Guten Abend HopeDiesLast et al.,
vielen Dank für deinen Thread und den damit verbundenen Mut darüber zu sprechen.
Ich lese schon etwas länger mit und hab mich jetzt mal aufgerafft mich anzumelden und meine Geschichte runter zu schreiben.
Tatsächlich hat mich dein erster Beitrag gepackt, weil wir ungefähr gleich alt sind, ähnliche Hobbys und die gleiche Krankheit teilen.
Ich bin männlich, 28 Jahre alt, arbeite eigentlich Vollzeit im Büro. Seit 3 Jahren leide ich an Depressionen, aktuell die 3. Phase. Ich spiele Eishockey, treffe eig. gerne meine Freunde, habe einen tollen Hund der mich vor die Tür bringt und mir bedingungslose Liebe schenkt. Ich liebe die Berge und damit auch das Skifahren und Wandern. Außerdem koche und grille ich gerne, trinke gerne Kaffee - ich bin ein Genussmensch. Eine wunderbare Freundin ist an meiner Seite, wir wohnen zusammen in einer Eigentumswohnung und sie hat für mich und meine Krankheit Verständnis, wofür ich so dankbar bin. Zu meinen Eltern pflege ich ein gutes Verhältnis.
Klingt für mich nach einem tollen Leben, wenn da nicht zum Herbst hin die Depression an der Tür klopfen würde - und ich öffne ihr.
Es begann vor 3 Jahren mit den Corona-Einschränkungen. Mein Leben habe ich immer gelebt, war viel unterwegs, hatte meinen Sport, tolle Freunde, schöne Urlaube, einen guten Arbeitgeber. Von heute auf morgen ging es ins Homeoffice, anfangs cool, ich konnte nebenbei einiges privates machen. Doch irgendwie hat sich privates und berufliches sehr vermischt, mein Leben spielte sich hauptsächlich in einem Raum ab, arbeiten, essen, entspannen. Dann der Lockdown, der private Ausgleich ist weggebrochen und ich kam außer zum Einkaufen kaum noch vor die Tür (da hatte ich noch keinen Hund). Damit kam meine erste Depression, ich bin dann ziemlich schnell zu einer privaten Praxis für Psychotherapie - diese hat meine geschilderten Probleme nicht als Depression bezeichnet, mich aber trotzdem für einiges an Geld behandelt. Irgendwo war ich froh, Hilfe zu haben, aber im Rückblick hat diese Therapie mich nicht weiter gebracht. Eigentlich hat sie mich nur zur Arbeit motiviert und mir eingeredet, dass es irgendwo in meiner Vergangenheit ein Problem gab. Über den Sommer danach war ich wieder gut drauf und hatte Lebenslust. Währenddessen kam ich bei der Therapie in eine Gruppe, die mich sehr runtergezogen hat. Kommen war Pflicht, Urlaub nur in den Praxisferien - wenn man mal fehlte, wurde das von der Therapeutin in der Gruppe vorwurfsvoll angesprochen.
Zum Herbst hin dann meine 2. Depression, Suizidgedanken, keine Freude an nichts, keine Gefühle, Konzentrationsprobleme auf Arbeit, kam morgens nicht aus dem Bett, viele Grübelgedanken, normale Alltagsdinge wie Haushalt, Briefe etc. wurden auf einmal unmöglich. Soziale Kontakte die ich eigentlich gerne habe, waren für mich plötzlich eine Qual. Glücklicherweise hat mein Hausarzt mich schnell zu einem Psychiater:in geschickt. Hier nun die offizielle Diagnose Depression. Beängstigend, aber meine Probleme hatten endlich einen Namen. Ich habe dann 4 verschiedene Therapeut:innen ausprobiert, es hat viel Kraft und Zeit gekostet, aber ich wollte diesmal wirklich, dass ich in gute Hände komme. Ich war 3 Monate arbeitsunfähig, mit Medikamenten (Sertralin und Promethazin) und letztendlich einer toller Therapeutin, war ich Anfang 2022 wieder arbeitsfähig und der alte, sprich wieder Spaß am Leben.
Es lief alles wunderbar, wie vorher. Neben dem Bürojob habe ich sogar noch nebenbei ein bisschen als Ausgleich als Barista gearbeitet, weil ich Spaß dran hatte und es ein guter Ausgleich zur Computerarbeit war. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich überlastet oder unglücklich gefühlt. Die Medikamente habe ich nach Absprache ausschleichen lassen und die Therapie nicht mehr notwendig.
Jetzt kam im August/September wieder schleichend die 3. depressive Phase. Gleiche Symptome wie in der zweiten. Glücklicherweise hatte ich nun jetzt schon Ansprechpartner (Psychiater:in Therapeut:in) bei denen ich schnell in Behandlung kam. Trotzdem auch für mich ein völliger Rückschlag, ich dachte, ich habe es im Griff... Ich nehme nun wieder Medikamente und bin jede Woche bei der Gesprächstherapie. Es geht langsam Berg auf, aber gut würde ich meinen Zustand nicht nennen. Ich bin jetzt auch schon seit 7 Wochen krank geschrieben.
Mir tut es tatsächlich gut, wenn die Arbeit in der Phase wegfällt. Durch die Konzentrationsschwierigkeiten mache ich mir auf der Arbeit totalen Druck, ich funktioniere nicht mehr wie gewohnt und das belastet mich total. Auch im Privaten funktioniere ich nicht mehr. Durch die Arbeitsunfähigkeit fällt damit wenigstens etwas Druck weg. Mein AG ist zum Glück sehr nachsichtig. Trotzdem mache ich mir auch viele Gedanken über die Zukunft, es macht mir Angst, immer wieder Phasen zu haben, in denen ich nicht mehr Leistungsfähig bin, nicht mehr der zu sein, der ich gerne bin. Ich lasse mein Team auch nur schwer im Stich, irgendwann akzeptiere ich die Situation und sage mir, dass ich am Ende nur für mich Verantwortlich bin und erstmal wieder Gesund werden sollte. Aber ich habe auch die Angst, dass es nicht mehr aufhört und dass alles in sich zusammenfällt (Arbeit, Beziehung, Freunde etc.).
Mir hilft mein Sport, auch wenn ich keine Lust habe, geht es mir danach besser. Die Therapie hilft mir auch. Sonst gehe ich viel raus, das tut mir gut. Ich kann mir aktuell wieder sagen, dass es mit der Zeit auch wieder gut wird und ich mein Leben wieder genießen kann. Ich höre viele Podcasts über psychische Gesundheit, gehe zu einer Gesprächsgruppe, lese sehr viel und versuche eigentlich so wenig Zeit wie möglich am Bildschirm zu verbringen. Erfahrungsberichte helfen mir irgendwie, zu wissen, dass man damit nicht alleine ist. Thorsten Sträters und Kurt Krömers Bücher haben mir zum Beispiel sehr gefallen - es kann wirklich jeden treffen. Selber gehe ich mittlerweile sehr offen mit der Erkrankung um, ich habe einfach keine Kraft, die Fassade aufrecht zu erhalten, es wäre alles gut...
Oh man, sorry für den langen Beitrag - wo fang ich an und wo höre ich auf? Ich höre jetzt einfach auf und mehr ergibt sich bestimmt durch Fragen bzw. Rückmeldungen.
Viele Grüße, passt auf euch auf!
17.11.2022 22:57 •
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