Eine Gnade, wenn man sterben kann

Ich bin bei einer Klangreise, eine wunderbare Veranstaltung. Wir liegen auf Matten am Boden mit Decken zugedeckt. Kerzen brennen, Duft und Klänge umhüllen uns.

Nach einer Stunde etwa setze ich mich auf und beobachte die anderen Teilnehmer/Innen. Direkt vor mir liegt eine Mutter mit ihrem Sohn. Sie berührt ihn, sie streichelt ihn, sie hält seine Hände fest gedrückt unter ihr Gesicht. Sie liebkost ihn wie einen Mann, wie man einen Partner liebkost.

Und er, schon sicherlich 10 Jahre alt, liegt verkrampft am Boden und kann nicht aus. Sein Körper bäumt sich nach hinten, der Kopf versucht möglichst weit weg von ihrem Gesicht zu kommen. Doch sie hält ihn fest und streichelt und liebkost immer weiter. Sie küsst ihn auf seinen Mund.

Irgenwann kann sich das Kind aus dieser Umklammerung lösen und setzt sich auch auf. Kurz darauf liegt er wieder bei ihr, und ist bemüht nun sie zu streicheln, weil sie sich völlig unter der Decke verschließt. Und immer wieder blickt dieser kleine junge Mann zu mir zurück, mit einem fragenden und prüfenden Blick.

Diese Mutter missbraucht ihr Kind. Ein perfides Spiel des Missbrauches des eigenen Kindes zur Befriedigung der unerfüllten Nähe und Zärtlichkeit durch einen Partner. Ein Missbrauch des eigenen Kindes zwischen Schuld, Pflicht, Grenze, Ablehnung, Eigenständigkeit, Ekel, Zwang und Gewalt.

Das ist keine körperliche Gewalt im herkömmlichen Sinn, sondern Missbrauch - ein emotionaler und grenzwertig körperlicher Missbrauch.

Je länger ich diese Situation beobachtete, um so mehr stieg der Ekel und die Wut auf meine eigene Mutter in mir auf. Denn sie tat genau das gleiche perfide Spiel mit mir.

Als ich jedoch plötzlich sah, dass dieser kleine Junge ganz ähnlich Bewegungen mit seinen Händen machte, genau so, wie ich es selber auch als Erwachsener gerne mache, da wurde mir klar, dass sich hier etwas für mich spiegelt.

Die fragenden Blicke des Jungen bleiben mir im Gedächnis. Die Gewalt solcher Mütter bleiben im Gedächnis. Und sie zerstören ganze Leben. Ich wünsche diesem jungen Mann einen anderen, einen leichteren Weg, um mit diesem Missbrauch umzugehen.