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Aktiv bis zur Erschöpfung - Perfektionismus und Angst

P
Liebe Alle,

ich bin neu hier und möchte mich einmal mit meinem Thema auseinander setzen. Ein paar Beiträge sowie die Regeln habe ich schon gelesen und erkenne mich auch teilweise wieder. Gerne teile ich aber auch schon mal mein Anliegen und freue mich über Beiträge.

Leider habe ich eine andauernde Stresssituation, die einfach nicht verschwinden will. Das wirkt sich seit langem psychisch auf meine Laune/Einstellung und körperlich aus (Rückenschmerzen, leichten Tinnitus, Verspannungen, Blutdruck). Das macht mir etwas Sorgen/Angst und ich sollte langsam etwas dagegen tun.
Das Schlimme daran ist: Eigentlich habe ich ein rundum sehr gutes Leben und keine Notwendigkeit, gestresst und elend zu sein. Ich fürchte meine Sorgen kommen allein von mir.

Zu meiner Person:
- bin 35 Jahre alt, männlich, aus NRW, IT-Mitarbeiter in fester Anstellung, 180 cm groß / 80 Kilo, verheiratet, keine Kinder, Hobbies: Sport und Triathlon, Freunde treffen.

Stressige Situationen im Privatleben habe ich eigentlich nicht. Zwar eine zerrüttete Familie (Vater Alk., schlechtes Verhältnis, zu 2 Geschwistern und Mutter ok). Ansonsten jedoch keine privaten Probleme. Viele Freunde, eine harmonische Beziehung mit wenig Streit.

Gott sei Dank bin ich weder gesundheitlich, noch finanziell geplagt von Corona, höchstens sozial (Kontaktbeschränkung). Es fällt mir jedoch nicht aktiv auf, dass ich etwas vermisse (Dank Videochats und modernen Medien).

Ich denke im Wesentlichen stresst mich die Arbeit. Ich arbeite sehr gewissenhaft und habe ein gutes Standing. Aber auch einen hohen Selbstanspruch. Ich kann Nein sagen, sage jedoch gerne freiwillig JA. Letztes Jahr war ein sehr hartes und großes Projekt aufgrund eines Verkaufs unserer Firma, das nun langsam ausläuft. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das Projekt zwar langsam gut abschließe, der Stress in der ersten Woche nach zwei Wochen Weihnachtsferien jedoch immer noch der gleiche ist. Sobald ich mich an den Rechner setze, springt mein Kopf/Körper in den Säbelzahntiger-Modus und ist massiv gestresst. Teilweise hatte ich letztes Jahr während des Projekts auch schon mal den ein oder anderen Samstag auf der Couch verbracht vor Erschöpfung. Es geht auch schon Richtung Burnout. Im Wesentlichen wird dies jedoch durch den Stress bedingt.

Ich habe einiges probiert: Viel Sport wieder angefangen (früher Leistungssport gemacht), Atemübungen, Yoga, ein wenig Veränderung in der Arbeitsorganisation (Emailfluten anders beantworten, priorisieren und den Tag anders organisieren). Irgendwie möchte ich stets Herr über die Lage bleiben und die Kontrolle behalten, aber auch alle zufriedenstellen und stets alle Mails am Tagesende beantwortet oder zumindest gelesen haben. Habe das Gefühl, dass der Workload mich immer noch einholt, obwohl es aktuell gar nicht schlimm ist. Wenig Termine, überschaubar viele Mails, aber durchgehend zu tun.

Meine Einstellung ggü. der Arbeit und der Selbstanspruch sind sehr hoch, wodurch ich mir vermutlich selber Druck mache. Ich habe eigentlich kaum hohen Druck seitens Ansprechpartner, sonst mache ihn mir die Beziehung zum Team und zur Vorgesetzten ist wunderbar.

Ich schlafe meist gut und ausreichend, so dass ich nicht müde bin. Manchmal habe ich Kopfzerbrechen über die Arbeit, was das Einschlafen hinauszögert. Meist klappt es aber.Von Alk. oder Zig. (hatte ich gerne mal früher am Wochenende) lasse ich aktuell die Finger. Das artet leider in zusätzlichen Stress und schlechten Schlaf aus.

Mein Körper ist irgendwie die ganze Zeit voll mit Stress und ich spüre das auch. Das Blutdruckmessgerät bestätigt es auch (Werte tagsüber im hohen 140er/80er Bereich, abends meist ein wenig tiefer).
Ich würde gerne eine gewisse Leichtigkeit zurückbekommen, die ich früher hatte. Denke sehr viel nach, oft über die Arbeit, ob ich noch glücklich und zufrieden mit meiner Stelle bin. Habe jedoch herausordernde Aufgaben, einen anerkannten Job, ein gutes Einkommen und hohe Anerkennung.
Oft ist die Denkweise negativ, eher pessimistisch.

Viele Gedanken um den Körper (hineinhorchen) und etwas Angst um Krankheiten. (Vater hatte Schlaganfall mit 48 und ich denke, das in 13 Jahren auch bekommen zu können).

Einige Bücher und Entspannungstechniken habe ich gelesen, viele Videos geschaut:
- Heile das innere Kind
- Stressabbau
- Perfektionismus
- Hypochonder
- Usw.

Im Privatleben geht es mir übrigens ähnlich, wie auf der Arbeit. Jedoch nicht ganz so schlimm bzw. das kann ich besser steuern: Wenn Besuch kommt muss immer alles tiptop sein (habe ich wohl von meinen Eltern geerbt). Grundsätzlich kann ich es nicht haben und nicht entspannen, wenn Dinge dreckig, halb erledigt oder unfertig sind.
Selbst diesen Text wollte ich nicht in einer ungefilterten Art hier rüberwerfen, sondern habe ihn natürlich inhaltlich und auch bis auf die Rechtschreibfehler Korrektur gelesen.
Ich schätze ich bin auch durchaus detailverliebt und ein Perfektionist.

Wenn alles erledigt ist, dann suche ich mir dummerweise immer wieder direkt etwas Neues, anstatt mich mal zu entspannen und auf den Lorbeeren zu verweilen. Es tritt leider nicht die Erleichterung ein, dass etwas geschafft ist, sondern der Fokus wandert direkt auf ein neues Projekt, egal ob groß, klein, schon fast perfekt fertig, jedoch mit Verbesserungspotenzial. Innere Unruhe entsteht, wenn ich mich nicht mit etwas beschäftige.

Habe ich Angst mich mal mit nichts zu beschäftigen? Ich kann durchaus auch Unproduktives tun, meist ist es aber nicht der Fall.
Vielleicht kann ich hier ja einen Tipp bekommen, was das sein könnte bzw. was man dagegen tun kann? Ich würde gerne mehr Entspannung und Seelenfrieden finden, weniger Perfektionist sein, mehr 80/20 Pareto Prinzip und auch mal mit halbfertigen Sachen leben können. Aber womit fängt man an mit der Diagnose?

Bin gespannt und dankbar für eure Kommentare und Meinungen.
Vielen Dank und Beste Grüße!

08.01.2021 22:49 • x 2 #1


LeLion
Hallo und willkommen @Predator2097

gut das du deine Problematik bereits jetzt schon einsiehst bevor es unter Umständen noch schlimmer wird.

Das Problem bei uns Perfektionisten ist natürlich primär Arbeit abgeben zu können, immer denken wir keiner macht es so gut wie wir und unser Anspruch ist leider immer 150%, mit weniger geben wir uns nicht zufrieden.
Leider macht uns natürlich das auch kaputt, denn es gibt immer was zutun auch wenn es nur eine Klitzekleinigkeit ist die gar keinen wirklichen Mehrwert hat, naiv wie wir in dieser Beziehung sind tun wir es trotzdem ohne an uns selbst zu denken.

Mit dem Pareto Prinzip hatte ich mich damals auch beschäftigt, hört sich auch schlüssig, ist aber genau das womit mir uns eigentlich unter keinen Umständen zufrieden geben wollen.
Ich muss sagen, ich tat mich mit der Umsetzung (in der ich mich gedanklich immer noch befinde) sehr schwer.
Bevor ich das überhaupt umsetzen konnte musste ich lernen Arbeit abzugeben oder wie ich es mittlerweile nenne Arbeit zu delegieren, das viel mir leichter als gedacht und tat auch der Seele gut.
Nun konnte ich anfangen die Arbeitsaufträge die ich noch hatte mal genauer unter die Lupe zu nehmen, mir viel auf (und das wir mir vorher gar nicht bewusst da ich es für selbstverständlich hielt) man hat ja eigentlich immer mehr gemacht als der eigentliche Arbeitsauftrag dargelegt hat (ich arbeite übrigens auch in der IT und das man da für andere Menschen mitdenken muss ist dir sicher selbst ausreichend bekannt).
Was hab ich also gemacht, nur wirklich die Dinge die beauftragt waren umgesetzt ohne soweit wie vorher über den Tellerrand zu schauen (ja, das war gerade am Anfang sehr ungewöhnlich und kostete einiges an Überwindung)
Die Ergebnissen waren anders, nicht schlechter auch nicht unzufriedene für den Arbeitgeber, denn man hat ja seine Arbeit gemacht und auch weiterhin gut.
Doch die Extras, die vorher selbstverständlich waren und für die auch keine extra Zeit vorhanden war und dennoch zu meine Lasten umgesetzt wurden, stehen jetzt mit in der Planung mit entsprechend mehr Zeit. Natürlich sorgt das am Anfang für das ein oder andere Gespräch mit dem Vorgesetzten, doch ich kann für mich sagen und da bin ich auch froh drüber, mein Vorgesetzter hatte dafür Verständnis und konnte das nachvollziehen. Ich hab dadurch auch keinerlei Einbußen, egal in welcher Form denn meine Arbeit ist dadurch in keinster Weise schlechter, nur anders getaktet, menschlicher.

Ich hatte es schonmal in einem anderen Thread beschrieben, das Buch M i n d f u c k von Petra Bock hat mir sehr gut die Augen geöffnet und mir erstmal klar gemacht was ich mir gedanklich immer für einen ... Im Kopf zusammen gereimt habe, was ich alles müsste damit auch ja alles perfekt ist.

Natürlich muss man das ganze auch umsetzen, das geht nicht von heute auf morgen sondern ist ein schleichender Prozess zum positiven in dem man sich auch immer wieder zurück holen muss wenn das gewohnte alte Verhalten wieder durchkommt.
Doch es hilft definitiv, langsam aber es hilft.

Es hilft bei sowas auch therapeutische Hilfe in Form einer Verhaltenstherapie in Anspruch zu nehmen (gerade wie wenn du schreibst das auch Ängste dabei sind) um dir vor Augen zu halten was du machen kannst und musst um daraus und nicht wieder zurück zu fallen.

09.01.2021 10:36 • x 1 #2


A


Hallo Predator2097,

Aktiv bis zur Erschöpfung - Perfektionismus und Angst

x 3#3


Greta
Lieber @Predator2097

Willkommen im Forum und vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht.
In vielem, was du schreibst, erkenne ich mich wieder

Und im Grunde hast du ja schon erkannt, wo dein Problem liegt:

Zitat von Predator2097:
Meine Einstellung ggü. der Arbeit und der Selbstanspruch sind sehr hoch, wodurch ich mir vermutlich selber Druck mache


Nun gilt es, herauszufinden, warum dir der Mut zur Lücke fehlt und du so streng mit dir selbst bist. Denn dadurch überforderst du dich ständig selbst.

Zitat von Predator2097:
Wenn Besuch kommt muss immer alles tiptop sein

Zitat von Predator2097:
Selbst diesen Text wollte ich nicht in einer ungefilterten Art hier rüberwerfen


Was geschieht deiner Meinung nach, wenn Besuch kommt, und die Bude ist nicht aufgeräumt?
Und was denkst du passiert, wenn dein Text ein paar Rechtschreibfehler enthält?

Wie gehst du damit um, wenn du im Job mal einen Fehler gemacht hast (und die Kollegen es merken)? Wie fühlst du dich dann?

Gerade spüre ich, dass es mir nicht leicht fällt, zu diesem Thema zu schreiben.
Aufgewachsen im katholischen Münsterland der 60er/70er-Jahre, wo stets darauf geachtet wurde, was die Leute sagen.
Ein Vater mit Alk-Problem, bei dem man sich keine Fehler erlauben durfte. Ich habe schnell gelernt, ihn einzuschätzen. Ein kurzer Blick, und ich wußte, ob er gut oder schlecht drauf war. Und alles, was ich tat, war nie gut genug. Ich war angeblich zu laut, zu wild, zuwenig Mädchen... die Zwei im Sport hätte auch eine Eins sein können... usw.
Noch heute sagt meine Mutter zu mir: Mit dir hatten wir immer schon den meisten Ärger und Jetzt kannst du auch so bleiben, wie du bist; ich habe mich daran gewöhnt.
Dabei war ich ein ganz normales Kind; gerne draußen in der Natur; Bäumeklettern, Höhlen bauen, Bäche stauen... da wurde dann auch mal was schmutzig, klar, oder ich vergaß die Zeit und kam zu spät nach hause... Aber ich habe die irgendwelchen großartigen Unsinn angestellt... Ich interessierte mich für Technik und spielte lieber mit Autos als mit Puppen.
Ich entsprach einfach nicht den Vorstellungen meiner Eltern von einem braven Mädchen.
Und wenn ich mal traurig war oder irgendetwas nicht so hinbekam, wie meine Eltern es sich vorstellten (mir fällt da gerade das furchtbare Eiersuchen zu Ostern ein, wo ich zu lange brauchte, bis ich alles gefunden hatte), dann meinte mein Vater:
Große Klappe, nix dahinter. Das wurde dann quasi mein Lebensmotto.
Kurz und gut, ich habe danach ein Leben lang unbewußt versucht, es meinen Eltern doch noch irgendwie recht zu machen.
Habe mir keine Schwäche erlaubt, wollte alles perfekt machen, mir keine Fehler erlauben...
Ich habe gearbeitet, Karriere gemacht, mir immer zuviel aufgebürdet... und nun sitze ich hier mit meiner Depression und übe mich in Unperfektion (oder wie sagt man?).

In der Therapie ist es mir bereits ein stückweit gelungen, die alten Muster aufzudecken, zu erkennen, warum ich so ungnädig mit mir selbst bin und öfter mal für mich selbst zu sorgen.
Vielleicht könnte das ja auch ein Weg für dich sein?

Liebe Grüße
Greta

09.01.2021 11:11 • x 2 #3


P
Hallo Zusammen,

danke für die schnellen Antworten und wertvollen Anmerkungen und Hinweise.
Ich gehe einmal sortiert einmal auf die Punkte ein:

@leleon:
Die Delegation von Arbeit lerne ich aktuell und ja, du hast Recht, so gut wie ich macht es tatsächlich in der Regel leider Keine/r. Ich suche nach einer Strategie oder Hinweisen, dass mir ein Zustand oder ein Thema bzw. ein Ergebnis einfach egal ist. Außerdem nach dem Grund, wieso man überhaupt Perfektionist wird. Das muss ja irgendwo her kommen (Elternhaus, Erfahrungen!?) Wie kann man Perfektionismus abtrainieren bzw. am liebsten abschalten? Was hast du getan, um dort weiter zu kommen?

Auch ich lehne mich gerne und oft weit über meinen Tellerrand. Einen selbst stresst der Mehraufwand zwar, überall anders wird es jedoch mit Lob und Anerkennung belohnt. Andere KollegInnen fahren da mit us meiner Sicht "Desinteresse" in Bezug auf ihren Selbstschutz vermutlich wesentlich besser,

Das Buch *beep* nehme ich schon einmal als wichtigen Hinweis und setze es auf die Leseliste. Da kann ich mich teilweise aber auch schon auf die erfolgreiche Umsetzung des Buches "Einen sch. muss ich Tommy Jaud" beziehen.

Grundsätzlich sind eigentlich keine Existenzängste, die mir bewusst wären. Die Anspannung hat sich über die letzten 10 Jahre schon im Studium aufgebaut. Auch dort verspürte ich viel selbst entwickelten Leistungsdruck. Ängste beziehen sich wenn dann eher auf das Hineinhorchen in den Körper und auf Krankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall). Wobei ich eigentlich ganz gesund bin (bis auf die Stress-Symptome). Dazwischen gab es immer mal Höhen und Tiefen. Gefühlt würde ich meine Lage von der Menge privaten und beruflichen Workload ausmachen....

@greta:
"Mut zur Lücke" und Improvisation ist bei mir ganz schlecht, das stimmt . Ich habe keinen Schimmer, wo das her kommt und wieso ich das nicht abgeschaltet bekommen.

Ich führe einen offenen Dialog mit meiner Chefin, die mich ebenfalls fragte: "Was passiert eigentlich, wenn du 200 ungelesene Emails hast und nur noch die Dinge machst, die du für wichtig erachtest". - Ich weiss es nicht genau, denn es ist noch nie passiert und ich habe es noch nicht darauf ankommen lassen, weil ich mich nicht traue. Vermutung:
1. Habe ich Angst, etwas zu verpassen
2. Habe ich Angst, dass ich dann die Übersicht verliere und nicht mehr priorisieren kann, was überhaupt das wichtigste ist.
3. Angst vor Kontrollverlust? Die Übersicht und Kontrolle der eigenen Welt geht in Machtlosigkeit über.
4. Bei Besuch und einer schmutzigen Wohnung wäre es natürlich auch die Außenwirkung.
Kann man "Mut zur Lücke", Unperfektionismus und Improvisation lernen?

Fehler toleriere ich bei mir und bei anderen, wenn sich nicht die gleichen Fehler stets wiederholen und zu einem Lerneffekt führen. Alle haben beruflich und privat viel um die Ohren und Fehler können passieren.

Diesen bzw. noch größeren Stress kenne ich auf jeden Fall aus meiner Kindheit bei meinem Vater wieder. Anhand der Geschichte deiner Kindheit würde ich dir pauschal eine sehr hohe Leistungsbereitschaft sowie eine hohe Erwartung an dich selbst einschätzen, da dies durch dein Elternhaus anerzogen wurde, oder?
Es freut mich, dass du auf jeden Fall schon mal einen guten Schritt weitere bist.
Diese ständige schlechte Laune bzw. das Fühlen einer "Leere" muss ich wohl auch noch üben.


Mein bester Kumpel hat auch schon einmal an mir festgestellt, dass ich nur in Extremen lebe. Ganz oder gar nicht eben. Nüchtern oder betrunken, keinen Partner oder vollen Einsatz, kein Sport oder Leistungssport. Keine Arbeit (kommt nicht in Frage für mich) oder die ganze Zeit Vollgas. Ich finde einfach keine Strategie, um eine Mitte bzw. einen gangbaren Weg zu finden, der mich nicht stresst und mit dem ich zufrieden und glücklich bin..


Bei den Eltern stelle ich ebenfalls die Gegensätze fest. Sie waren nie ein Team und haben sich während meiner Jugend scheiden lassen.

Was habt ihr bislang gelernt bzw. unternommen, um weniger "getrieben" zu sein? Ich versuche mich mal an einer Strategie, um etwas Gelassener mit allem umzugehen.

Grundsätzlich könnte man auch eine Versicherung abschließen und so weiter machen: Tinnitus, Blutdruck, Stress,... trotzdem läuft es und die Anerkennung kommt. Irgendwann knallt es halt mit einem Burnout (oder hoffentlich nicht schlimmeres) und dann steigt man aus. Lieber früher etwas tun, bevor es komplett zu spät ist.

09.01.2021 23:48 • x 4 #4


LeLion
Perfektionismus wenn man den Therapeuten glaubt ist in der Tat eine Prägung in den jungen Jahren.
Zum einen vorgelebt durch die Eltern, nach dem Motto erst die Arbeit dann das Vergnügen zum anderen aber auch wenn man als nicht genug Beachtung bekommen hat und versucht jetzt durch den Perfektionismus dies weiterhin einzufordern, man fühlte sich nie gut genug.
Mal ganz grob gesagt, das Thema und seine Entstehung selbst füllt ja ganze Bücher und es gibt auch noch mehr Punkte die darein fließen.

Was wir allerdings nicht mehr ändern können ist die Vergangenheit und unsere Prägung, also müssen wir nun damit leben und lernen umzugehen.
Als erstes muss man wie ich finde eine gute s c h e i s s egal Haltung lernen.
Nicht immer zu allem ja und amen sagen, machen wir uns nichts vor auch wenn wir zu etwas nein sagen haben wir es doch noch irgendwie hintenrum gemacht oder aber es belastet uns etwas abgelehnt zu haben und zwar so richtig.
Arbeit abzugeben wie ich sagte war relativ einfach, ich weiß nicht wie es bei dir ist aber ich denke mal ähnlich, es gibt immer Themen die interessieren einen von Natur aus und andere entsprechend weniger - auch auf die IT bezogen - die weniger interessanten (Teil)themen einfach mal abgeben und den Kollegen dadurch auch mal mehr Verantwortung zutrauen, hilft dir und den Kollegen.
Nach ein paar mal etwas abgeben fällt das ganze auch immer leichter, bis es dann zur neuen Gewohnheit wird.

Abschalten nach Feierabend ist mir da schon wesentlich schwerer gefallen und auch immer noch grübel ich hin und wieder über das ein oder andere Thema von der Arbeit. Ich hab gute Erfahrung gemacht mit Meditation und mittlerweile zunehmend Entspannungsyoga. Das hat zwar gedauert bis ich vom Status so ein Quatsch bis hin zur Entspannung gekommen bin, aber ich nachhinein muss ich sagen gut das ich dabei am Ball geblieben bin.

Wie immer sind das alles Prozesse, nichts lässt sich von heute auf Morgen Umsetzung sondern braucht Zeit, doch diese nehme ich mir mittlerweile gerne und bewusst.

11.01.2021 12:57 • x 4 #5


Greta
Zitat von Predator2097:
Was habt ihr bislang gelernt bzw. unternommen, um weniger getrieben zu sein?

Ich habe leider mehrere Zusammenbrüche gebraucht, bis ich kapiert habe, dass es so nicht weitergeht.
Seit Ende November bin ich nun wieder mit einer Erschöpfungsdepression krankgeschrieben. Erst jetzt, wo ich wirklich zur Ruhe komme, merke ich, dass die Ursache meiner Perfektion vor allem diverse Ängste sind. Diese Erkenntnis ist ein Anfang.
Nun muss ich lernen, mich selbst mit allen meinen Mängeln zu lieben. Ich mache eine Therapie, bin aber noch nicht weit vorangekommen, da ich erstmal herausfinden musste, wo das Problem liegt.

Zitat von Predator2097:
Kann man Mut zur Lücke, Unperfektionismus und Improvisation lernen?


Mir tut es gut, wenn mir jemand von außen quasi erlaubt, nicht perfekt zu sein. So brauchte ich z.B. die Bestätigung meines Arztes, meines Freundes und hier im Forum, dass es gut und richtig ist, wenn ich vorerst zuhause bleibe und für mich selbst sorge.
Ich übe mich jetzt im Unperfektionismus, sage klar, wenn ich etwas nicht kann oder mir was zuviel wird. Und bin immer noch überrascht, wie groß die Akzeptanz bei den meisten ist und dass ich nicht gleich verurteilt werde.

Was mir noch hilft: Die Dinge von außen zu betrachten.
Beispiel: Wenn ich eine Freundin besuche, deren Wohnung gerade nicht tip-top ist, was würde ich denken?
Dass sie schlampig und unordentlich ist? Oder dass sie einfach keine Zeit oder keine Lust hatte, für Besuch alles auf Hochglanz zu bringen? ...
Ich würde denken:
Super, bei anderen ist auch nicht alles perfekt.
Und ich würde sie für ihre Gelassenheit bewundern.
Und außerdem ist es mir eigentlich herzlich egal, wie es bei anderen in der Wohnung aussieht. Schließlich leben sie da.
Andersrum: Wer sich über meine Unordnung mokiert, mit dem will ich ohnehin nicht viel zu tun haben.

Hmm... Angst vor Kontrollverlust... was ist das?
Mangel an Vertrauen in die anderen und ins Leben überhaupt?
Zu Beginn meiner Krankschreibung habe ich noch jeden Tag mehrmals mein berufliches Email-Postfach gecheckt.
Ich hatte gerade einige große Projekte auf dem Tisch; außerdem stand die Inventur an (ich bin Abteilungsleiterin).
Ich war überzeugt, die Kollegen schaffen es nicht ohne mich und mein Detailwissen.
Und... ich hatte Angst, dass sie die Dinge nicht so erledigen, wie ich es für richtig halte... 100prozentig perfekt bis ins Detail, damit auch alles gut klappt. Und wenn mal was nicht so klappt, schaffen sie dann den Plan B, den ich immer schon im Hinterkopf hatte?
Den Kollegen ging es wohl ähnlich; sie riefen mich an, schrieben Mails, Whatsapp-Nachrichten... ständig gab es neue Fragen... Wie machen wir dies, wie machen wir jenes...
Dann merkte ich, dass mir die ständige Konfrontation mit dem Job einfach nicht gut tat. Ich bekam jedes Mal Herzrasen und eine furchtbare innere Unruhe, die ich dann über viele Stunden nicht mehr los wurde.
Daraufhin habe ich die Kollegen gebeten, sich wirklich nur noch im Notfall zu melden, und dann auch nur kurz per Whatsapp; so konnte ich selbst entscheiden, wann ich die Energie zum Antworten hatte.
Tatsächlich wurden die Rückfragen meiner Kollegen immer weniger. Offensichtlich versuchten sie nun, die Probleme erstmal selbst zu lösen, bevor sie mich damit belasteten.
Auch das dauernde Email-Gucken habe ich mir verkniffen. Das war anfangs schwierig.
Aber ich lernte, dass überhaupt nichts passiert, wenn ich nicht ständig erreichbar bin.
Mittlerweile höre ich nichts mehr von den Kollegen... außer mal ein Wie geht's oder Hier liegt noch ein Weihnachtspräsent; soll es dir jemand bringen?
Die Inventur müsste inzwischen erledigt sein. Nach 30 Jahren ging das offenbar dann doch ganz super ohne mich. Die Kollegen haben's anscheinend irgendwie hingekriegt; auch wenn sie's vielleicht anders gemacht haben oder es sicher auch mal irgendwo gehakt hat. Genauso wie die Projekte... zwei Großaussendungen und eine komplett neue Kommissionierzone... Ich hatte ganz konkrete Vorstellungen, was die Abwicklung angeht, hatte alles durchdacht, damit es effektiv und sinnvoll ist... Die Kollegen mussten sich nun irgendwie retten, und sicher, wenn ich die neue Zone jetzt sehen würde, hätte ich bestimmt einiges zu bemängeln und etliche Vorschläge, wie es besser, schneller, effektiver geht. Aber was soll's? Ich seh's nicht und es läuft. Damit lebe ich gerade ganz gut.

Die tausend Dinge, die ich noch erledigen will und die sich oft wie ein großer Berg vor mir auftürmen... da muss ich lernen, einen Schritt nach dem anderen zu machen, einfach anzufangen, und zu verstehen, dass man ja nie wirklich fertig wird.
Mein Freund, ein Meister der Gelassenheit, der sich noch nie von großen Bergen schrecken ließ, hat mir schon unzählige Male gesagt: Was nicht fertig wird, bleibt liegen.
Wie ein Mantra, immer wieder, und so langsam kommt davon etwas bei mir an.
Ich stelle fest, wenn ich mir nur auf das konzentriere, was ich gerade tue, ohne im Hinterkopf immer schon die nächste Aufgabe zu haben, gehen mir die Dinge viel leichter und mit mehr Freude von der Hand.

Zitat von Predator2097:
Ich versuche mich mal an einer Strategie, um etwas Gelassener mit allem umzugehen.

Wie sieht deine Strategie aus?

Liebe Grüße
Greta

11.01.2021 13:50 • x 2 #6


LeLion
Zwei Dinge sind für mich gerade in der ganzen Burn-Out Problematik als Perfektionist besonders wichtig geworden und geben mir immer wieder Kraft (nach dem ich Sie richtig verstanden habe) :

1. Nichts im Leben ist perfekt!
Egal wie gut man etwas plant oder macht es geht immer wieder noch mindestens 1% besser, aber jeder weitere Prozent kostet mich das X Fache an Leistung und raubt mir nur Energie und Zeit, die ich viel besser in Dinge investieren kann die mir gut tun.

2. Achtsamkeit
Das ständige Leben in der Zukunft und Vergangenheit zerrt ebenfalls so immens an der Energie und bringt ein nicht weiter im Leben.
Man darf das natürlich nicht falsch verstehen es gibt immer Dinge da macht es Sinn sowohl nach vorne als auch nach hinten zu schauen, aber nicht immer und bei allem.
Es ist der schöne Moment im hier und jetzt der die Aufmerksamkeit verdient und nicht der Arbeitstag der morgen ansteht!

11.01.2021 15:24 • x 3 #7

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