Zitat von Melli67: Darf ich fragen wie du dich um dein inneres Kind kümmerst ?
Liebe Melli, ich schreibe dir gerne etwas dazu, einfach mit dem Vorbehalt, dass dies meine Erfahrung ist und sicher nicht so leicht übertragbar.
Wie gesagt, lange Zeit war die Sache mit dem inneren Kind für mich eher ein rotes Tuch und etwas, was Versagensgefühle auslöste. Bis mir bewusst wurde, wie sehr meine Eltern und meine älteren Geschwister (ich war ein Nachzügler) mir über Jahre immer und immer wieder zugemutet hatten, mich um mich selbst zu kümmern. Niemand hatte Zeit oder Interesse und ich tauchte dann mit meiner verzweifelten Sehnsucht nach Spielgefährten in eine Tagtraumwelt ab, um dem Schmerz zu entgehen. Mich selbst um mein inneres Kind kümmern war gleichbedeutend mit dem verhassten, tausendfach gehörten Spruch muesch di mit dier sälber vertörle (CH Mundart, musst halt mit dir selber spielen). Er triggerte den ganzen verdrängten Emotionskomplex aus Verzweiflung, Wut usw. - löste aber v.a. auch das nagende Gefühl der Unfähigkeit aus. Also absolut nichts Hilfreiches. Da wir relativ abgelegen lebten, gab es auch keine Kinder in meinem Alter in erreichbarer Nähe.
Erst als mir das bewusst wurde, kam etwas in Bewegung. Das geschah einmal in einer Männergruppe, als die Leiter in einer Fantasiesequenz eine Übung mit dem inneren Kind anleiteten. Ich konnte das in der anschliessenden Runde sagen. Und einer der Leiter reagierte auf für mich sehr hilfreiche Weise: Er sagte, er könne meine Schwierigkeit vor diesem Hintergrund absolut verstehen. Und ich solle doch stattdessen mal versuchen, mir eine ideale innere Mutter vorzustellen und damit zu arbeiten.
Hätte ich versucht, mich als jetzt erwachsener Stromboli alleine um den Kleinen in mir zu kümmern, wäre das fruchtlos geblieben. Ich brauchte dazu ein liebevolles inneres Elternpaar, das mir zur Seite stand, sowohl dem erwachsenen als auch dem kleinen Stromboli zugewandt und absolut verlässlich. Wie es kam, dass dieses Elternpaar in meiner Seele auftauchte, ist mir selbst ein Mysterium. Sie erschienen im Lauf der Traumatherapie, während ich an diesen Themen dran war. Und plötzlich erinnerte ich mich daran, dass genau dieses Paar vor vielen Jahren, als das alles noch kein Thema war, mir einmal in einem luziden Traum erschienen war. Also in einem Traum, der sich deutlich unterschied von den üblichen, die häufig stressig sind oder zumindest ein Gemisch von Stress und Entspannung bieten. Dieser Traum war sehr klar und von Glücksgefühlen und Freiheit erfüllt. Ich vergass ihn später wieder, bis das Paar eben durch die Therapie plötzlich wieder erschien. Sie unterscheiden sich ganz grundlegend von meinen leiblichen Eltern. Irgendwie muss das innere Bild davon in mir geschlummert haben, wie Eltern AUCH sein könnten. Der Leiter der Männergruppe hat mitgeholfen, es zu wecken.
Erst mit ihrer Hilfe konnte ich mich als Erwachsener von heute in der Fantasie um den verzweifelten, allein gelassenen Kleinen kümmern. Und erst so wurde das zu einer wirklich grossen Hilfe. Dank diesem Prozess fielen in den letzten Monaten Beziehungsängste in einem Mass von mir ab, wie ich das gar nicht mehr für möglich gehalten hätte. Erst jetzt wurde ich fähig, meine ursprünglichen Beziehungsbedürfnisse (also jene des inneren Kindes) richtig wahrzunehmen, ernst zu nehmen und, am wichtigsten, klar für sie und mich einzustehen.
Das ist in etwa meine Geschichte mit dem inneren Kind. Wenn sie dir einen hilfreichen Input geben kann, würde mich das freuen. Aber denk daran, Vergleichen mit anderen und ihren Erfahrungen ist oft entmutigend. Keine Geschichte ist gleich, und dass ich jetzt weitergekommen bin, verdanke ich u.a. auch der Tatsache, dass ich aufhören konnte, die Erfolgsgeschichten anderer nachahmen zu wollen.
Alles Liebe dir!
Herzlich, Stromboli