner Partnerwahl überhaupt nicht einverstanden war, stürzte mich in große Konflikte. Aber ich bin froh, dass ich mich durchgesetzt hatte. F. ist ein toller Mensch und ich liebe ihn sehr.
Selbst als ich eine eigene Familie hatte, konnte mich meine Mutter nicht loslassen. Ich wollte und MACHTE auch vieles anders in der Erziehung meiner Kinder und sicherlich auch Fehler. Ich kannte ja nur den einen von meinen Eltern vorgegebenen Weg durchs Leben und diese Richtung gab ich in manchen Dingen wohl meinen Kindern weiter. Vieles ist aber auch gut geworden.
Meine Mutter wendete sich oft beleidigt ab. Anscheinend habe ich hier ja nichts mehr zu sagen., das war einer ihrer Aussprüche mit Wirkung. Zumindest fing ich an zu überlegen, ob ich ihr wirklich Unrecht tat, wenn ich meine Ansichten durchsetzte. Ich fühlte mich so oft schuldig und geriet in einen tiefen Zwiespalt: Einerseits galt es die Mutter ehren, andererseits den eigenen Kindern gerecht zu werden. Erschwerend kam hinzu, dass meine Eltern, hauptsächlich aber meine Mutter, sich für die Betreuung unserer Kinder zur Verfügung stellten, damit ich meine Lehrerausbildung zu Ende machen konnte. Ich kann es heutzutage nicht mehr nachvollziehen, welchen Spagat ich hinlegte, mit 4 Kindern im Alter von 2 bis 12 Jahren noch eine ordentliche Lehramtsprüfung abzuliefern.
Als alle Kinder in Schule und Kindergarten waren und ich durch meine neue berufliche Aufgabe nicht mehr auf meine Eltern angewiesen war, begann die Zeit der wöchentlichen Besuche bei meinen Eltern, Jahr für Jahr. Die Wochenenden waren nicht einmal unangenehm. Es wurde gegrillt und meine Mutter war glücklich, dass sie ihre Enkel um sich hatte. Man erzählte über dieses und jenes.
Nach vielen Jahren brach die Kommunikation zusammen, weil erst meine Mutter, später mein Vater dement wurden. Ab einem gewissen Zeitpunkt konnte ich nicht mehr zu meinen Eltern fahren. Ich war ja nur das Besuchskind, während meine Geschwister sich um Haus und Finanzen, um Behördengänge und Pflege kümmerten. Nur zu Besuch zu kommen und zu sprechen ohne eine Antwort zu bekommen, oder Beschimpfungen und Vorwürfe auszuhalten, widerstrebte mir so sehr, dass ich jedesmal krank wurde, wenn wieder ein Besuch im Elternhaus anstand. Mein schlechtes Gewissen setzte mir so sehr zu! Aber ich konnte nicht. Außerdem hatte ich große Angst, meine Mutter könnte in meinem Beisein sterben. Als ich klein war, sagte sie einmal, du bringst mich mit deiner Ungezogenheit noch ins Grab. Ich weiß es noch ganz genau. War ich nicht ungezogen, wenn ich mich nun nur noch so selten blicken ließ? Wer krank ist, stirbt. Das war das nächste, das mir meine Mutter einbläute. ICH, Mayke, sollte meine Mutter besuchen, zu Zeiten, wo sie immer mehr körperlich verfiel, wie ein wandelndes Skelett aussah, krank und sprachlos war? Ich war Jahre vor dem Tod meiner Mutter (mein Vater starb 6 Wochen später) nicht mehr in meinem Elternhaus, obwohl es nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt lag. Manchmal rief ich unter dem Vorwand, gleich wieder Unterricht halten zu müssen, von der Schule an. Später schrieb ich nur noch kleine Briefchen mit Grüßen, nur um zu zeigen, dass ich nicht untreu oder gewissenlos war. Mir fehlte der Schlüssel zum angemessenen Handeln. Ich war nur am Tag der Beerdigung auf dem Friedhof und dann seit 10 Jahren nie mehr. Oft denke ich mir, was bin ich denn für eine schlechte Tochter! Hast so wenig Mumm in den Knochen, um nicht mal aus Anstand zum Friedhof zu gehen. Aber es ist nicht der Ort, um Erinnerungen zu wecken.
12.03.2019 11:13 •
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