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Wut, Selbstmitleid und Verbitterung

Krizzly
Hallo ihr Lieben,

ich bin noch neu hier und ich bin mir nicht sicher, ob ich das Thema gerade an der richtigen Stelle anlege, aber da ich wohl in erster Linie unter Ängsten leide, hab ich mich mal hier eingeordnet.

Vielleicht - möglichst kurz - meine Vorgeschichte. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der Alk. und mutmaßlich psychisch krank war. Er hat meiner Mutter, meinem Bruder und mir das Leben ziemlich zur Hölle gemacht bis ich 16 war. Da hat er einen Schlaganfall erlitten und war dann schlicht und einfach dazu nicht mehr in der Lage. Ich war zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand, in dem ich stärkere Gefühlsregungen gar nicht mehr wahrgenommen habe. Offenbar ein Selbstschutz.
Allerdings hab ich seit ich etwa 15 war zunehmend unter Magen-Darm-Problemen gelitten. Das hat sich über die Jahre gesteigert, bis ich vor ein paar Jahren gar keine guten Tage mehr hatte. Hinzu kamen dann, sehr plötzlich, Panikattacken und eine wahnsinnige Angst, mich übergeben zu müssen, die mich regelrecht gelähmt hat. Was folgte war eine Abwärtsspirale ins totale Vermeidungsverhalten. Als ich schließlich das Haus nicht mehr verlassen konnte, hab ich mir Hilfe gesucht und arbeite nun seit drei Jahren mit einer Psychotherapeutin sehr intensiv an mir und meinen Problemen. Und das auch mit Erfolg. Die Panik war phasenweise komplett weg und ich war wieder in der Lage, ein weitgehend normales Leben zu führen.
Vor etwa einem halben Jahr aber kamen die psychosomatischen Beschwerden verstärkt wieder. Mir ist zum Teil rund um die Uhr schlecht, was auch die Angst, mich übergeben zu müssen wieder verstärkt, ich hab Probleme mit dem Darm, zum Teil heftigen Juckreiz vor allem an der Kopfhaut, und ich bin ständig erschöpft. Seit ein paar Tagen hab ich nun Urlaub, nachdem ich mich zuvor mit letzter Kraft noch durch einige Arbeitswochen gekämpft hatte. Pünktlich zum Urlaub haben mich aber nun völlige Erschöpfung und zum ersten Mal auch wieder Panikattacken übermannt.
Ich merke seit Wochen, und das ist zumindest neu, dass ich eigentlich andauernd wütend bin. Weil ich das Gefühl habe, dass alles immer wieder ein einziger nutzloser Kampf ist. Weil das Leben ungerecht ist und ich schon unter so schwierigen Voraussetzungen aufwachsen musste. Weil Menschen es ausnutzen, dass ich nur schwer Grenzen setzen kann und bis ans Ende meiner Kräfte versuche, für andere da zu sein. Ich bin wütend auf meinen Vater, auf meine Mutter, auf jeden Menschen, dem es gut geht und der gute Laune hat. Ich hab das Bedürfnis, ihnen das kaputt zu machen, um die ganze Ungerechtigkeit ein bisschen zu verteilen. Ich bin so voller Selbstmitleid und Verbitterung, dass es mich förmlich lähmt. Mir macht nichts mehr Spaß. Wenn mein Freund, der wahrscheinlich liebste Mensch der Welt, versucht, mir zu helfen, meckere ich ihn an und rede seine Vorschläge schlecht. Ich seh mich nur noch als Opfer der Umstände und ein Teil von mir fühlt sich in der Situation sogar wohl. Aber ich möchte so nicht weitermachen. Falls jemand einen Tipp hat, den ich dann hoffentlich auch annehmen kann, wär ich sehr dankbar. Und entschuldigt bitte den kleinen Roman.

Liebe Grüße Kriss

19.09.2019 12:32 • x 6 #1


Pimbolina71
Hallo Kriss

Die Magen-Darm-Probleme und die Angst, mich übergeben zu müssen, kenne ich nur allzu gut. Beherrschte mich diese Angst doch Jahre, Jahrzehnte. Bis heute noch. Wenn es mir psychisch sehr schlecht geht, geht es auch meinem Magen-Darm-Trakt schlecht und mir ist schlecht. Das engt sehr ein.

So kann ich Deine Wut und Verbitterung sehr gut nachvollziehen und ich glaube, es geht mir da sehr ähnlich. Einen guten Tipp habe ich nicht wirklich. Nur Aufgeben ist keine Option (für mich).

Ist gut, wenn Du dies mit der Therapeutin anschauen kannst. Das ist wohl das Einzigste was Du machen kannst.

Liebe Grüsse
Pimbolina

19.09.2019 12:52 • x 4 #2


A


Hallo Krizzly,

Wut, Selbstmitleid und Verbitterung

x 3#3


Krizzly
Hallo Pimbolina,

danke für deine Antwort. Ich merke, dass es mich gleichzeitig etwas beruhigt und nur noch wütender macht, dass es noch andere Menschen gibt, die unter solchen Problemen leiden.

Ich hatte gestern direkt einen außerplanmäßigen Termin bei meiner Therapeutin. Vor allem weil ich auch vermeiden will, dass sich die erneute Panik wieder festsetzt. Ich habe einfach, wie in meiner Kindheit, das Gefühl, ich bin gefangen. Es passiert etwas mit mir, das so viele für mich kaum aushaltbare Gefühle auslöst, und ich steh dem machtlos gegenüber. Meine Therapeutin meint, es ist nur ein Rückfall und sie ist überzeugt, dass meine Angst nicht nochmal so schlimm wird wie vor einigen Jahren. Und was diese ganze Wut angeht, ich glaube, sie hat förmlich darauf gewartet, dass das irgendwann hochkommt. Sie hat mich über die Jahre, während wir meine Familiengeschichte aufgearbeitet haben, immer wieder mal gefragt, ob ich denn nicht wütend bin. War ich aber nicht. Und jetzt überschwemmt es mich förmlich. Mein Kopf sagt mir, dass es vielleicht gut und ein Fortschritt ist, dass das nicht mehr irgendwo verborgen vor sich hin brodelt. Aber ich kann das nicht als gut empfinden. Ich hab Angst, dass ich meiner Beziehung schade, weil ich dauernd fies bin. Aber ich kann das kaum kontrollieren, weil es erschreckender Weise ein befriedigendes Gefühl ist, auf diese Art ein kleines Ventil für diese Gefühle zu haben.

Vielleicht kann mir ja doch noch jemand etwas raten. Oder kennt das selbst und kann mir sagen, wie er damit umgegangen ist.

Liebe Grüße Kriss

19.09.2019 13:15 • x 4 #3


Krizzly
Oh, und Pimbolina, ich seh das normal genauso wie du: Aufgeben kommt nicht in Frage. Nur bin ich momentan so komplett antriebs- und motivationslos, dass ich nicht weiß, woher ich die Kraft nehmen soll, immer weiter nur zu kämpfen. Ich glaub, ich weiß gerade nicht mehr so richtig wofür eigentlich.

19.09.2019 13:24 • x 4 #4


djamila
Hallo Liebe Krizzly erst mal Herzlich Willkommen hier im Forum . Das dich deine Vergangenheit auch Wütend macht ist ganz selbstverständlich . Einen Kleinen Tipp Sand oder Boxsack und immer wenn du merkst die Wut steigt schauen welche Situation oder Welche Person macht dich Wütend und dann Box sie raus die Wut . Danach kann man wieder klarer Denken und nach und nach löst sich die Wut auf . Und auch Tagebuch schreiben kann ich empfehlen . Therapie machst du ja schon . Viel Kraft wünsche ich dir .

LG Djamila

19.09.2019 17:24 • x 5 #5


Krizzly
Hallo Djamila,

danke dir für den Tipp. Ich dachte auch schon an Boxen, ich kann mir gut vorstellen, dass das helfen könnte. Tagebuch schreiben hat sich in schlimmen Angstmomenten auch schon bewährt, ich werde das mal versuchen gegen die Wut.

Liebe Grüße Kriss

19.09.2019 19:15 • x 4 #6


Pimbolina71
Liebe @Krizzly .

Ja, Tagebuch führen, hat mir auch schon oft geholfen, wenn es mir nicht so gut ging. Habe leider keinen Boxsack zu Hause, wäre mal zu überlegen, einen solchen anzuschaffen, bin ich doch auch sehr oft traurig und wütend zugleich.


Wie wäre es mit Spaziergängen? Erst ganz kurze und dann immer länger und ausgedehntere Spaziergänge. O.k. in meiner dunkelsten Depressions-Phase verlasse ich die Wohnung nicht mehr freiwillig. Aber gut täte es mir / uns auf jeden Fall.

Liebe Grüsse
Pimbolina

19.09.2019 23:59 • x 3 #7


L
Liebe Krizzly,

ich habe ähnliches in meiner Kindheit erlebt wie du. Meine Eltern tranken auch viel Alk., vor allem meine Wahrnehmung gegenüber meiner Mutter damals hat mich sehr geprägt und ich leide womöglich deswegen seit mehr als 25 Jahren an einer generalisierenden Angststörung.

Interessant in diesem Zusammenhang finde ich, dass ich diesen Satz zu 100% übernehmen kann:

Weil Menschen es ausnutzen, dass ich nur schwer Grenzen setzen kann und bis ans Ende meiner Kräfte versuche, für andere da zu sein.

Was deine Wut betrifft, so kann ich dir sagen, die kenne ich sehr gut und habe sie lieber gelebt als die Angst. Wut bringt etwas in die Gänge. Möchte dich handlungsfähig machen. Da aufräumen, was nicht mehr passt.

Wut zu unterdrücken halte ich für falsch. Wut entsteht immer dann, wenn jemand über deine Grenzen geht. Sprich darüber was dich wütend macht, Wut hat immer seine Berechtigung, du darfst wütend sein.

Viele Grüße
laluna

20.09.2019 07:35 • x 5 #8


Mandinka
Weil Menschen es ausnutzen, dass ich nur schwer Grenzen setzen kann und bis ans Ende meiner Kräfte versuche, für andere da zu sein.

Kann ich nachvollziehen, weil ich mich ebenfalls sehr schwer tue, Nein zu sagen und mich abzugrenzen. Jedoch: Du kannst die anderen Menschen nicht ändern - aber dein eigenes Denken und Handeln! Sprich das auch unbedingt bei deiner Therapie an. Denn das scheint ja ein grundlegendes Problem für dich zu sein. Offenbar wird dir schlecht vor Angst und Überforderung. Ich kenne diese Angst auch. Streit oder auch nur leiseste Auseinandersetzungen können mich immer wieder innerlich in Angst und Panik versetzen. Diese Konditionierung abzulegen oder wenigstens abzumildern, ist unglaublich schwer.

Den Menschen in deiner gegenwärtigen Umgebung, die oftmals auch nur ihren eigenen Rucksack und ihre eigenen Ängste mit sich herumschleppen, tut man schnell Unrecht, wenn man sie pauschal für das eigene Leid bzw. Depression verantwortlich macht. Aber das ist dir sicher selbst bewußt.

Ich habe einen Sohn, der gerade 20 Jahre alt ist und mit ähnlichen Ängsten und Problemen kämpft wie du. Auch er hat ein großes Gerechtigkeitsempfinden und sieht die Welt bzw. das Leben erschreckenderweise sehr oft nur noch als feindlich gesinnten Gegner. Ich versuche, ihn zu ermutigen und meiner Unterstützung zu vergewissern, wo ich nur kann und ihn immer daran zu erinnern, daß die anderen Menschen sehr oft genau die gleichen Ängste und Probleme mit sich herumschleppen wie er selbst und unglaublich dankbar und positiv reagieren, wenn man z.B. selbst drauf achtet, freundlicher aufzutreten oder häufiger jemandem ein Lächeln zu schenken. Aber das Wichtigste ist meines Erachtens wirklich zu lernen, gut für sich selbst Sorge zu tragen, den Mut zu finden, auch mal Nein zu sagen bzw. sich gegen Forderungen abzugrenzen und sich selbst positiv anzunehmen. LG

20.09.2019 09:01 • x 4 #9


A


Hallo Krizzly,

x 4#10


Krizzly
Danke erstmal, dass sich so viele von euch zu Wort melden.

@laluna74 Du hast Recht, Wut ist ein starkes Gefühl, das ist leichter auszuhalten. Und es motiviert mich tatsächlich etwas zu verändern. Ich möchte die Wut nicht wieder unterdrücken, ich würde gerne ein gesundes Ventil dafür finden. Denn schlimm wird es für mich, wenn ich Angst bekomme, Menschen zu verlieren, weil sie Opfer meiner Wut werden. Deswegen find ich boxen gar nicht verkehrt. Denn ich kann den Menschen, auf die ich wütend bin, das nur begrenzt sagen oder zeigen, auch wenn das vielleicht am befreiendsten wäre. Aber mein Vater ist mittlerweile tot und meine Mutter kämpft selbst mit Ängsten und ich weiß einfach, dass sie schwächer ist als ich. Ich kann nicht noch jemanden treten, der schon am Boden liegt, besonders nicht jemanden, der mir trotz allem wichtig ist. Aber die Wut hat mir geholfen, einer Freundin eine Grenze zu setzen, die im letzten Jahr meine Gutmütigkeit, wenn auch sicher nicht bewusst, ziemlich ausgenutzt hat. Und es fühlt sich wirklich gut an, nicht alles mit mir machen zu lassen.

@Mandinka Du hast Recht, Grenzen setzen ist eines meiner grundlegenden Probleme. Das ist schon länger Thema in meiner Therapie. Ich kann es grundsätzlich schon, ich bin nur immer sehr verunsichert, wann meine Grenzen okay sind. Ich hab oft das Gefühl, dass es nicht gerechtfertigt ist, dass mir diese oder jene, aus meiner Sicht, Kleinigkeit schon zu viel ist. Und es braucht noch oft andere Menschen, die mir sagen, dass es keine Kleinigkeiten sind und meine Reaktion gerechtfertigt ist. Ich selber halte durch, bis der Leidensdruck so groß ist, dass ich gar nicht mehr anders kann, als laut Stop zu sagen. Ich weiß noch nicht genau, wie ich an den Punkt komme, es für mich selber zu akzeptieren, dass ich Grenzen haben darf. Dass ich auch etwas wert bin, wenn ich mal nicht die Erwartungen von allen und von mir selbst erfülle. Ich hab in der Therapie schon rausgefunden, woher dieses Denken kommt, aber das hilft mir auch nicht richtig es zu ändern.
Dass nicht die anderen an meiner schlechten Abgrenzung schuld sind, ist mir eigentlich bewusst. Und eigentlich ist das ja gut, denn so kann ich auch etwas dagegen tun. Nur ist das ständig anstrengend und vielleicht ist es für mich dann leichter, mich als Opfer zu sehen. Weil ich sonst dazu neige, mir selber böse zu sein, weil ich versagt hab. Manchmal möchte ich gern die ganze Verantwortung mal abgeben, weil ich schon so lang mehr davon tragen muss als ich manchmal kann.

Ich finde es schön, dass du deinen Sohn so unterstützt, das hätte ich mir sehr gewünscht. Ich hoffe, er erkennt noch, dass auch wenn es einem schlecht geht, die Welt und die Menschen nicht schlecht sind. Denn eigentlich seh ich das so (von wirklich schlechten Momenten mal abgesehen). Das Leben hat so viele schöne Seiten und dafür lohnt sich ja auch der ständige Kampf, damit man diese Seiten genießen kann.

20.09.2019 09:45 • x 3 #10

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