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Studieren mit Depresionen

A
Hallo,

Dies ist mein erster Beitrag, ich bin gar nicht sicher, wo ich anfangen soll. Wahrscheinlich werde ich viel zu weit ausholen, aber ich glaube, ich will das einfach mal alles runterschreiben und mir vor Augen führen, wie weit ich gekommen bin.

Ich bin 31 Jahre alt und studiere im Bachelor Germanistik, Anglistik und Mathe auf Grundschullehramt - immer noch.

Ich war 13, als meine Mutter, die der wichtigste Mensch für mich war, mit Krebs diagnostiziert wurde und ich war 19 (es waren zwei Wochen vor meinen Abiturprüfungen) als sie im Hospiz verstarb. Danach ging es bergab mit mir. Ich bestand das Abitur, auch mit viel Wohlwollen der Lehrer, bewarb mich für einen Studienplatz und bekam keinen. Mein Vater suchte mir einen Platz als FSJler in einem Behindertenheim, wo ich dann ein Jahr arbeitete. Es war schwer, die Menschen dort mit physischen und psychischen Krankheiten zu sehen und gleichzeitig ständig an meine Mutter zu denken. Viele Tage war ich nur am Weinen und wurde von Kollegen früher nach Hause geschickt. Sie waren damals sehr nett zu mir und suchten auch einen Psychologen für mich heraus und fragten, ob sie mit mir zusammen hingehen sollten. Ich erzählte meinem Vater davon und er wiegelte grob ab, ich bräuchte doch keinen Psychiater. Das schreckte mich ab, ganz besonders weil meine große Schwester und mein Vater nichts von psychischen Krankheiten halten. Meine Tante und ihre Tochter waren beide über die Jahre mehrmals in Kur und jedes Mal haben sich mein Vater und meine Schwester abfällig darüber ausgelassen, dass man sich ja auch anstellen kann usw.
Nach dem FSJ bekam ich einen Studienplatz an meiner jetzigen Uni und fing an zu studieren, was ich leider immer noch studiere. Die ersten Jahre waren die Hölle. Ich zog mit Studienstart in die Stadt meiner Uni und kannte dort niemanden. Ich war nicht in der Lage, Freude und Aufregung zu empfinden, ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich bin aus Vorlesungen herausgekommen und hätte nicht sagen können, was das Thema der Sitzung gewesen war. Ich träumte jahrelang jede Nacht denselben Traum von meiner Mutter und wachte weinend auf. Ich fing an, später ins Bett zu gehen und früher wieder aufzustehen. Irgendwann, ich kann nicht mal sagen wann, weil es alles wie im Nebel ist, konnte ich gar nicht mehr aus dem Bett kommen. Es geschah dann wöchentlich, dass mir nach ein paar Tagen das Essen ausging und ich bis zu ein, zwei Tage gar nichts aß, bis ich die Kraft aufbringen konnte, aufzustehen und einkaufen zu gehen. Ich schaltete mein Handy bis zu einer ganzen Woche aus und es kostete mich eine unglaubliche Überwindung, es anzuschalten und Anrufe meiner Schwester oder meines Vater zu beantworten, die nur über die Uni reden wollten. Ich sagte Verabredungen am Wochenende mit Freunden ab, weil ich es nicht ertragen konnte, unter Leute zu gehen. In meiner Wohnung hatte ich alles abgedunkelt, was man nur dunkel machen konnte. Ich fing an, sehr viel zu schlafen und trotzdem nie richtig fit sein zu können. Der Gang zum Briefkasten bereitete mir Bauchschmerzen. Mir kam nicht mal der Gedanke, Hilfe zu rufen. Zu der Zeit waren alle Freunde zerstreut in verschiedene Städte und ich hatte keine beste Freundin, der ich mich hätte anvertrauen können. Mein Vater und meine Schwester hackten regelmäßig auf Langzeitstudenten und Menschen mit psychischen Krankheiten herum, sodass mir nicht mal im Traum eingefallen wäre, mich an sie zu wenden. Ich dachte auch nicht, dass ich eine Krankheit hatte, ich dachte, ich wäre schwach und faul und müsste mich einfach mehr anstrengen.
Das war, glaube ich, der Wendepunkt für mich. Ich hätte daran zerbrechen und eines Tages einfach verhungern können, aber stattdessen begann ich, mir Gedanken zu mir selbst, meiner Situation und zu meiner Beziehung mit meiner Schwester und meinem Vater zu machen. Ich mache das immer noch und meine jetzigen Freunde nennen das dann immer Selbsttherapie
Langsam ging es mir besser, ich konnte ein paar Scheine an der Uni machen, dann lief in einem Fach die Studienordnung aus, weswegen ich mich auf die neueste umschreiben lassen musste und alte bestanden Scheine überflüssig wurden während weitere neue Scheinanforderungen hinzukamen. Das warf ich mich etwas aus der Bahn und frustrierte mich. Aber ich fand eine Lösung zum Beispiel fürs Praktikum in der Anglistik (in der alten Studienordnung mussten wir vier Wochen an einer Schule in einem englischsprachigen Raum sein; das war ich, und lag nach der Schule jedes Mal im Bett) in der neuen Studienordnung wurden es 12 Wochen. Also suchte ich mir einen Job bei ruf Reisen als Sprachteamer für Englisch und arbeitete in zwei Saisons für jeweils 5 Wochen für ruf. Darauf war ich sehr stolz, denn erstens hatte ich es mir alleine herausgesucht und selbst eine Lösung für das Problem mit den zusätzlichen Praktikumsstunden gefunden (denn meinen Vater wollte ich auf keinen Fall um finanzielle Hilfe für einen weiteren Aufenthalt im Ausland fragen) und es war das erste Mal seit es mir so schlecht ging, dass ich aus meiner gewohnten Umgebung herauskam. Es tat so wahnsinnig gut.
Aber ich kam zurück und hatte immer noch mit Depressionen zu kämpfen. Ganz besonders zu Semesterende machte ich mich praktisch vor Angst selbst krank und fühlte mich erst besser, wenn ich im Bett liegen blieb und die Prüfungen sausen ließ.
Als ich einmal zu meinem jahrelangen Hausarzt ging wegen einer Impfung, fing er plötzlich an, mich über mein Studium auszufragen und wie lange ich denn noch studieren würde usw. Ich fühlte mich bedrängt und wollte gehen, als er sagte, dass mein Vater ihn gebeten hätte, mit mir zu sprechen. Ich kann nicht mal ansatzweise erklären, wie verraten und gedemütigt ich mich fühlte. Als mein Vater mir dann zwei psychologische Lebensberater heraussuchte, brachte ich es nicht über mich, mehr als einmal zu ihr zu gehen, weil ich ständig das Gefühl hatte, unter der Kontrolle meines Vaters zu stehen, auch wenn ich natürlich wusste und sie mir auch versicherte, dass alles, was wir besprachen unter die Schweigepflicht fiel.
Ich habe mir eine andere Beratungsstelle vor zwei Jahren gesucht und bin dort ein, zweimal gewesen, habe aber aufgehört, weil es von den Tagen her mit der Uni und dem Job nicht mehr klappte und ich das Gefühl hatte, dass ich endlich besser mit der Uni umgehen konnte und ein Licht am Ende des Tunnels sah. Eine Freundin etablierte sich zu meiner besten Freundin, der ich alles anvertrauen konnte, was ich durchmachte, und die mir zuhört, mich versteht und immer auf meiner Seite ist, wenn mein Vater oder meine Schwester mal wieder verbale Seitenhiebe loslassen.
Dann fing es letztes Jahr an, dass ich auf einmal wieder müde wurde. Meinen Job konnte ich zu dem Zeitpunkt noch gut ausführen, aber in der Uni bei Seminaren konnte ich mich schwer konzentrieren. Trotzdem hielt ich durch. Aber es wurde schlimmer. In den Semesterferien im Februar/März wechselte ich den Job und hatte erst einmal zwei Wochen Training mit jeweils 4 Stunden pro Tag. Außerhalb des Trainings lag ich nur im Bett und konnte nur schlafen, im Training konnte ich nichts im Kopf behalten. Ich hatte wahnsinnige Angst, auf einmal wieder in schwere Depressionen zu rutschen, dass ich das nie bekämpfen könnte. Im Mai saß ich dann heulend bei meiner (neuen) Hausärztin und sie hatte sofort den Verdacht auf Schilddrüsenunterfunktion. Verdacht wurde dann per Bluttest bestätigt. Ich war erleichtert, dass es einen Grund für meine Verfassung gab, aber das machte die Depression nicht besser. Als ich anfing die Schilddrüsenunterfunktionstabletten zu nehmen, ging es mir anfangs besser, aber dann stetig schlechter (ich bin immer noch nicht mit der richtigen Dosierung eingestellt, meine Blutwerte werden immer noch schlechter), bis ich dann jetzt in den Semesterferien gar nichts mehr konnte. Ich konnte meinen Job nicht machen, konnte die Hausarbeiten nicht schreiben (ich dachte, es läge an der Hitze; meine Wohnung ist im Dachgeschoss und ich fühlte mich diesen Sommer rund um die Uhr überhitzt) und dachte (mal wieder) ich würde mich nur anstellen und faul sein.
Meine Studienordnung wird nach diesem Semester in meinem anderen Fach ebenfalls auslaufen. Als ich jetzt gerade gelesen habe, dass ich bis zum 4.10. Zeit habe, um zu klären, was mit meiner Einschreibung los ist (es war eine PC generierte Email), dass ich es mir also sparen kann anscheinend zu versuchen, bis zum 30.09. noch Leistungen zu erbringen, da die Dozenten bis zum 04.10. das eh nicht korrigiert bekommen, habe ich mich gefühlsleer und seltsam erleichtert gefühlt. Die ganzen letzten Wochen habe ich viel geweint und mich gestresst gefühlt und mich als Versagerin gefühlt, weil ich nichts hinkriege. Und jetzt überlege ich, ob ich, nachdem ich eine Jobbewerbung geschrieben habe, vielleicht irgendwo spazieren gehe. Und dass ich morgen abkläre mit der Uni, welche Kurse ich nächstes Semester dann besuchen muss, falls ich nicht exmatrikuliert werde.
Seltsam, am Anfang dieser Email hab ich noch geweint und jetzt nicht mehr. Ich weiß nicht, irgendwann hab ich das Gefühl, ich sollte anders fühlen als das was ich jetzt tue. Ich meine, ich will das Studium unbedingt abschließen (zumindest den Bachelor). In den letzten Jahren hat mein Vater mich gezwungen, mich für Ausbildungsplätze zu bewerben. Das tat ich auch, ich suchte mir Berufe heraus, die mich interessieren könnten, bewarb mich und wurde zu Vorsellungsgesprächen eingeladen. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, umso verstand ich, dass ich das nicht wollte. Ich finde Deutsch und Englisch spannend, ich liebe Sprachen, wenn ich mehr Zeit habe, möchte ich Französisch und Spanisch wieder auffrischen, und ich möchte gerne in einer Schule oder als Übersetzerin oder ähnliches arbeiten. Deswegen versuche ich gerade einen Job zu finden, der in die Richtung geht, damit ich wenigstens schon mal einen Fuß in der Tür hab.

Na ja, mal sehen, was jetzt passiert. Ich habe das Gefühl, ich habe mich persönlich sehr viel weiterentwickelt, habe sehr viel an mir gearbeitet und auch besonders meine Beziehung zu meiner Schwester und meinem Vater neu bewertet, indem ich nicht alles glaube, was sie über mich sagen und nicht mehr von ihnen erwarte, als sie tatsächlich bereit sind zu geben. Es fehlt nur noch der Durchbruch mit dem Studium. Und weil ich mich jetzt im Moment so gut fühle, macht mir das etwas Angst. Ich werde in zwei Wochen zu der psychologischen Beratung an der Uni gehen. Ich bin einfach nur frustriert. Meine Lebensqualität hat im letzten Jahr dank der Schilddrüse unglaublich gelitten, aber ich dachte, solange ich einen großen Sprung vorwärts mit der Uni mache, wäre es das wert. Und jetzt ist selbst das mir genommen worden. Ich hasse das Gefühl, seit Jahren auf der Stelle zu treten - und komischerweise hasse ich es auch, dass ich so über das lange Studieren denke, denn ich weiß noch, als ich anfing zu studieren, gab es viele Diplom(?)studenten, die bewusst und offen zugaben, bis zu 20 Semester studieren zu wollen, weil sie so viel mitbekommen wollten, wie sie können oder einfach noch nicht ins Berufsleben eintreten zu wollen. Ich wünschte, ich könnte das auch etwas lockerer sehen und mich nicht so schämen, ganz besonders weil es ja einen Grund gibt für das alles. Und dank des Studiums hab ich viel an mir persönlich arbeiten können und viele interessante Kurse belegen können.

Falls jemand die Geduld hatte, bis zum Ende zu lesen: Gibt es andere unter euch, die Depressionen im Studium hatten/haben? Würde da gerne eure Erfahrungen hören!

Ciao Anna

26.09.2018 08:44 • #1


Forenleitung
Hallo,

sicherlich wirst du noch weitere Antworten erhalten.

Bis dahin könntest Du dir schon einmal diese ähnlichen Themen durchlesen:

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Liebe Grüße

26.09.2018 12:58 • x 1 #2


A


Hallo annasa,

Studieren mit Depresionen

x 3#3


CeHaEn
Moin Anna,

schön, dass du hierher gefunden hast. Deine beschriebenen Fortschritte finde ich wirklich beachtlich. Es kann unheimlich schwierig sein, die Sichtweisen nahestehender Menschen nur mehr zu akzeptieren, anstatt sich die darin enthaltenen Bewertungen voll zu Herzen zu nehmen. Tatsächlich bin ich selbst auf mehr Verständnis für das Thema gestoßen, als ich es erwartet hatte. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, denen bereits das bloße Konzept von Depressionen oder anderen Krankheitsbildern völlig fremd sind. Blöd, aber isso.
Jedenfalls hast du einen Punkt erreicht, welcher für mich noch ein Ziel ist.

Und: Willkommen im Club - ich bin seit dem WS 2007/08 eingeschrieben. Nach sechs Semestern habe ich das Studienfach gewechselt und eigentlich wollte ich schon 2014 meine Bachelorarbeit schreiben. Deine Situation kommt mir teilweise sehr bekannt vor.
Der Text wird jetzt lang.

Eine Tendenz zur Depression habe ich wahrscheinlich schon sehr lange, wobei es für mich erst als junger Erwachsener (also noch jünger als jetzt )so richtig losging. Das Studium war dabei lediglich mein Plan B.
Bei der Bundeswehr ging es mir gut und ich hätte meinen Wehrdienst gerne noch um 9 Monate verlängert, aber in meiner kuscheligen Kompanie war kein Platz und ich wollte keine Versetzung. Ich schrieb einige Bewerbungen und kam einem Kindheitstraum nahe: Trotz bescheidener Abi-Noten lud mich die Lufthansa zum Eignungstest ein. Da fiel ich leider in der ersten Runde knapp durch und das war bitter, aber ich weiß, dass ich es immerhin ernsthaft versucht hatte.
Mein physiklastiges Studium begann ich zuversichtlich. Das war bei 3 Punkten in Mathe zwar auch irgendwie tollkühn, aber ich fühlte mich motiviert und dachte, dass ich den Stoff schon auf die Reihe bekommen würde. Dem war leider nicht so und das hat mich arg mitgenommen. Einen Fehler sehe ich darin, dass ich zu lange an diesem Plan festhielt und mich erst nach sechs Semestern um Veränderung bemüht habe. Eine frustrierende zwischenmenschliche Geschichte kam noch dazu.

Tatsächlich dürfte ich zu diesem Zeitpunkt sehr tief in einer schweren depressiven Episode gesteckt haben, denn der Gedanke an ein Ende war sehr real. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte mir allerdings auch nicht eingestehen, möglicherweise krank zu sein.
Als ich für das neue Studienfach eine Zusage bekam, konnte ich allerdings wieder neuen Mut schöpfen. Ich hatte auch einen Kommillitonen, der mit mir zusammen wechselte und zunächst sah die Welt viel besser aus. Einzig die Module, auf die ich wirklich keine Lust hatte, schlugen mir auf die Stimmung. 2012 stand dann gar der dritte Prüfungsversuch im letzten Hassfach an und ich verspürte großen Druck. Für den ersten Klausurtermin ließ ich mich dann auch krankschreiben; ich hatte in diesem Sommersemester noch ein Seminar, eine große Exkursion und eine weitere Prüfung über vier Vorlesungen vorzubereiten. Die Nachschreibklausur bestand ich mit 4,0 und ich war froh! Von da an würde es nämlich keine Hassfächer mehr geben.
Im folgenden Wintersemester wollte ich es nach dem stressigen Sommer langsam angehen lassen; nur das Hauptseminar und ein zweites kurzes Modul. Das Hauptseminar musste ich abbrechen. Ich konnte mich nicht richtig auf die Arbeit konzentrieren, war bei Schwierigkeiten schnell frustriert, allgemein gereizt und der Schlaf war in dieser Zeit sehr schlecht. Das zweite Modul bestand ich dann aber fast mit links - es hing mit meinem Lieblingsfach zusammen. Den Rest dieses Wintersemesters verbrachte ich mit einem angenehmen HiWi-Job und verschob das Hauptseminar ins SoSe 2013.

Die angedachte Pause sollte ich nicht bekommen. Zu Beginn der Semesterferien wäre mein Vater beinahe in ein hypoglykämisches Koma gefallen und kurz vor Ostern erhielt er eine Krebsdiagnose. Chemo und Bestrahlung für Papa, Hauptseminar für mich. So sah die Vorlesungszeit des Sommersemesters aus. In den Ferien kamen dann noch das Studienprojekt mit Exkursion und dickem Arbeitsbuch auf mich zu. Am Morgen nach meiner Rückkehr von der Exkursion wurde mein Vater operiert und war danach krebsfrei. Die Genesung dauert aber leider sehr lange. Paps lag drei Monate lang im Krankenhaus und wurde nicht richtig gesund. Während dieser Zeit war ich zweimal täglich kurz bei ihm und hatte noch das Studienprojekt zu bearbeiten. Dieses bestand ich dank der Hilfe meiner Kommillitonen auch mit einer tollen Note, aber mein Vater wurde für drei Wochen in eine andere Klinik verlegt. Nach weiteren zehn Tagen zu Hause sollte er dann wieder in sein erstes Krankenhaus zurück. An seinem letzten Tag zu Hause verstarb er vor meiner Nase, das war Ende November 2013.

Meine eigene Trauer schob ich sehr lange vor mir her. Für den Abschluss brauchte ich noch Praktika im Umfang von mindestens 14 Wochen und die Bachelorarbeit. Die 14 Wochen absolvierte ich ab April 2014 am Stück in zwei Praktika, wobei ich während des ersten Praktikums das Thema meiner Bachelorarbeit vorbereitete. Kurz vor Beginn der Praktikumsphase war allerdings meine Großmutter verstorben und am Ende des zweiten Praktikums verstarb der Mann einer Kollegin. Ich hatte die Nase voll von Krankheit und Tod.
Im August widmete ich mich wieder der Vorbereitung auf die Bachelorarbeit. Im September äußerte meine schwer kranke Tante den Wunsch, zu meiner Mutter und mir ins Haus zu ziehen. Dem stimmte ich zu, obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Ich habe dämliche Tugenden über mein eigenes Wohlergehen gestellt. Der Umzug würde erst im Dezember stattfinden, weil bis dahin noch zwei Zimmer im Haus renoviert werden mussten und ich meine Arbeit hatte. Ich konnte mich allerdings wieder nicht richtig auf meine Bachelorarbeit konzentrieren und schob bereits die Anmeldung beim Prüfungsamt auf.
Meine Tante im Haus war eine große Belastung. Mit ihrer Pflege hatte ich nicht so viel zu tun, aber ihr Verhalten machte mir sehr zu schaffen. Im Juni 2016 musste sie plötzlich ins Krankenhaus und verstarb dort nach zwei Tagen. Sie hatte nie erzählt, wie schwer ihre Erkrankung wirklich war und ich denke, dass sie von Anfang an zum Sterben ins Haus kam. In ihrer Heimatstadt hatte sie nämlich niemanden mehr.
Bis dahin hatte ich einige neue Anläufe für die Bachelorarbeit gestartet, die jedoch allesamt ins Stocken geraten waren. Ich hatte mich auch für den Masterstudiengang beworben; in der Hoffnung, den Bachelor rechtzeitig zu schaffen. Dazu bekam ich zweimal die vorläufige Zulassung, die ich jedoch nicht annehmen konnte. Ich war mental nicht dazu in der Lage. Anfang 2016 suchte ich mir endlich Hilfe, erst bei meiner Hausärztin und dann bei einem Facharzt/Therapeuten. Nach dem Tod meiner Tante kam eine neue vorläufige Zulassung für den Master und ich fühlte mich etwas im Aufwind.
Ende August kam der nächste Schlag. Weiter oben habe ich bereits diese zwischenmenschliche Sache erwähnt. Die habe ich bis heute übrigens nicht richtig verkraftet, weil es auch danach noch einiges Auf Ab geben sollte...
Ich nahm dennoch die Arbeit für den Bachelor erneut auf und trat auch das Masterstudium an. Das erste Semester wollte ich langsam beginnen. Wenige Wochen nach Beginn der Vorlesungen erhielt ich Post vom Immatrikulationsamt. Sinngemäß: Sorry, wir hätten dich ja gar nicht mehr zulassen dürfen und du bist wieder nur als B.Sc. eingeschrieben. Hoppla!
Meine Motivation war wieder ganz weg und ich hatte die Nase voll. Ich wollte mir einige Monate zum Runterkommen nehmen.
Im April 2017 holte ich mir eine Überweisung für eine psychiatrische Klinik und ging für dreieinhalb Monate in stationäre Therapie. In der Klinik ging es mir bald besser und nach der Entlassung war ich energiegeladen. Ich hatte meinen alten Bachelor-Betreuer kontaktiert und wir begannen mit einem neuen Thema für meine Bachelorarbeit.
Leider hielt die gute Phase nicht lange an und ich fiel im Herbst wieder in ein Loch, die Arbeit stoppte ein weiteres Mal. Therapeutisch begriff ich, dass einige meiner Baustellen offenbar wesentlich größer sind, als ich es bislang angenommen hatte. Dazu kam ein sehr persönlicher Schlag, der mich sehr lange stark beschäftigen sollte.

Jetzt stehe ich wieder an dem Punkt, an dem sich etwas in Richtung Abschluss bewegen muss. Der nächste Schritt wäre ein simpler Anruf, aber es fällt mir unglaublich schwer.

26.09.2018 21:38 • x 1 #3


A
Hallo CeHaEn,

Entschuldige die späte Antwort, aber in den letzten Tagen kam dann doch etwas mehr Panik auf, was zum Glück nach morgen dann vorbei sein wird, wenn ich bei der (nicht so) netten Dame vom Prüfungsamt gewesen bin. Außerdem hatte ich insgeheim Angst, jemand könnte mir antworten, ich solle einfach mit dem Studieren aufhören.... :'D

Erstmal lieben Dank, dass du dich durch meinen langen Beitrag gelesen hast! Der ist eindeutig länger geworden, als ich es gewollt hatte...
Zu lesen, was dir passiert ist, war sehr schwer. Seit dem Tod meiner Mutter bin ich sehr empfindlich, was Tod und Krankheit betrifft und dann zu lesen, was du durchmachen musstest, kann ich mir kaum vorstellen. Vor allem die Krankheit deines Vaters. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich meine Mutter vor meinem Sport zum Arzt jede Woche fahren musste und dann statt zum Training zu gehen, eine Stunde heulend auf dem Parkplatz im Auto saß und danach wieder meine Mutter angelächelt habe.

Ich denke, genau wie du, habe ich wahrscheinlich auch noch so einige Baustellen, die ich nie verarbeitet habe. Aber habe ich auch nicht wirklich den Mut, sie anzugehen.

Dieses sich aufraffen und Hoffnung schöpfen in der Uni und dann kommt irgendetwas dazwischen/ man verliert die Kraft, kenne ich sehr gut. Und mittlerweile macht mich das echt verdammt wütend. Vor allem weil ich, je länger ich studiere, ich mich umso mehr unter Druck setze und das dann wieder in Panikattacken und Depressionen umschlägt. Ein Teufelskreis.
Deswegen bewerbe ich mich gerade auf einen Aushilfsjob bei Verlagen und Schulen - wenn ich wenigstens einen Fuß in der Berufswelt habe, dann setze ich mich vielleicht weniger unter Druck, weil ich das Gefühl habe, jederzeit aufhören zu können zu studieren und mich voll in den Beruf hängen zu können, wenn mir alles zu viel wird.

Falls die Frage nicht zu persönlich ist, wie ist so ein Aufenthalt in einer Klinik? Findet man dort Ruhe und Abstand und fühlt sich danach besser? Ist das wie eine Auszeit oder wie genau läuft das ab?

Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass du die Kraft wiederfindest, um das zu tun, was du dir vorgenommen hast!

Und hey, ich habe auch im WS 07/08 angefangen. (Ich würd ja jetzt einen lachenden/weinenden Smiley reinsetzen, aber ich kann ihn einfach nicht finden.... :'D )

03.10.2018 17:49 • x 1 #4


A
Vielen Dank für die Antwort und die Vorschläge! In den nächsten Tagen werde ich mich da mal durchwühlen.

03.10.2018 17:50 • #5


CeHaEn
Moin Anna,

danke für die guten Wünsche!

Ich kenne auch den Ärger mir selbst gegenüber, weil die Zahl der Semester wächst und wächst... Das kann ich bisher nicht ganz abstellen.
Ich denke aber, dass eine andere Bewertung des Studiums an sich hilfreich sein kann. Das Studium ist nicht einfach eine anspruchsvolle Berufsausbildung. Natürlich gibt es Studiengänge mit sehr hohem Praxisbezug und festem beruflichen Ziel; Lehramt gehört dazu. Ein Studium dient grundsätzlich aber der Aneignung von Fachwissen. Das hast du mit den Langzeit-Diplomern auch schon mitbekommen. Das kann man manchmal auch an außergewöhnlich alten Studienanfängern erkennen. Damit meine ich keine Neuorientierung um den 40. Geburtstag - in meinem Erststudium gab es ein kleines Grüppchen ehemaliger Eisenbahner über 50, die Bock auf Physik hatten. Das waren keine Gasthörer.
Das Studium ist auch kein Wettrennen. Keine andere Person hat etwas davon, wenn du es zügig abschließt. Außerdem kennst du den Arbeitsaufwand und weißt bestimmt: Das sollte man sich nur antun, wenn man wirklich Lust darauf hat.
Das Studium ist deine Sache.
Genau wie dein beruflicher Werdegang deine Sache ist. Wichtig ist nur, dass du einen Weg findest, den du gehen kannst und willst.

Zitat von annasa:
Außerdem hatte ich insgeheim Angst, jemand könnte mir antworten, ich solle einfach mit dem Studieren aufhören.... :'D

Warum hast du davor Angst?

Zitat von annasa:
Ich denke, genau wie du, habe ich wahrscheinlich auch noch so einige Baustellen, die ich nie verarbeitet habe. Aber habe ich auch nicht wirklich den Mut, sie anzugehen.

Das kann ich verstehen. Wenn man diese Baustellen anpackt, dann gibt es garantiert unangenehme Momente und Profis wissen ganz genau, wo es weh tut. Es hilft jedoch auch ungemein für das eigene Verständnis und das ist wiedrum keine schlechte Grundlage für die Suche nach Lösungen.

Mein Klinikaufenthalt hat mir tatsächlich Ruhe und Abstand verschafft. Er war aber auch sehr anstrengend - Therapie beudeutet eben Arbeit. Idealerweise verlässt man die Klinik wirklich mit einem guten Gefühl. Man kann sich dort Werkzeuge aneignen, mit denen man kommende Schwierigkeiten besser meistern kann. Man muss allerdings nahtlos am Ball bleiben und sofort nach der Entlassung weiterhin aktiv arbeiten. Ich schicke dir noch eine PN mit Details, denn darüber gibt es viel zu erzählen.

03.10.2018 23:18 • #6


A
Deine Wort zum Studieren finde ich richtig gut. Als ich mich vor einem Jahr auf Ausbildungsplätze beworben hatte und zum ersten Mal seit Studienbeginn ernsthaft nachdachte, was ich im Moment wirklich machen will - studieren oder eine Ausbildung machen - tat es richtig gut, als ich mich (wieder) bewusst und ganz ohne Zureden von anderen für das Studium entschlossen hatte. Das gab mir richtig Kraft.
Aber ich glaube, eins meiner größten Probleme ist, dass es mir noch oft zu wichtig ist, was andere denken und dass ich mich unbewusst mit anderen vergleiche. Von Professoren, Kommilitonen und anderen Universitätsangestellten musste ich mir im Laufe des Studiums einiges anhören, dann noch von meiner Familie und alten Klassenkameraden. Es ist nicht immer leicht, das an sich abprallen zu lassen. Aber ich arbeite dran Deine Worte haben mich wieder daran erinnert, dass kein Leben nach Schema F abläuft und es wichtig ist, zu tun, was uns glücklich macht.

04.10.2018 19:55 • #7


CeHaEn
Zitat von annasa:
...dass kein Leben nach Schema F abläuft und es wichtig ist, zu tun, was uns glücklich macht.

Genau! Das muss ich mir selbst immer wieder vor Augen halten, weil ich dein Problem mit der Bewertung von außen auch kenne. Das ist sowieso eine ganz typische Baustelle. Es ist mitunter echt schmerzhaft, wenn jemand ein Urteil fällt und deine Situation nicht einmal zur Hälfte kennt. Das wird immer wieder passieren und dann darfst du es dir auch erlauben zu sagen, der hat keinen Schimmer und redet Bullsh*t.

04.10.2018 20:45 • #8