Hallo, meiner Meinung nach wird es mit der Angst vor der Begutachtungssituation besser, je mehr Du über das Thema weißt. Das Wichtigste: Es geht nicht um Dein persönlich empfundenes Leid, sondern um die Funktionsbeeinträchtigungen die Deine Erkrankung mit sich bringt. Erwerbsfähigkeit setzt sich aus 13 einzelnen Fähigkeiten zusammen. Das sind solche Dinge wie die Fähigkeit zur Einhaltung von Regeln und Routinen oder die Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, Die Fähigkeit zur Kompetenz- und Wissensanwendung, die Durchhaltefähigkeit, die Kontaktfähigkeit zu Dritten und Teamfähigkeit, die Verkehrs- und Wegefähigkeit usw. usw. Weiterführende Infos findest Du sicher, wenn Du das Thema mini ICF googlest.
Alle gutachterlichen Fragen werden darauf abzielen, welche der o.g. Fähigkeiten in welchem Ausmaß beeinträchtigt sind. Beispiel: Wie sind sie zur Untersuchung gekommen? Die Frage zielt auf die Verkehrs- und Wegefähigkeit ab. Selbst gefahren? Ja = Verkehrs- und Wegefähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Öffentliche Verkehrsmittel benutzt? Ja = Verkehrs- und Wegefähigkeit nicht beeinträchtigt, Kontaktfähigkeit. vermutlich auch nicht beeinträchtigt, da Du öffentliche Verkehrsmittel vermutlich nicht alleine benutzen kannst. Ein depressiver Mensch nimmt z.B. oft Medikamente wie schlafanstoßende Antidepressiva, die einen Hangover verursachen, also benommen machen und traut sich daher nicht mehr, selbst Kfz zu fahren. Leidet er zusätzlich an Panikattacken, kann er möglicherweise keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, da dies angstbesetzte Situationen sind. Damit wäre die Verkehrs- und Wegefähigkeit schon mal stark eingeschränkt. Ist sie ganz aufgehoben, wäre dies alleine für eine Berentung ausreichend, weil wer nicht zur Arbeit kommt, nicht arbeiten kann.
Die Gutachterin wird auch immer den aktuellen Tagesablauf erfragen. Aus den geschilderten Tätigkeiten lassen wiederum viele Rückschlüsse auf die o.g. Fähigkeiten schließen. Beispiel: Ich lese viel = kann sich noch konzentrieren, also vermutlich auch Aufgaben planen und strukturieren.
Fragen zu sozialen Kontakten lassen Rückschlüsse auf die Depressivität und somit wieder auf einzelne Fähigkeiten zu, ebenso gibt die Antwort Aufschluss über die Kontakt- und Teamfähigkeit.
Die optimale Vorbereitung bei einem Berentungsbegehren ist also, sich mit den 13 Fähigkeiten zu befassen und herauszuarbeiten, wie weit sich die eigene Erkrankung auf die einzelnen Fähigkeiten auswirkt. Dabei darfst Du nicht den Fehler machen, mit Fachwissen zu glänzen, denn dies alles sind Dinge, die ein üblicher Proband in einer Begutachtung nicht weiß.
Weiterhin ist Begutachtung immer auch Beobachtung. Kleidung, Körperhaltung, Mimik, Sprache, Stimme, Schnelligkeit der Antworten, Bewegung usw. usw., all dies lässt Rückschlüsse auf das Ausmaß der Erkrankung zu.
Die Welt ist leider nicht objektiv und sachlich, sondern es läuft sehr vieles Interessengesteuert ab. Die Rentenversicherung ist grundsätzlich eher fair, die Gutachter sind es oftmals nicht, da sie ja für einen Auftraggeber arbeiten und Folgeaufträge davon abhängen. Darum halte ich eine gewissenhafte, am eigenen Ziel ausgerichtete Vorbereitung für erfolgversprechender, als natürlich aufzutreten. Selbstverständlich sitzt Du einem Profi gegenüber, aber der ist auch nur ein Mensch. Werde ihm durch Vorbereitung ebenbürtig.
Rechne mit Fragen, warum Du nicht mehr arbeiten kannst, welche Deiner Symptome Dich am meisten belasten, zu Deinem Freizeitverhalten, zu Deinen Hobbys und Interessen, zu Häufigkeit und Umfang Deiner sozialen Kontakte, sowohl innerhalb und außerhalb der Familie, zu Deinen Aktivitäten (Tagesablauf), wie Du Dich fortbewegst, wieviel Sport Du machst, nach Ess- und Trinkgewohnheiten, nach Deinem Wohnumfeld (eigenes Haus = viel Arbeit, wer macht die), nach zu pflegenden Angehörigen (ist auch Leistung) usw. usw. Rechne immer mit Folgefragen. Wie sind sie hergekommen? Mit dem Taxi. Wieviel hat die Fahrt gekostet?
Krank zu sein reicht oft nicht, man muss es auch noch richtig machen. Klingt zynisch ist aber wahr.
Gruß Peter
23.02.2019 16:32 •
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