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Depression und ständiges Selbst-Hinterfragen

M
Guten Tag, ich habe mich neu im Forum angemeldet, da ich mich außerhalb der Anonymität schwer tue, über die folgenden Dinge/Probleme zu sprechen.

Zu meiner Person: Ich bin 27 Jahre als, seit vier Jahren verheiratet, Vater zweier Kinder. Bei mir wurde eine mittelschwere bis schwere depressive Verstimmung diagnostiziert, Medikamente haben bislang nur in ganz geringem Ausmaß geholfen. Ich würde einschätzen, dass es seit Mitte 2017 keinen Tag mehr gab, an dem ich mich wirklich glücklich oder zufrieden gefühlt habe. Meine Stimmungslage schwankt zwischen dem Nullpunkt und unterdurchschnittlich, gute Phasen dauern maximal 30-60min am Stück an.

Meine Hauptschwierigkeit ist, dass ich mich und meine Leistungen ständig selbst hinterfrage und nicht objektiv einschätzen kann, welche Probleme es von der Intensität her wirklich rechtfertigen, dass ich schlecht gestimmt bin und bei welchen Anlässen es auf meine Erkrankung zurückzuführen ist. Ich lebe in Österreich, habe zwei juristische Studiengänge abgeschlossen (Diplomstudium und Master of Laws) und schreibe an einer Doktorarbeit. Damit will ich nicht angeben sondern zeigen, dass ich eigentlich objektiv betrachtet keinen wirklichen Anlass haben sollte, die unglaublich starken Zukunftsängste und Sorgen zu haben, die mich seit langer Zeit plagen.

Ein ständig wiederkehrendes Problem sind Ängste und Untergangsstimmung aufgrund von einer finanziell angespannten Lage. Ich bin Berufseinsteiger, arbeite 50+ Stunden die Woche und verdiene 1.800 Euro netto, wozu noch Kindergeld kommt. Meine Frau (auch Akademikerin, früher auch Probleme mit Depressionen) ist zuhause und kümmert sich um die Kinder (2,5 und 0,5 Jahre). Wir haben das Glück und Privileg, in einer schönen Lage bei den Schwiegereltern zu wohnen und keine Miete zahlen zu müssen, aber dennoch ist das Geld ständig knapp, da meine Frau gerade was die Kinder angeht enorm auf Qualität achtet. Ich nehme mich vollständig zurück, bin noch nie mit Kollegen mal ins Restaurant gegangen, gehe nicht mit Freunden weg und habe mir von meinem selbst erarbeiteten Geld abseits von einigen Büchern noch nie etwas gegönnt. Immer wenn am Ende des Monats das Geld knapp wird, fühle ich mich persönlich und schuldig und dafür verantwortlich, obwohl ich nicht mehr verdienen kann und selbst keine unnötigen Ausgaben tätige. Das versetzt mich ständig in Unruhe und sorgt dafür, dass ich mich in keinem Moment wirklich entspannen oder gut fühlen kann. Objektiv kann ich nicht einschätzen, inwieweit das jetzt tatsächlich begründet ist und wieviel davon krankheitsbedingt ist.

Ich leide unter der Gesamtsituation sehr, insbesondere unter der Verantwortung für die anderen Familienmitglieder, der ich gerecht werden muss. Manchmal denke ich, dass es für mich leichter wäre, wenn ich nur für mich selbst zu sorgen hätte, da ich enorm anspruchslos bin und mit jeder Situation leben kann. Ich kenne auch andere Freunde und Bekannte, die von ihrer familiären Herkunft her mit wenig Geld klarkommen mussten und das auch geschafft haben und gleichzeitig glücklich sein konnten, aber mir ist es nicht begreiflich, wie sich bei mir da ein Schalter umlegen kann. Die Verantwortung für alles lastet so schwer auf mir, dass ich mich am Liebsten einfach nur verkriechen und alles und jedem aus dem Weg gehen will. Gleichzeitig bin ich paradoxerweise wenn es darauf ankommt, also arbeitstechnisch, enorm belastbar und leistungsfähig. Sobald ich aber Zeit habe nachzudenken, zieht mich diese dunkle Spirale wieder nach unten.

Vielleicht hat ja jemand Ratschläge oder auch ähnliche Erfahrungen gemacht. Mich hat es gefühlt aber schon etwas erleichtert, das alles einmal niederzuschreiben.

LG, Matthias

10.10.2020 16:11 • #1


hlena
Hallo Matthias!

Du übernimmst alle Verantwortung,dabei müßte deine Frau davon mindestens die Hälfte tragen.
Das ist ein Lernprozess,das geht nicht von jetzt auf gleich.
Gib dir etwas Zeit.
Du schreibst,daß die Antidepressiva kaum wirken.
Ich bin zwar kein Fachmann,aber ich würde sagen,du hast nicht das richtige Mittel.
Setz dich doch mit dem Arzt oder Psychiater in Verbindung,damit das geändert wird-

10.10.2020 16:42 • x 1 #2


A


Hallo Matthias1993,

Depression und ständiges Selbst-Hinterfragen

x 3#3


DownTown
Ähm, 27, 2 Kinder, 2 abgeschlossene juristische Studiengänge, Doktorarbeit und dazu lebst du auf Sparflamme, gönnst dir nix und gibst nur? Ich behaupte mal, dass es auf der Hand liegt...wann hast du gelebt? Bzw. wann lebst du? Hast du einen Ausgleich? Du hast ein sehr krasses Tempo vorgelegt. Ich würde mal einen Gang runter schalten...aber das sagt sich so leicht, ich weiß...bezüglich der Medikation schließe ich mich Hlena an. Vielleicht kann da noch was optimiert werden.

10.10.2020 16:53 • #3


M
Danke schon mal für die Rückmeldungen. Ich habe seit gestern eine neue Medikation, das sollte also in einigen Wochen ggf wirken. Meine Frau leistet sicherlich Arbeit im selben Ausmaß wie ich, nur wird diese halt nicht bezahlt, die finanzielle Verantwortung lässt sich daher eben nicht wirklich aufteilen. Dadurch, dass meine Frau einige Jahre älter ist als ich habe ich ungeachtet dessen was ich leiste immer das Gefühl, dass es tatsächlichen oder eingebildeten Ansprüchen nicht genügt. Dazu kommt noch, dass wir bei ihren Eltern wohnen, was diese zwar angeboten haben, in mir aber damit den ggf gar nicht beabsichtigten Druck auslösen, ihnen dafür etwas zurückzugeben zu müssen. Zeitlich haben für mich Arbeit und dann Familie die höchste Priorität und wenn es abseits davon irgendetwas anderes mache, fühle ich mich schuldig. Da meine Frau aber neben den Kindern auch nichts wirklich für sich macht, würde ich vielleicht wirklich etwas falsch machen, wenn ich mich zurückziehen und Dinge für mich machen würde. Ich zweifle halt grundsätzlich daran, dass mir selbst eine verbesserte Medikation diesen Verantwortungsdruck und diese ständige Beschäftigung mit der Zukunft nehmen kann...

10.10.2020 17:27 • #4


Jedi
Hallo @Matthias1993 !

Hm :
Zitat von Matthias1993:
Ich habe seit gestern eine neue Medikation, das sollte also in einigen Wochen ggf wirken.

+
Zitat von Matthias1993:
Ich zweifle halt grundsätzlich daran, dass mir selbst eine verbesserte Medikation

Dies deine Aussage so betrachtet, eine eher schlechte Kombination !
Es ist schon hilfreich, eine pos. Einstellung zu den Medis zu haben,
ansonsten macht eine Neueinstellung irgendwie so keinen rechten Sinn.

Warum tust Du es denn dann überhaupt ?
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Zitat von Matthias1993:
Ich zweifle halt grundsätzlich daran, dass mir selbst eine verbesserte Medikation diesen Verantwortungsdruck und diese ständige Beschäftigung mit der Zukunft nehmen kann...

Das stimmt !
Allein können es die Medis nicht u. dafür sind sie auch nicht gemacht oder werden zu diesem Zwecke auch nicht verschrieben !
Eine Kombination aus Medis u. einer Psychotherapie, die ich Dir sehr ans Herz legen würde,
kann es mit der nötigen Zeit schaffen, mit dem Verantwortungsdruck - mit den Gedanken um die Zukunft u.
noch sicher anderen Anteilen u. Verhalten in Dir, da einen guten Umgang zu finden !
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Zitat von Matthias1993:
Bei mir wurde eine mittelschwere bis schwere depressive Verstimmung diagnostiziert,

Da macht es Sinn, sowohl eine medikamentöse Behandlung einzuleiten, mit dann einer Psychotherapeutischen Begleitung
zu kombinieren !

10.10.2020 18:25 • #5


DownTown
Du erwähnst immer wieder, dass ihr unentgeldlich bei deinen Schwiegereltern lebt. Das scheint für dich wirklich ein Problem darzustellen. Darf ich fragen warum deine Frau finanziell nichts beisteuert? Wie kommst du darauf, ihren Ansprüchen nicht zu genügen? Habt ihr darüber schon einmal gesprochen?
In der Tat denke ich auch, dass dir die Medikation diese Last nicht nimmt. Aber du wirst wieder leichter durch's Leben gehen und manche Situationen dadurch vielleicht nicht mehr so kritisch beurteilen...

10.10.2020 18:30 • #6


PaulaBaumann
Hallo Matthias,
da hast Du ja ein ziemlich großes Päckchen zu tragen. Ich hoffe ich trete Dir nicht zu nahe, aber bei allen Verständnis. Es ist ja in Ordnung, dass Deine Frau Wert auf Qualität legt, aber selbst da kann man Abstriche machen. Du bist nicht allein für das Wohl Deiner Familie zuständig. Weiß Deine Frau, wie es Dir geht ? Bist Du bei einen Physiologen in Behandlung ? Hast Du schon mal über einen Klinikaufenthalt nachgedacht. Es ist wichtig, dass Du Dir ab und zu mal eine Stunde nur für Dich nimmst. Ich wünsche Dir von ganzen Herzen viel Kraft.
Liebe Grüße Paula

10.10.2020 18:52 • #7


M
@DownTown
Ich denke mal es ist nachvollziehbar, dass bei zwei Kindern von denen das erste gerade vor einigen Wochen in den Kindergarten gekommen ist und das zweite nicht mal ein Jahr alt ist, die Mutter noch nicht selbst wieder Geld verdient. Das Wohnen bei den Schwiegereltern ist für mich kein Problem, die sind die meiste Zeit auch nicht da, sondern bei ihrem Zweitwohnsitz und die stellen auch keinerlei Ansprüche, aber es ist dennoch so ein undefinierbares Gefühl da, dass etwas von einem erwartet wird. Was meine Frau angeht ist die Situation sowieso etwas zwiegespalten. Ich habe sie kennengelernt als es ihr selber psychisch sehr schlecht ging, sie auch nicht arbeiten konnte und seit dem Beginn unserer Beziehung geht es ihr sehr gut (dafür ist dann bei mir ein paar Jahre später die Depression aufgetreten). Früher hat sie von ihren Eltern alles gezahlt bekommen und dementsprechend einen Lebensstil im Bereich obere Mittelschicht geführt, den ich eben jetzt (noch) nicht für uns zur Verfügung stellen kann und den ich für mich materiell auch nicht zwingend nötig habe. Sie wollte genau wie ich auch immer Kinder haben, scheint aber nicht ganz verstanden zu haben, dass damit eben auch Abstriche verbunden sind.

@paula
Danke für deine Nachricht. Meine Frau weiß wie es mir geht und hat damals als sie die Anzeichen erkannt hat mir auch zu einer Behandlung geraten. Sie sagt auch selbst von sich, dass sie sehr emotional und nicht immer ganz einfach ist, nur aufgrund meiner negativen Selbstwahrnehmung kann ich häufig nicht ganz einschätzen, wer von uns beiden gerade ggd über- oder falsch reagiert. Einen Klinikaufenthalt halte ich insofern für überflüssig, weil ich was Arbeit und sonstige Verpflichtungen angeht absolut alltagstauglich bin und, wenn man meinem Chef glauben kann, auch überdurchschnittlich gute Arbeit leiste (was sich in der aktuellen Wirtschaftssituation leider nicht immer direkt niederschlagen kann).

Grundsätzlich muss ich sagen, dass es mir gerade sehr hilft, die Dinge zu rationalisieren und zu formulieren.

LG, Matthias

10.10.2020 19:19 • x 1 #8


DownTown
Ja gut, wenn es an der Elternzeit liegt, dann ist dieser Zustand ja nicht für immer. Sie wird ja auch so etwas wie Elterngeld beziehen oder? Ich weiß nicht ob ihr in der Schweiz auch sowas habt...
Es ist denke ich nicht so einfach seine Ansprüche etwas runter zu schrauben, wenn man einen gewissen Standard gewohnt ist. Ich kann mir vorstellen, dass du dich weniger wert fühlst, weil du nicht wie ihre Eltern alles so locker zahlen kannst. Durch die Depression potenziert sich das Gefühl natürlich zeitweise. Vielleicht empfindest du es auch viel krasser als sie. Habt ihr darüber mal gesprochen?
Es ist schön, dass dir das von der Seele schreiben gut tut....

10.10.2020 20:11 • #9


M
@DownTown
Bei uns in Österreich gibt es auch für die ersten Monate eine Kompensation, aber dann kommt natürlich noch die Schwierigkeit dazu, in der aktuellen Situation was zu finden etc. Ja, es wird auf jeden Fall etwas damit zu tun haben, für mich ist das Gefühl besonders schlimm, da ich jeden Morgen um 7:30 aus dem Haus gehe, nie vor 20 Uhr zuhause bin und mir dann noch am Ende des Monats anhören kann, dass es knapp wird. Es fühlt sich einfach falsch an, weil ich objektiv nichts anderes machen kann als arbeiten zu gehen, aber das Gefühl habe, nicht genug zu tun, auch wenn sie das mir damit vielleicht gar nicht vermitteln will und ich krankheitsbedingt diese Verknüpfung selbst mache. So oder so zieht es das Selbstwertgefühl runter. Wenn ich die Schule abgebrochen hätte oder mir keine Mühe geben würde, würde ich es ja verstehen, aber Einstiegsgehälter sind in dem Bereich nun mal nicht höher und ich habe für meine Abschlüsse hart gearbeitet. Da will ich nach einer anstrengenden Arbeitswoche sicherlich nicht irgendwelche Klagen anhören müssen. Insbesondere, weil es aus meiner Sicht Luxusprobleme sind, da wir keine Miete zahlen müssen und eine große Anzahl an Menschen mit weniger Geld klarkommen muss. Aber dann kommt immer das irgendwie unsinnige Argument, dass wir uns nicht mit anderen vergleichen sollten. Mir bleibt immer das Gefühl, dass ich meiner Wahrnehmung nicht trauen kann, da ich weiß, dass ich depressiv bin und die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf mich wirken.

10.10.2020 20:42 • #10


A


Hallo Matthias1993,

x 4#11


buddl1
bei all dem geschriebenen...
was könnt ihr, also du, deine Frau und eure Kinder gemeinsam machen?
oder was tut ihr, damit ihr zumindest am Wochenende eben abends das Gefühl der Liebe zueinander,
füreinander wieder finden könnt. es tatsächlich ein guter Tag war...
bei allem Verständnis für die Arbeit, auch die zuhause, die Aufteilung, Abends einfach nur fertig zu sein,
den Erwartungen gegenüber Dritten, den Schwiegereltern, könnt ihr darin Zeit für euch noch finden?
der Alltag frisst euch auf und ja dein Szenario ist mir so bekannt, selbst gelebt, außer nicht mietfrei
aber um die Eigentumswohnung zu bezahlen und dann später unser kleines Haus, es bedeutete immer eine finanzielle Einschränkung und ja wir waren nicht mit anderen vergleichbar...
sparten wo es möglich war, Urlaub nur dort wo wir mit unserem alten Auto selbst fahren konnten, mal waren es nur 60 km weit,
aber wir taten alles, was für unsere Kinder und damit für uns wichtig war,
sie glücklich zu sehen.
und ihr Glück, war unser Lohn, unser Kraftquell, wofür wir es taten.
und ich hab wirklich von den ersten 16 Jahren meiner Kinder sehr wenig gesehen,
den die Arbeit musste ja vor gehen, damit man das Leben führen konnte, wie es möglich wurde...
was macht ihr an freien Tagen,
diese zu nutzen, den Ausgleich für die Woche finden,
schnell sind Kinder groß, das Haus bezahlt,
was bleibt dann eigentlich...?
manchmal, ja fast unmerklich
wir zurück schauen, das Lachen der Kinder von damals,
unser Leben und lieben, es schweißte zusammen bis heute,
bei allen wenn und aber...
buddl1,

11.10.2020 07:50 • #11

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