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Gefühle akzeptieren lernen (Eine Anleitung)

O
TEIL I - 10 Tage Schmerzen


WICHTIG:
Der Inhalt des folgenden Artikels präsentiert lediglich meine persönliche und subjektive Meinung und Erfahrung und erhebt keinerlei Anspruch auf objektiven Wahrheitsgehalt, auch wenn sich viele meine Erläuterungen auf, durch Studien untermauerte, wissenschaftliche Theorien stützen. 
Ich versuche niemanden zu bekehren oder zu belehren. Ich will lediglich helfen.


Hallo die Damen und Herren,

Vielleicht haben einige von euch den Artikel von mir über Gefühle und Kontroll-Strategien gelesen. Wenn nicht, hier ist er:
gefuehle-und-gefuehlskontrolle-ein-mutmach-text-t23127.html

Ich habe in diesem Artikel über Gefühle gesprochen und darüber, dass Kontroll-Strategien nicht die Lösung sind und dass sie dich auf lange Sicht sogar noch tiefer in die Depression ziehen, auch wenn sie am Anfang vielleicht wie eine Hilfe wirken.
Was also ist die Alternative?
Nun, die Alternative besteht aus drei Teilen:
1. Akzeptanz der negativen Gefühle
2. Verbindung mit dem jetzigen Moment
3. Eine sinnvolle Tätigkeit aufnehmen, die dich auf lange Sicht aus deiner Depression befreit

Die Fähigkeit, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben, obwohl man sich schei. fühlt, könnte man als Willenskraft oder Selbstdisziplin bezeichnen. Und auch wenn diese Begriffe nicht verkehrt sind, so klingen sie doch sehr nach „Zähne zusammenbeißen und durch!“.
Ich bevorzuge den Begriff Hingabe (oder auch Commitment). Das heißt, flexibel das tun zu können, was nötig ist, unabhängig vom Stand der Gefühle. Doch wenn du es lieber Selbstdisziplin nennen willst (ich als Mann kann das verstehen), dann steht dir das natürlich frei.
Die Kern-Fähigkeit, die hierfür benötigst ist die Expansion.

10 Tage Schmerzen

Die Expansions-Methode kommt aus der ACT, also der Akzeptanz und Commitment-Therapie. Doch die Idee hinter der Technik ist bereits uralt. Wir finden ähnliche Techniken ebenfalls in den Lehren des Buddhismus
Tatsächlich ist das Streben nach Akzeptanz von emotionalem wie körperlichem Schmerz eine der absoluten Kernaussagen des Buddhismus.

Ich selbst habe vor ein paar Jahren bei einem 10-tägigen Meditations-Seminar mitgemacht. 
In diesem Seminar lernten wir 10 Tage lang die Ausführung der Vipassana-Meditation, welche angeblich von Siddhartha (Der Buddha) selbst entwickelt wurde und welche ihn schließlich zur Erleuchtung führte.
Ich selbst suchte keine Erleuchtung, ich wollte lediglich meine Meditations-Kenntnisse erweitern und schauen, wie sich so eine krasse Erfahrung auf meine Psyche auswirkt.
Und krass war die Erfahrung in der Tat. 
Wir durften 10 Tage lang nicht sprechen, keine Musik hören, keine Handys, keine Computer, kein S., keine Sb und kein Kontakt zur Außenwelt. 
Jeden Morgen um 5 Uhr früh aufstehen und um 22 Uhr ins Bett und in der Zeit dazwischen über 8 Stunden lang meditieren. 
Es war hart. Aber es sollte auch hart sein. Denn eine der wichtigsten Lehren, die uns beigebracht wurde ist: Lerne, den Schmerz zu akzeptieren. Nur so wirst du dich vom Leiden befreien können. 
Ab Tag Drei durften wir uns in einer Meditations-Session, die jeweils eine Stunde lang war, nicht mehr bewegen. 
Stumm und Still dasitzen, ohne Bewegung. 
Da juckt die Nase, da schmerzt der Rücken, da schlafen die Füße ein – egal! Stumm und still weiter dasitzen, die Gefühle beobachten und akzeptieren.
Man ist gelangweilt, nervös, müde oder frustriert – egal! Stumm und still weiter dasitzen, die Gefühle beobachten und akzeptieren.
Denn es blieb einem gar nichts anderes übrig. Einfach aufstehen oder aufgeben war strikt verboten!

Schmerz zu provozieren, um ihn dann zu akzeptieren ist die typische Hardliner-Konsequenz der Buddhisten.
Und auch wenn ich in dieser Zeit eine Menge gelernt habe, so war ich doch auch sehr froh, als das Seminar endlich vorbei war. 
Aber diese Erkenntnis habe ich mitgenommen:
Du kannst emotionalen Schmerz in deinem Leben nicht verhindern, aber du kannst deine Beziehung zu ihm verändern und dann, ganz plötzlich, verliert der Schmerz seine Macht über dich!

Ich bin kein religiöser Mensch und ich bin erst recht kein Buddhist. Ich bin Atheist und eigentlich mag ich organisierte Religionen auch nicht besonders. Aber der Buddhismus, der in seinem Kern mehr Philosophie als Religion ist, vertritt Methoden, die bei psychischen Krankheiten (insbesondere bei Depressionen) teilweise sinnvoller und effektiver wirken, als viele Psychopharmaka.

Widerstand gegen die Schmerzen des Lebens bedeutet Leiden.
Akzeptanz der Schmerzen bedeutet Erleuchtung.

Doch so weit will ich gar nicht gehen. Ich will dir lediglich zeigen, was du langfristig gegen deine Depression unternehmen kannst. Im Gegensatz zur Erleuchtung ist das doch ein ziemlich realistisches Ziel, oder? (:

Und ich spreche hier nicht davon, das Leben einfach nur zu akzeptieren und fertig.
Ich spreche von Akzeptanz nicht aus Resignation, sondern als Empowerment-Strategie.
Wenn du deine Gefühle akzeptieren kannst, verlieren sie ihre Macht über dich und du bist nicht mehr gezwungen, bestimmte destruktive Kontroll-Strategien anzuwenden, um irgendwie auf dein Innenleben klarzukommen. Und dann kannst du anfangen, dir wirklich das Leben aufzubauen, dass dich aus der Depression herausführt!

Und genau das ist der Schlüssel: Sich selbst in die Lage zu versetzen, die Dinge zutun, die nötig sind, um aus der Depression herauszukommen - egal, ob man sich gerade traurig, glücklich fit oder schlapp fühlt.

Ich poste hier in ein paar Tagen Teil II und beschreibe dort die konkrete Methode und gebe zusätzlich ein paar Tipps, wie man bei der Akzeptanz auch mit den eigenen negativen Gedanken umgehen kann - denn ein gesunder Umgang mit dem Output deines Verstandes ist mindestens genauso wichtig, wie ein vernünftiger Umgang mit den eigenen Gefühlen.

Liebe Grüße,
Octave

24.03.2014 12:43 • x 4 #1


Steffi

24.03.2014 18:14 • #2


A


Hallo Octave,

Gefühle akzeptieren lernen (Eine Anleitung)

x 3#3


Knoten
Sehr gut getroffen!

24.03.2014 19:18 • #3


Nogua
Ich warte mit Spannung auf Teil II ;)

25.03.2014 19:07 • #4


O
Hallo die Damen und Herren (:

Es tut mir leid, dass ich jetzt so hier so lange nicht mehr online war.
Keine Angst, ich hatte weder einen Rückfall noch sonst etwas schlimmes, ich hatte nur so viel zutun, dass mit einfach überhaupt keine Zeit mehr blieb, hier zu schreiben. Aber jetzt habe ich wieder mehr Luft und kann mich auch wieder diesem Forum widmen (:

Ich habe Teil II inzwischen fertig gestellt und werde den Artikel morgen hochladen. Ich weiß, ich weiß, Asche über mein Haupt, dass es so lange gedauert hat. Aber ich hoffe, er gefällt euch und es hilft einigen auch weiter (:

Liebe Grüße und alles Gute!

14.07.2014 11:14 • #5


O
Gefühle akzeptieren - Was wir von den Buddhisten lernen können
Teil II - Expansion



Na, hast du schon genug von meinen pseudo-philosophischen Geschwafel? Das kann ich gut verstehen. 
Aber in diesem zweiten Teil wird es endlich praktisch.
Jetzt lernst du die Kunst der Expansion bzw. die Kunst, negative Gefühle zu akzeptieren.

Ok, als erstes mal: Was ist Expansion?
Expansion heißt:
Eine offene, neugierige Haltung einnehmen, dem unangenehmen Gefühl Raum geben und es einfach nur beobachten, ohne es irgendwie verändern zu wollen.
Es bedeutet, keinen Widerstand mehr zu leisten, gegen etwas, dass wir sowieso nicht ändern können.

Klingt seltsam oder?
Es ist schließlich die natürliche Erst-Reaktion, sich von den eigenen negativen Gefühlen abzuwenden, da wir uns intuitiv von allem fernhalten wollen, was uns irgendwie Schmerzen bereitet.
Aber diese Erst-Reaktion ist nicht unveränderbar. Sie ist lediglich ein angelerntes, ineffektives Verhaltensmuster. 
Du kannst ein neues effektiveres Muster erlernen, indem du täglich Expansion trainierst. 
So wird nach und nach die neue Reaktion „Raumgeben und neugieriges Beobachten“ immer schneller und selbstverständlicher die Reaktion der Wahl.
Neugier bedeutet, dass du dein Gefühl einfach nur bewusst fühlst, ohne es irgendwie zu bewerten oder es zu verändern. 
Das Gefühl an sich ist nicht negativ oder positiv, es ist einfach nur ein Gefühl. 
Erst deine Haltung gegenüber dem Gefühl lässt dich leiden.
Das Gefühl selbst kann dir nichts tun. 
Es ist einfach nur da und du hast wenige Möglichkeiten etwas daran zu ändern. 
Bald wird es wieder verschwinden, aber im Moment spürst du es. 
Was bringt es dir, inneren Widerstand gegen etwas aufzubauen, was bereits eingetroffen ist und über das du so gut wie keine Macht hast?

Wie bei deinen Gedanken gilt auch hier:
Hör auf zu kämpfen.
Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen. Beobachte lieber!
Nimm das Gefühl wahr. Wo genau spürst du es? Ist es ein Schmerz in der Brust? Oder ein zugeschnürter Hals? Ein heißer, verkrampfter Magen? Ein Gefühl der Angst, der Wut oder der Trauer? 
Nimm wahr und sei dabei so offen und neugierig wie möglich.
Die Neugier von der ich hier spreche, ist eine warme sorgende Neugier. Wie man sie einem Kind gegenüber zeigen würde, welches auf dem Boden sitzt und spielt. 
Nicht die kalte und zynische Neugier eines Forschers, der gerade ein Affenbaby aufschneidet.
Ziel dieser Methode ist es, die Gefühle nicht nur auszuhalten, sondern sie nach und nach als Teil des jetzigen Moments zu akzeptieren – und mindestens genauso wichtig:
Zu ERFAHREN, dass diese Gefühle, egal wie furchtbar sie auch wirken mögen, dir nichts antun können!
Ich will nicht, dass du mir das einfach glaubst, oder es lediglich auf einer intellektuellen Ebene verstehst. 
Ich will, dass du es wirklich am eigenen Leib erfährst:
Negative Gefühle sind zahnlose Tiger. Sie mögen sich unangenehm anfühlen, aber sie können dir nichts tun! 
Alles was du tun muss, ist: aufhören davonzulaufen und ein helles Licht auf die unliebsamen Gäste in dir zu werfen und du wirst sehen, so schaurig sie auch aussehen, sie sind eigentlich ganz harmlos.


Übung: Expansion

1. Setz dich auf einen Stuhl, richte deinen Rücken gerade auf und stelle deine Füße fest auf den Boden. Nun richte deine Aufmerksamkeit auf deine innere Gefühlswelt. Achte auf den emotionalen Schmerz, die Trauer oder welches Gefühl auch immer du in dir spürst. Versuche nicht, das Gefühl von dir wegzudrücken oder es sonst irgendwie zu verändern. Sei einfach nur da und fühle den Schmerz. Kannst du lokalisieren, in welcher Körperregion du dieses Gefühl spürst? Ist es vielleicht ein Stechen in der Brust? Oder eher wie ein heißes Stück Kohle im Bauch? Oder schnürt es dir den Hals zu?

2. Benenne das Gefühl. Sage dir im Stillen „Da ist Angst in mir“ oder „Da ist Trauer in mir“.

3. Jetzt atme aus, so lange, bis deine Lungen komplett geleert sind. Und atme langsam ein. Stelle dir vor, wie der Atem in und um deine negative Emotion fliest und der Emotion Raum gibt. Die Verkrampfungen und der Widerstand rund um die Emotion lösen sich und die Emotion darf sich frei in dir Bewegen und so viel Raum einnehmen, wie sie will. Du leistest keinen Widerstand mehr.

4. Wenn es dir hilft, dann führe dabei zusätzlich ein beruhigendes Gespräch mit der Emotion. „Hallo Trauer. Ich weiß, ich bin nicht immer begeistert, wenn du kommst, aber es ist ok. Bleib solange du willst. Du bekommst so viel Raum wie du willst. Wenn du irgendwann wieder gehen willst, ist das schön, wenn du erst mal bleiben willst, ist das auch ok. Ich leiste keinen Widerstand..“

5. Setze diesen Prozess so lange fort, bis du deinen inneren Widerstand aufgegeben hast und das Gefühl einfach so sein lässt, wie es ist. Du musst es nicht mögen, aber versuche es zu akzeptieren.

6. Nimm jetzt auch den Rest der Welt um dich herum wahr. Was siehst du? Was hörst du? Nimm die Welt war wie sie ist, ohne Bewertung, ohne Widerstand. Du bist einfach nur da. Der stille Beobachter.

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Bei dieser Übung kann es gut sein, dass dir dein Verstand dazwischenfunken will.
„Das hat doch keinen Sinn, so ein Quatsch, das Problem wird dadurch doch nicht verschwinden, betrink dich lieber, das ist so lächerlich!“
Bedanke dich einfach nur bei ihm („Danke, lieber Verstand. Sehr aufmerksam von dir“) und wende dich wieder der Übung zu.
Wenn du diese Übung regelmäßig immer wieder ausführst, kannst du die 6 Schritte irgendwann immer schneller und schneller durchführen. Doch hetze dich nicht! Die Geschwindigkeit und Effizienz kommt mit der Zeit von ganz alleine, wenn du die Übung regelmäßig durchführst.
Doch manchmal ist es notwendig, Gefühl schnell zu akzeptieren, da z. B. schnelles Handeln gefragt ist. 
Wenn du kurz vor einem wichtigen Vortrag einen starken Angst-Schub bekommst, kannst du dich nicht erst minutenlang hinsetzen und Expansion üben. Dann muss es schnell gehen. 
Hier also nochmal eine kurze Version für den Alltag, wenn du keine Zeit für die lange Übung hast:

Expansion in Kurzform:

1. Nimm das Gefühl war, lokalisiere es in deinem Körper
2. Atme tief ein und gebe dem Gefühl Raum
3. Sage dir im stillen: „Es ist ok, ich leiste keinen Widerstand“ (Sei dabei sanft und ruhig)
4. Nimm weiter dein Gefühl wahr, aber auch alles um dich herum


Diese Übung dürfte dich nicht mehr als 3-5 Sekunden kosten. 
Ich schaffe es inzwischen in 1-2 Sekunden.

Schlusswort:

Wie bei allen Dingen, die ich versuche zu vermitteln, gilt auch hier: 
Die Fähigkeit zur Expansion braucht Zeit und regelmäßige Übung, um effektiv genutzt zu werden.
Je öfter und regelmäßiger du bei kleineren unangenehmen Gefühlen Expansion übst, desto besser kannst du es bei den großen, *beep* Gefühlen anwenden.
Und zu guter Letzt: Keine der Übungen, die ich dir zeige hat eine 100% Erfolgsquote. Es wird immer mal wieder Momente geben, in welchen du einfach nicht in der Lage sein wirst, deine Gedanken zu entschärfen oder deine Gefühle zu akzeptieren. Und das ist ok. Versuche dann stattdessen zu akzeptieren, dass du jetzt im Moment deinen Zustand nicht akzeptieren kannst. 
Das passiert auch mir noch ab und zu. Doch auch das geht vorbei. Wie jeder Moment. 
Und beim nächsten Mal wirst du vielleicht schon wieder in der Lage sein, zu akzeptieren.
Wir sind alle nur Menschen und Menschen sind nicht perfekt. Vergiss das nicht. (:

Liebe Grüße,
Octave / Jannis

15.07.2014 14:11 • x 4 #6


L
Danke

liebe grüße
liesl

15.07.2014 17:24 • #7

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