Octave
Ich wollte hier kurz eine Übung vorstellen, die mir in der Vergangenheit bei depressiven Episoden oft geholfen hat und die ich auch immer noch manchmal anwende, wenn ich wegen irgendwas traurig bin und mir selbst ein bisschen Trost spenden will.
Die Übung kommt aus der ACT-Therapie und eigentlich für Menschen gedacht, die eine schwere Lebenskrise wie zB der Tod eines nahen Verwandten o.ä. durchzustehen haben. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die Methode ebenfalls bei einer Depression sehr effektiv wirkt, zumal ja viele Menschen nicht grundlos depressiv sind, sondern es durchaus berechtigte Gründe gibt, um Trauer zu tragen.
Die Übung zielt, wie vieles was ich unterstütze, darauf, die eigene Haltung zu ändern. Von verkrampft, voller Widerstand zu sanft, mitfühlen und akzeptierend.
Es geht NICHT darum, mit dieser Übung die eigenen Gefühle zu verändern. Es geht darum, die Gefühle zu akzeptieren und sich selbst aufzufangen und zu halten, so lange der Sturm tobt.
Die Episoden können in meinen Augen auf lange Sicht durch verschiedene andere Techniken vermindert oder vielleicht ganz beseitigt werden, aber das erfordert Zeit und ist nicht mit einer kleinen kognitiven Übung getan.
Doch ist diese Übung sinnvoll, um in Zeiten der Depression nicht in sinnlose innere Kämpfe zu verfallen und schließlich zu ungesunden Gefühls-Kontroll-Strategien zurückzugreifen, wie zB Fastfood, Dro., Alk., SVV oder anderen Dingen, die einem vielleicht kurzfristig Linderung verschaffen, aber auf lange Sicht die Depression nur verstärken.
Ach und bevor ich es vergesse.
Bei dieser Übung und bei allen anderen Übungen, die auf Akzeptanz von psychischen Schmerzen abzielen, gilt folgende Faustregel:
Je öfter und regelmäßiger du eine Übung ausführst, desto effektiver wird sie für dich.
Um noch ein Klischee zu bedienen: Übung macht den Meister.
Gerade am Anfang kann es sein, dass du mit einer Übung noch nicht so gut klarkommst oder einfach nicht den gewünschten Effekt erreichst. Keine Sorge, dass ist normal. Bei regelmäßiger Anwendung wirst du irgendwann immer schneller und besser in der Lage sein, die Resultate zu erreichen, die du anstrebst.
Übung: Eine sanfte Hand
1. Setz dich auf einen Stuhl, richte deinen Rücken gerade auf und stelle deine Füße fest auf den Boden. Nun richte deine Aufmerksamkeit auf deine innere Gefühlswelt. Achte auf den emotionalen Schmerz, die Trauer oder welches Gefühl auch immer du in dir spürst. Versuche nicht, das Gefühl von dir wegzudrücken oder es sonst irgendwie zu verändern. Sei einfach nur da und fühle den Schmerz. Kannst du lokalisieren, in welcher Körperregion du dieses Gefühl spürst? Ist es vielleicht ein Stechen in der Brust? Oder eher wie ein heißes Stück Kohle im Bauch? Oder schnürt es dir den Hals zu?
2. Jetzt hebe eine deiner Hände und lege sie sanft und behutsam auf die Stelle, wo du den Schmerz am intensivsten spürst.
Wenn du, statt emotionaler Schmerzen, dich eher wie betäubt fühlst, dann lege deine Hand auf die Stelle, die sich am betäubtesten anfühlt.
Wenn du Schwierigkeiten hast, eine klare Stelle ausfindig zu machen, dann lege deine Hand einfach nur sanft auf deine Brust, oder zärtlich auf deine Wange. Was sich für dich am besten anfühlt.
3. Stelle dir nun vor, die Hand würde einer geliebten Person gehören, die sich um dich kümmert. Einer Person, die mitfühlend, aufmerksam und absolut urteilsfrei ist. Die einfach nur für dich da ist und dich mit deiner Depression genauso akzeptiert, wie du gerade bist.
Lasse deine Hand einfach nur sanft auf deinem Körper liegen und achte auf das Gefühl an dieser Stelle. Achte auf die Sanftheit und die Wärme. Wenn du möchtest, kannst du dich auch ganz behutsam ein wenig streicheln, so wie du es zum Beispiel bei einem Kind tun würdest, dass du trösten willst.
4. Stelle dir nun vor, wie sich die Verspannungen und Verkrampfungen an dieser Stelle anfangen zu lösen. Wie dein innerer Widerstand gegenüber dem Schmerz langsam nachlässt. Wenn du dich betäubt fühlst, dann stelle dir vor, wie die Taubheit nach und nach verschwindet und du die Gefühle dahinter spürst. Stelle dir vor, wie sich eine sanfte Wärme von der Stelle deiner Hand in deinem Körper ausbreitet, die nach und nach den inneren Widerstand auflöst.
Ja, du spürst immer noch all die Trauer und den Schmerz, aber du brauchst deine innere Abwehrhaltung nicht mehr, denn du wirst gehalten und aufgefangen.
5. Verweile so! Halte dich selbst, während du trauerst. Sanft und liebevoll, so als würdest du einen trauernden geliebten Menschen im Arm halten. Wenn du dabei weinen musst, ist das absolut in Ordnung. Lass die Tränen zu und weine so lange, wie es eben dauert. Es ist ok, zu weinen. Es ist ok traurig zu sein. Niemand ist immer stark und es ist auch ok, sich selbst in diesem Moment der Schwäche einfach nur mit Liebe und Zärtlichkeit zu behandeln.
6. Nimm jetzt deine zweite Hand und lege sie sanft auf deinen Bauch während du deine erste Hand auf deine Brust legst. Wenn es dir hilft, dann stell dir vor, wie du einen geliebten Menschen in den Arm nimmst. Verweile in dieser Position so lange, wie es dir hilft und so lange es sich gut anfühlt. Es geht hierbei weniger um die Dauer, sondern mehr um die innere Haltung, die du bei dieser Übung dir selbst gegenüber einnimmst. Mitfühlend, Sanft und Liebevoll.
Ich hoffe, dass die Übung für einige, denen es vielleicht im Moment nicht besonders gut geht eine Hilfe in der Not ist.
Es ist außerdem absolut wichtig zu verstehen, dass es bei dieser Übung nicht darum geht, deine negativen Emotionen loszuwerden. Auch wenn durch die Übung vielleicht dein Schmerz nachlässt, du dich entspannst oder sogar das Gefühl der Trauer verschwindet, ist dies nur ein angenehmer Nebeneffekt. Das Ziel dieser Übung ist es, deine innere Haltung zu ändern.
Es geht darum, deinen inneren Widerstand gegen den Schmerz aufzulösen und deine Gefühle einfach nur zuzulassen, während du dich auffängst. Es geht darum, bedingungslose Akzeptanz für dich und deine Gefühle zu entwickeln. Auch die negativen und die schmerzhaften Gefühle.
Du kannst diese Übung so oft du willst und so lange du willst verwenden.
Gerade bei einer depressiven Episode kommt der Schmerz und die Trauer oft in Wellen und so bietet es sich an, diese Übung im Verlauf eines Tages immer wieder und wieder anzuwenden, um sich selbst ein guter und mitfühlender Freund zu sein.
Und ja, ich weiß: Diese Übung wird nicht deine Probleme lösen.
Doch darum geht es auch erst mal gar nicht. Löst du die Probleme eines trauernden Menschen, wenn du ihn liebevoll in den Arm nimmst? Nein! Aber du hilfst ihm dabei, sich zu beruhigen, sich zu zentrieren und schließlich neue Kraft zu schöpfen, um sich nach einer kurzen Pause seinen Problemen erneut zu stellen.
Liebe Grüße,
Octave