Liebe @selly , auch wenn dein Beitrag schon etwas älter ist, möchte ich mich gerne als Partnerin eines depressiven Mannes dazugesellen. Nur mit dem Unterschied, das der Zustand des Kontaktabbruchs bei uns erst einen knappen Monat andauert, ich aber gerne meine Empfindungen dazu teilen möchte.
Die ersten ein bis zwei Wochen war für mich mehr oder weniger der blanke Horror. Meine Gedanken liefen Amok, an Gefühlen durchlebte ich eine wahre Achterbahnfahrt (Überforderung, Wut, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Zweifel etc.), immer wieder malte ich mir Horrorszenarien aus ala Was wenn er mich gar nicht mehr als Partnerin haben möchte? bis hin zu immer wiederkehrenden Heulattacken aus dem Nichts heraus wenn ich zu sehr in der Vergangenheit verweilte, wo noch alles gut und puderrosa war.
Von seiner Depression weiß ich von Anfang an, noch bevor wir ein Paar wurden. Er war dahingehend immer sehr offen und wir haben sehr viel darüber gesprochen. Er teilte mir bereits vor Monaten mit, dass diese Phasen teils von jetzt auf gleich auftreten können und er dann nur noch weglaufen möchte. Und er hasst es abgrundtief wenn er sich in diesem pathologischen Zustand befindet. Ich wusste also sehr genau auf was ich mich einlasse, aber dass alles hat mich nicht davon abgehalten eine Beziehung mit ihm einzugehen. Außerhalb der Depression, wenn er stabil ist, ist er der denkbar liebevollste, empathischste und zärtlichste Mensch, den man sich nur wünschen kann. Auch sagte er mir einmal, dass er sich genau davor fürchtet, dass wenn er in das schwarze Loch fällt, er es dann an mir auslassen könnte und genau dass wolle er nicht. Nur wenige Tage, bevor er sich komplett verschloss, sagte er mir noch wie froh er ist, dass er mich in seinem Leben hat und schon da bemerkte ich, dass er sich langsam, aber stetig, auf einem absteigenden Ast befand. Er wurde distanzierter, antwortete nicht mehr so liebevoll wie sonst. Ich muss dazu sagen, wir leben in einer Fernbeziehung, dass macht das Ganze alles nochmal ein wenig komplizierter und schwerer. Uns bleibt nur die Kommunikation per WA und Telefon. Mal eben so bei ihm sein kann ich leider nicht.
Nun ist wieg. ein Monat vergangen, in dessen Verlauf ich kein Wort mehr von ihm gehört habe. Ich lese sehr viel zu dem komplexen Thema Depression. Schon seit dem Zeitpunkt als ich um seine Erkrankung wusste, hatte ich begonnen mich damit auseinanderzusetzen. Ich hatte wortwörtlich von Tuten und *beep* keine Ahnung was diese Krankheit mit einem Menschen anstellen kann und was diese aus einem macht. Sein Verhalten nicht persönlich zu nehmen fiel mir, gerade in der ersten Woche,
sehr schwer, denn ich sah, dass er weiterhin auf Instagram aktiv ist und dort diverse Postings liked, aber alles was mich betrifft wird hart ignoriert und ausgeklammert. Ja, sowas tut weh, verdammt weh, aber ... und dass muss ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen: Das ist nicht er. Es ist die Krankheit.
Die vergangene Woche bin ich dazu übergegangen mich emotional mehr und mehr zu distanzieren, weniger an ihn und mehr an mich zu denken. Ich treffe mich mit Freunden und gestalte mir mein Leben so bunt, warm und gemütlich so gut ich es vermag. Und ich muss sagen: Es hilft. Mich emotional davon abzugrenzen klingt im ersten Moment schwer, aber man muss es tun wenn man in dieses Loch nicht hineingezogen werden möchte. Sendete ich ihm zu Anfangs jeden Tag eine Nachricht, bin ich inzwischen dazu übergangen ihm einmal in der Woche eine kleine Nachricht zukommen zu lassen. Völlig frei von Emotionen, sondern mit der Rückversicherung, dass ich nach wie vor für ihn da bin wenn er wieder dazu bereit ist und ich mich bewusst weniger bei ihm melde um ihn den Raum und die Ruhe zu geben, die er nun benötigt. Es gibt keine Vorwürfe oder Forderungen von meiner Seite. Auch werde ich mich nicht jammernd an ihn klammern oder gar ihm nachlaufen. Wenn er wieder kann, dann weiß er wo er mich findet: Am Rande der Akkretionsscheibe des schwarzen Lochs, in dem er gerade hockt.
Liebe Selly, was ich damit ausdrücken möchte ist: Selbstabgrenzung, vor allem emotional, ist die Quintessenz im Umgang mit einem psychisch Kranken. Ebenso Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Er bedeutet mir dadurch nicht weniger, im Gegenteil. Er wurde aufgrund dessen schon von so vielen Menschen in seinem Leben verlassen und allein gelassen (was man im Angesicht der Schwere und Verwirrung, die diese Krankheit mit sich bringt, niemanden verdenken kann, denn nicht jeder ist einer solchen Belastung gewachsen) und ich möchte ihm gerne zeigen, dass es durchaus Menschen gibt, die es trotzdem ernst mit ihm meinen und bei ihm bleiben. An guten wie in schweren Tagen.
Ich danke dir fürs zulesen.