Xarna
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Guten Abend, ihr Lieben.
Ohne dass ich angefangen habe, schätze ich, dass folgender Text sich sehr in die Länge ziehen wird und ich hoffe, dass es jemanden gibt, der sich trotzdem die Mühe macht und es liest.
Schon länger überlege ich, mich irgendwie in Foren darüber auszutauschen. Dieses Profil hier besteht also schon länger. Doch hat mich immer der Gedanke davon abgehalten aaaach, so schlimm ist es doch gar nicht.
Nun bin ich aber leider an einem Punkt, an dem meine letzte Hoffnung fröhlich winkend an mir vorbei zieht. Also greife ich verzweifelt nach irgendeinem Strohhalm, auch, wenn es nur ein Forum ist.
Was ich mir davon erhoffe, weiß ich selbst nicht. Und selbst, wenn ich es tief in mir drin wüsste, möchte ich es dann hören? Fakt ist, ich muss mich austauschen und kann es nicht mehr aushalten, alles zuzudeckeln.
Also. Worum geht es hier überhaupt?
Ich fühle mich wie ein kleiner Verräter, es auszusprechen oder zu schreiben.
Mein Partner ist depressiv.
Wie lange er es ist schon ist, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich war er es schon vor unserer Beziehung und ich habe es einfach nicht gemerkt, bzw. wurde es durch die rosarote Brille ganz wunderbar kaschiert.
Wir sind jetzt 1,5 Jahre ein Paar, 1 Jahr davon leben wir zusammen. Damit fing wahrscheinlich alles an.
Ich bin die erste Frau, mit der er zusammen lebt und ich schätze, dass ihm jetzt erst viele Probleme seiner selbst bewusst werden, die ihm vorher nicht so aufgefallen waren.
Er hatte eine unglaublich beschissene (entschuldigt den Ausdruck) Kindheit. Seine Mutter heiratet demnächst zum 7. Mal. Schon als er klein war, holte sie sich Alk. und gewalttätige Männer ins Haus. Er kann relativ gut darüber sprechen, dass er nachts oft vor Angst wach lag und mehrfach die Polizei rufen musste. Das ist jetzt die Kurzversion dessen und für die Online-Variante muss das ausreichen.
Zu seinem Vater hatte er emotional eine tiefere Verbindung, wenn auch nicht so tief, wie das Verhältnis Eltern-Kind sein sollte.
Na ja. Irgendwann wird man dann erwachsen und als er endlich den Absprung von zu Hause schaffte, ging er zur Bundeswehr. Auch einen Auslandseinsatz hat er hinter sich gebracht - freiwillig. Mit den Folgen dessen kämpft er zum Teil heute noch.
Ich bin inzwischen schon wieder 3x kurz davor gewesen, den ganzen Text wegzuhauen. Wahrscheinlich ist es einfach zu umfangreich. Trotzdem lasse ich es jetzt so stehen, weil ich denke, dass man manche Inhaltspunkte einfach braucht, um die aktuelle Situation zu greifen.
Schließlich sieht man sich als Partnerin oft in der Position, sich für seinen Partner rechtfertigen zu müssen, bzw. ihn in Schutz nehmen zu wollen.
Trotz allem was er durchmachen musste ist er ein liebevoller Mann. Umsichtig, aufmerksam, fürsorglich, respekt- und humorvoll. . gewesen.
Das alles war mal.
Im Dezember ist sein Vater plötzlich verstorben. Wir wollten ihm zwischen den Feiertagen einen Besuch abstatten. Alles war geplant. Nur die Uhrzeit nicht. Also riefen wir 2 Tage vorher an um diese zu erfragen. Niemand ging ans Telefon. Wir haben uns Sorgen gemacht und sind früher als erwartet angereist. Und da war es auch schon zu spät. Wir fanden ihn in seiner Wohnung, noch ansprechbar, aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich rief den Notarzt und sein Vater kam ins Krankenhaus, in dem er nur einen Tag später seinem diabetischem Koma erlag. Es war grausam.
Noch nie hatte ich meinen Freund so hilflos, verzweifelt und bitterlich weinen sehen. Wir kamen einfach zu spät.
Noch Wochen später musste ich mit Vorwürfen kämpfen, dass sein Vater noch leben würde, wenn meine Weihnachts-Planung nicht gewesen wäre.
Er fiel in ein tiefes Loch. Verständlicherweise. Doch heute weiss ich, dass der Tod seines Vaters nur das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Er fing an, sein ganzes Leben zu überdenken, stellte unsere Beziehung immer wieder in Frage, machte mir Vorwürfe, nahm mich nicht wahr.
Ich organisierte die Beisetzung und Beerdigung. War für ihn da, gab ihm Halt, hielt ihn nächtelang im Arm, weinte mit ihm.
Es folgten Wochen von Dankbarkeit, dass ich für ihn da war und ihn unterstütze - im Wechsel mit ich will allein sein, Rückzug, Distanz und einem Leben in der Blase.
Neben all dem her arbeite ich Vollzeit als Krankenschwester, bin alleinerziehende Mutter einer 8jährigen Tochter und muss selbst mit meinen Kräften haushalten. Nun ist mein Partner schwer depressiv. Seit 8 Monaten akut. Kommt aus seinem Loch nicht mehr raus. Seine Stimmungen sind stets schwankend. Von Himmel-hoch-jauchzend bis zu ich tu euch nicht gut, ihr seid ohne mich besser dran und ich ziehe euch nur mit runter.
Alles sieht er schwarz. Er ist der festen Überzeugung, dass er früh sterben wird, weil seine Familiengenetik aus seiner Sicht einfach so sei, auch deswegen wolle er keine eigenen Kinder, er wäre wahrscheinlich auch ein schlechter Vater und ohnehin würde alles zu Staub zerfallen, was er anpackt. Niemand könne ihm helfen, es sei sowieso aussichtslos. Er meint, er müsse genauso einsam und allein sterben wie sein Vater. Er würde eh nur alles in den Sand setzen und nichts Wert und schon gar nicht meine Mühen. So sieht er die Welt durch einen grauen Schleier. Ist kaum dazu in der Lage, überhaupt Emotionen zu empfinden. Seinen Alltag hingegen bewältigt er jedoch ganz gut. Geht regelmäßig und pünktlich zur Arbeit, treibt Sport.
Durch meine Augen würdet ihr einen unfassbar attraktiven Mann sehen, der viel durchstehen musste und dabei mir und meiner Tochter trotzdem ein liebevolles Vorbild sein kann. Der uns liebt, der sein letztes Hemd für uns geben würde. Der Lob und Anerkennung zwar schlecht annehmen kann, sich aber insgeheim darüber freut. Einen Mann, der gefühlt 5cm wächst, wenn meine Tochter ihm mit strahlenden Augen erzählt, dass er der stärkste Mann ist, den sie je gesehen hat. Einen Mann, der auch mich unterstützt, wenn ich gestresst von der Arbeit komme. Einen Mann, der das Abendessen zubereitet. Einen Mann, den ich so sehr dafür bewundere, dass er die alltäglichen Dinge so gut meistert, obwohl ihm das Leben so böse zugespielt hat.
Einen Mann, der es wirklich bis zur letzten Haarspitze verdient hat, geliebt zu werden. Genau so wie er ist. Auch mit seiner Depression.
Wir drei bilden die Familie, die er als Kind nie haben durfte.
Ich weiß, dass er uns genau so sehr liebt, wie wir ihn.
Er kann es zwar nicht mehr ganz so gut zeigen, aber ich weiß, wie warm sein Herz ist.
Auch wenn er der festen Überzeugung ist, dass er uns nicht gut tut und wir ohne ihn besser dran wären, ist ein Leben ohne ihn für mich nicht vorstellbar.
Überhaupt verstehe ich seinen Gedanken nicht, er könne uns nicht glücklich machen. Er tut es jeden Tag.
Ich verstehe nicht, wie dieses Monster Depression einen Menschen so kaputt machen und die gesamte Wahrnehmung verändern kann.
Ich halte ihm den Rücken frei, nehme ihm die Dinge ab, die ich abnehmen kann. Kritisiere ihn nicht, stecke zurück, grummle darüber nicht.
Irgendwie hatte ich gehofft, dass seine Stimmung sich über die sonnigen Sommertage etwas bessern würde. Von allein. Dem war nicht so.
Er rutscht immer tiefer.
Entwickelt körperliche Symptome, hat ständig Schmerzen in Knie oder Rücken. Kann deswegen kein Sport machen, was ihn noch mehr runter zieht, weil ihm Bewegung und Fitness sehr wichtig sind. Er ist häufig krank. Halsschmerzen, Erkältung. Schlafprobleme. Kann schlecht ein-und durchschlafen. Ist dadurch gereizt und wenig belastbar.
Aktuell ist es auf dem Tiefpunkt. Arbeit funktioniert gut, aber zu Hause geht gar nichts. Der Griff zum Staubsauger ist zu viel, vom ungemähten Rasen brauch ich gar nicht anfangen, da möchten seine Blicke mich schon töten. Er verkriecht sich in seiner Playstation Welt. Ballerspiele. Darin ist er gut und hat so täglich seine Erfolgserlebnisse. Ich setz mich dazu und feuer ihn an, gelegentlich spiele ich mit, weil ich es liebe zu sehen, wie er sich über seine Siege freut. Sonst freut er sich im Alltag nämlich gar nicht mehr. Bzw wirkt seine Freude über Kleinigkeiten ehr gezwungen, ich tu so, als würde ich ihm sein Schauspiel abnehmen, als Anerkennung, dass er wenigstens versucht sozial kompatibel zu sein. Ich weiß, dass er sich dazu besonders aufraffen muss, weil er am liebsten einfach nur allein sein würde.
Doch wir leben in einer Familie. Da ist Rückzug ehr schwierig, da der Alltag viel Raum beansprucht.
Nun ist er auf dem Trichter, hier ausziehen zu wollen. Weil er nur noch alleine sein will.
Lieben tut er uns aber trotzdem.
Auf der einen Seite will er uns unbedingt in seinem Leben behalten, weil wir ihm Familie und Stablität geben - auf der anderen Seite spricht die Depression und sagt, er sei nicht gut genug für uns, wir wären ohne ihn ohnehin besser dran und er ein hoffnungsloser Fall.
Nun habe ich ihm mehrfach und ausdrücklich nahe gelegt, dass er jetzt an einem Punkt ist, an dem seine Trauer über seinen Vater nicht von alleine besser wird. Habe ihm nahe gelegt, dass er allgemein Dinge aufzuarbeiten hat (Kindheit, Auslandseinsatz. ) und sich unbedingt Hilfe suchen muss. Dass ich ihm gern die helfende Hand dazu reiche, für ihn da bin, ihn unterstütze und nicht aufgebe. Dass unsere Liebe stark genug ist und das aushält.
Dann weint er und sagt, er will keine Hilfe. Er ist Soldat und das sei mit seinem Beruf nicht zu vereinbaren. Er sei keine Weichwurst. Er wüsste, dass er Hilfe braucht, aber es geht nicht und würde ohnehin keinen Sinn machen.
Wir sind jetzt tatsächlich an einem Punkt, an dem er sich aus Liebe trennen will.
Bzw. darüber spricht.
Ich weiß, dass er nur weglaufen will. Seine Mutter hat es ihm schließlich nie anders vorgelebt. Wenn es schwierig wird, haut man eben ab.
Er selbst sagt, dass er es wahrscheinlich bitterböse bereuen wird.
Aktuell fehlt ihm der Antrieb, seine Ideen in die Tat umzusetzen.
Die ganze Zeit über habe ich mich für ihn aufgeopfert, zurück gesteckt, ihm alles abgenommen, seine Launen und Zurückweisungen ertragen. Habe nachts auch heimlich in mein Kissen geweint. Bin am Ende meiner Kräfte. Aber ich will diesen Mann nicht ziehen lassen, weil ich weiß, wie wundervoll er ist.
Muss man einen Depressiven wirklich erst auf den Boden der Tatsachen aufklatschen lassen, bis sie begreifen, was passiert und bis sie sich helfen lassen?
Er hat kaum noch Freunde, weil er sich in seiner Depression nicht mehr drum gekümmert hat. Seine Familie ist ein Haufen Asche. Wenn er jetzt wirklich geht, hat er gar keinen mehr. Und ich ertrage es nicht, ihm dabei zuzusehen, wie er sein eigenes Leben demontiert und meines und das meiner Tochter dabei gleich mit in Scherben wirft.
Fühle mich so unfassbar hilflos. Es ist wie in einem Film, in dem man auf das HappyEnd hofft, obwohl man weiss, dass das Genre Drama ist.
Ich weiß nicht mehr, wie ich ihm helfen soll, wenn er keine Hilfe will. Wenn er unbedingt allein sein WILL.
Ich habe auch noch meine Tochter und meinen Job um den ich mich kümmern muss. Ich kann mich nicht vollends für ihn aufgeben
Ohne dass ich angefangen habe, schätze ich, dass folgender Text sich sehr in die Länge ziehen wird und ich hoffe, dass es jemanden gibt, der sich trotzdem die Mühe macht und es liest.
Schon länger überlege ich, mich irgendwie in Foren darüber auszutauschen. Dieses Profil hier besteht also schon länger. Doch hat mich immer der Gedanke davon abgehalten aaaach, so schlimm ist es doch gar nicht.
Nun bin ich aber leider an einem Punkt, an dem meine letzte Hoffnung fröhlich winkend an mir vorbei zieht. Also greife ich verzweifelt nach irgendeinem Strohhalm, auch, wenn es nur ein Forum ist.
Was ich mir davon erhoffe, weiß ich selbst nicht. Und selbst, wenn ich es tief in mir drin wüsste, möchte ich es dann hören? Fakt ist, ich muss mich austauschen und kann es nicht mehr aushalten, alles zuzudeckeln.
Also. Worum geht es hier überhaupt?
Ich fühle mich wie ein kleiner Verräter, es auszusprechen oder zu schreiben.
Mein Partner ist depressiv.
Wie lange er es ist schon ist, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich war er es schon vor unserer Beziehung und ich habe es einfach nicht gemerkt, bzw. wurde es durch die rosarote Brille ganz wunderbar kaschiert.
Wir sind jetzt 1,5 Jahre ein Paar, 1 Jahr davon leben wir zusammen. Damit fing wahrscheinlich alles an.
Ich bin die erste Frau, mit der er zusammen lebt und ich schätze, dass ihm jetzt erst viele Probleme seiner selbst bewusst werden, die ihm vorher nicht so aufgefallen waren.
Er hatte eine unglaublich beschissene (entschuldigt den Ausdruck) Kindheit. Seine Mutter heiratet demnächst zum 7. Mal. Schon als er klein war, holte sie sich Alk. und gewalttätige Männer ins Haus. Er kann relativ gut darüber sprechen, dass er nachts oft vor Angst wach lag und mehrfach die Polizei rufen musste. Das ist jetzt die Kurzversion dessen und für die Online-Variante muss das ausreichen.
Zu seinem Vater hatte er emotional eine tiefere Verbindung, wenn auch nicht so tief, wie das Verhältnis Eltern-Kind sein sollte.
Na ja. Irgendwann wird man dann erwachsen und als er endlich den Absprung von zu Hause schaffte, ging er zur Bundeswehr. Auch einen Auslandseinsatz hat er hinter sich gebracht - freiwillig. Mit den Folgen dessen kämpft er zum Teil heute noch.
Ich bin inzwischen schon wieder 3x kurz davor gewesen, den ganzen Text wegzuhauen. Wahrscheinlich ist es einfach zu umfangreich. Trotzdem lasse ich es jetzt so stehen, weil ich denke, dass man manche Inhaltspunkte einfach braucht, um die aktuelle Situation zu greifen.
Schließlich sieht man sich als Partnerin oft in der Position, sich für seinen Partner rechtfertigen zu müssen, bzw. ihn in Schutz nehmen zu wollen.
Trotz allem was er durchmachen musste ist er ein liebevoller Mann. Umsichtig, aufmerksam, fürsorglich, respekt- und humorvoll. . gewesen.
Das alles war mal.
Im Dezember ist sein Vater plötzlich verstorben. Wir wollten ihm zwischen den Feiertagen einen Besuch abstatten. Alles war geplant. Nur die Uhrzeit nicht. Also riefen wir 2 Tage vorher an um diese zu erfragen. Niemand ging ans Telefon. Wir haben uns Sorgen gemacht und sind früher als erwartet angereist. Und da war es auch schon zu spät. Wir fanden ihn in seiner Wohnung, noch ansprechbar, aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich rief den Notarzt und sein Vater kam ins Krankenhaus, in dem er nur einen Tag später seinem diabetischem Koma erlag. Es war grausam.
Noch nie hatte ich meinen Freund so hilflos, verzweifelt und bitterlich weinen sehen. Wir kamen einfach zu spät.
Noch Wochen später musste ich mit Vorwürfen kämpfen, dass sein Vater noch leben würde, wenn meine Weihnachts-Planung nicht gewesen wäre.
Er fiel in ein tiefes Loch. Verständlicherweise. Doch heute weiss ich, dass der Tod seines Vaters nur das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Er fing an, sein ganzes Leben zu überdenken, stellte unsere Beziehung immer wieder in Frage, machte mir Vorwürfe, nahm mich nicht wahr.
Ich organisierte die Beisetzung und Beerdigung. War für ihn da, gab ihm Halt, hielt ihn nächtelang im Arm, weinte mit ihm.
Es folgten Wochen von Dankbarkeit, dass ich für ihn da war und ihn unterstütze - im Wechsel mit ich will allein sein, Rückzug, Distanz und einem Leben in der Blase.
Neben all dem her arbeite ich Vollzeit als Krankenschwester, bin alleinerziehende Mutter einer 8jährigen Tochter und muss selbst mit meinen Kräften haushalten. Nun ist mein Partner schwer depressiv. Seit 8 Monaten akut. Kommt aus seinem Loch nicht mehr raus. Seine Stimmungen sind stets schwankend. Von Himmel-hoch-jauchzend bis zu ich tu euch nicht gut, ihr seid ohne mich besser dran und ich ziehe euch nur mit runter.
Alles sieht er schwarz. Er ist der festen Überzeugung, dass er früh sterben wird, weil seine Familiengenetik aus seiner Sicht einfach so sei, auch deswegen wolle er keine eigenen Kinder, er wäre wahrscheinlich auch ein schlechter Vater und ohnehin würde alles zu Staub zerfallen, was er anpackt. Niemand könne ihm helfen, es sei sowieso aussichtslos. Er meint, er müsse genauso einsam und allein sterben wie sein Vater. Er würde eh nur alles in den Sand setzen und nichts Wert und schon gar nicht meine Mühen. So sieht er die Welt durch einen grauen Schleier. Ist kaum dazu in der Lage, überhaupt Emotionen zu empfinden. Seinen Alltag hingegen bewältigt er jedoch ganz gut. Geht regelmäßig und pünktlich zur Arbeit, treibt Sport.
Durch meine Augen würdet ihr einen unfassbar attraktiven Mann sehen, der viel durchstehen musste und dabei mir und meiner Tochter trotzdem ein liebevolles Vorbild sein kann. Der uns liebt, der sein letztes Hemd für uns geben würde. Der Lob und Anerkennung zwar schlecht annehmen kann, sich aber insgeheim darüber freut. Einen Mann, der gefühlt 5cm wächst, wenn meine Tochter ihm mit strahlenden Augen erzählt, dass er der stärkste Mann ist, den sie je gesehen hat. Einen Mann, der auch mich unterstützt, wenn ich gestresst von der Arbeit komme. Einen Mann, der das Abendessen zubereitet. Einen Mann, den ich so sehr dafür bewundere, dass er die alltäglichen Dinge so gut meistert, obwohl ihm das Leben so böse zugespielt hat.
Einen Mann, der es wirklich bis zur letzten Haarspitze verdient hat, geliebt zu werden. Genau so wie er ist. Auch mit seiner Depression.
Wir drei bilden die Familie, die er als Kind nie haben durfte.
Ich weiß, dass er uns genau so sehr liebt, wie wir ihn.
Er kann es zwar nicht mehr ganz so gut zeigen, aber ich weiß, wie warm sein Herz ist.
Auch wenn er der festen Überzeugung ist, dass er uns nicht gut tut und wir ohne ihn besser dran wären, ist ein Leben ohne ihn für mich nicht vorstellbar.
Überhaupt verstehe ich seinen Gedanken nicht, er könne uns nicht glücklich machen. Er tut es jeden Tag.
Ich verstehe nicht, wie dieses Monster Depression einen Menschen so kaputt machen und die gesamte Wahrnehmung verändern kann.
Ich halte ihm den Rücken frei, nehme ihm die Dinge ab, die ich abnehmen kann. Kritisiere ihn nicht, stecke zurück, grummle darüber nicht.
Irgendwie hatte ich gehofft, dass seine Stimmung sich über die sonnigen Sommertage etwas bessern würde. Von allein. Dem war nicht so.
Er rutscht immer tiefer.
Entwickelt körperliche Symptome, hat ständig Schmerzen in Knie oder Rücken. Kann deswegen kein Sport machen, was ihn noch mehr runter zieht, weil ihm Bewegung und Fitness sehr wichtig sind. Er ist häufig krank. Halsschmerzen, Erkältung. Schlafprobleme. Kann schlecht ein-und durchschlafen. Ist dadurch gereizt und wenig belastbar.
Aktuell ist es auf dem Tiefpunkt. Arbeit funktioniert gut, aber zu Hause geht gar nichts. Der Griff zum Staubsauger ist zu viel, vom ungemähten Rasen brauch ich gar nicht anfangen, da möchten seine Blicke mich schon töten. Er verkriecht sich in seiner Playstation Welt. Ballerspiele. Darin ist er gut und hat so täglich seine Erfolgserlebnisse. Ich setz mich dazu und feuer ihn an, gelegentlich spiele ich mit, weil ich es liebe zu sehen, wie er sich über seine Siege freut. Sonst freut er sich im Alltag nämlich gar nicht mehr. Bzw wirkt seine Freude über Kleinigkeiten ehr gezwungen, ich tu so, als würde ich ihm sein Schauspiel abnehmen, als Anerkennung, dass er wenigstens versucht sozial kompatibel zu sein. Ich weiß, dass er sich dazu besonders aufraffen muss, weil er am liebsten einfach nur allein sein würde.
Doch wir leben in einer Familie. Da ist Rückzug ehr schwierig, da der Alltag viel Raum beansprucht.
Nun ist er auf dem Trichter, hier ausziehen zu wollen. Weil er nur noch alleine sein will.
Lieben tut er uns aber trotzdem.
Auf der einen Seite will er uns unbedingt in seinem Leben behalten, weil wir ihm Familie und Stablität geben - auf der anderen Seite spricht die Depression und sagt, er sei nicht gut genug für uns, wir wären ohne ihn ohnehin besser dran und er ein hoffnungsloser Fall.
Nun habe ich ihm mehrfach und ausdrücklich nahe gelegt, dass er jetzt an einem Punkt ist, an dem seine Trauer über seinen Vater nicht von alleine besser wird. Habe ihm nahe gelegt, dass er allgemein Dinge aufzuarbeiten hat (Kindheit, Auslandseinsatz. ) und sich unbedingt Hilfe suchen muss. Dass ich ihm gern die helfende Hand dazu reiche, für ihn da bin, ihn unterstütze und nicht aufgebe. Dass unsere Liebe stark genug ist und das aushält.
Dann weint er und sagt, er will keine Hilfe. Er ist Soldat und das sei mit seinem Beruf nicht zu vereinbaren. Er sei keine Weichwurst. Er wüsste, dass er Hilfe braucht, aber es geht nicht und würde ohnehin keinen Sinn machen.
Wir sind jetzt tatsächlich an einem Punkt, an dem er sich aus Liebe trennen will.
Bzw. darüber spricht.
Ich weiß, dass er nur weglaufen will. Seine Mutter hat es ihm schließlich nie anders vorgelebt. Wenn es schwierig wird, haut man eben ab.
Er selbst sagt, dass er es wahrscheinlich bitterböse bereuen wird.
Aktuell fehlt ihm der Antrieb, seine Ideen in die Tat umzusetzen.
Die ganze Zeit über habe ich mich für ihn aufgeopfert, zurück gesteckt, ihm alles abgenommen, seine Launen und Zurückweisungen ertragen. Habe nachts auch heimlich in mein Kissen geweint. Bin am Ende meiner Kräfte. Aber ich will diesen Mann nicht ziehen lassen, weil ich weiß, wie wundervoll er ist.
Muss man einen Depressiven wirklich erst auf den Boden der Tatsachen aufklatschen lassen, bis sie begreifen, was passiert und bis sie sich helfen lassen?
Er hat kaum noch Freunde, weil er sich in seiner Depression nicht mehr drum gekümmert hat. Seine Familie ist ein Haufen Asche. Wenn er jetzt wirklich geht, hat er gar keinen mehr. Und ich ertrage es nicht, ihm dabei zuzusehen, wie er sein eigenes Leben demontiert und meines und das meiner Tochter dabei gleich mit in Scherben wirft.
Fühle mich so unfassbar hilflos. Es ist wie in einem Film, in dem man auf das HappyEnd hofft, obwohl man weiss, dass das Genre Drama ist.
Ich weiß nicht mehr, wie ich ihm helfen soll, wenn er keine Hilfe will. Wenn er unbedingt allein sein WILL.
Ich habe auch noch meine Tochter und meinen Job um den ich mich kümmern muss. Ich kann mich nicht vollends für ihn aufgeben