Zitat von Heideblümchen: nachdem mich seit der Diagnose Depression immer wieder Erinnerungen an meine Kinderverschickung in den frühen 70ern heimsuchen, wollte ich mal fragen, ob es hier Gleichgesinnte gibt, die auch in so einer (oder mehreren) Kinderverschickung waren. Ich habe teils noch lebhafte Erinnerungen daran, bestimmte Erfahrungen, die ich als 6jährige gemacht haben, suchen mich heute noch heim und beeinflussen sogar teils mein Leben.
Hallo Heideblümchen,
ich musste erstmal googeln, was genau diese Verschickungskinder waren, und stellte fest, dass ich wohl auch eines davon war. Ich wurde 1972 mit 6 Jahren auf eine deutsche Insel geschickt. Die Kinderärztin hatte meine Mutter überzeugt, dass sechs Wochen Erholungskur für mich das Beste sei, um den s. Missbrauch zu vergessen. Während meiner Abwesenheit zogen meine Eltern um (wegen mir, um mich zu schützen). Es kam ihnen also sehr gelegen.
Ich hatte Heimweh und nachdem ich ohne elterlichen Schutz dem Missbrauch ausgesetzt war, war ich dann ohne elterlichen Schutz der Willkür der Erzieherinnen(?) ausgesetzt - psychologisch nicht wertvoll, aber darüber dachte damals niemand nach.
Mit den anderen Kindern hatte ich keine Probleme, doch vor den strengen Erzieherinnen hatte ich große Angst. Ich vermute, dass ich wohl die eine oder andere Bestrafung und Bloßstellung mitbekommen habe. Ich kann mich jedoch nur an meine eigene Bestrafung erinnern.
Es war am Abend verboten, die Zimmer zu verlassen. Es war auch verboten, ins Bett zu machen. Es war ebenfalls verboten, barfuß zu laufen. Mich quälten jedoch häufig Albträume und ich dachte mir immer, dass die nur kämen, wenn ich auf Klo müsse. Vor lauter Angst drückte die Blase erst recht. Ich schlich mich barfuß aus dem Zimmer, um leise wie ein Indianer zu sein. Ich schaffte es unbemerkt an der Aufsicht vorbei zum Toilettenraum. Nach dem erlösenden Pinkeln zog ich brav die Kette des Spülkastens. Das Wasser rauschte los durchs Rohr und ins Klo... und ich wusste: das war's! Das konnte die Aufsichtsperson nicht überhört haben. So wurde ich dann von ihr an der Tür in Empfang genommen. Sie schimpfte und führte mich zum Speisesaal ab. Dort nahm sie einen der Holzstühle, stampfte seine Beine in der Mitte des Raumes auf den Boden und drückte mich auf die Sitzfläche. Ich musste lange auf dem Stuhl ausharren, durfte den Fußboden nicht berühren. Sie hatte zudem das Licht gelöscht und die Tür abgeschlossen.
Ich empfand damals die Kur als Bestrafung. Mir wurde zwar gesagt, dass ich das wegen Keuchhustens machen sollte, aber das war unlogisch, weil ich dagegen geimpft war. Ich kann nicht sagen, warum, aber für mich stellte es einen direkten Zusammenhang zum Missbrauch dar; vielleicht weil nebenbei auch von vergessen die Rede war.
Für mich blieb es eine traumatische Erfahrung und verstärkte mein Schuldgefühl. Unter den Folgen leide ich noch heute. Zum Beispiel eskalierte ein Personalgespräch, als ich zu einer Reha gezwungen werden sollte, um Bossing und Folter am Arbeitsplatz zu vergessen. Nein, dieses auf Erholung weggeschickt werden triggerte mich zu sehr. Reha nur auf freiwilliger Basis, aber niemals wieder unter Zwang.
Ansonsten erinnere ich mich nur noch an einen Tag, an dem wir am Strand Muscheln sammelten und sie auf kleine Schachteln klebten. Das war wenigstens etwas, woran ich Spaß hatte.