Habe Angst selbst depressiv zu werden

E
Hallo liebe Gemeinde,

schön zu wissen, dass es vielen Angehörigen auch nicht so gut geht - das muntert immer ein wenig auf. Zum Thema:

Meine Freundin ist depressiv, in Therapie, nimmt ADa - soweit so gut.
Ich bin ein Mensch der Freude, des Ansporns und der Zielverfolgung - eine schlechte Laune oder Selbstzweifel gibt es bei mir eigentlich nicht, das war schon immer so.
Nur mittlerweile - nach ca. 1,5 Jahren - ist das Aufkommen eigener Tiefs erschreckend häufig. Manchmal sitze ich im Auto auf dem Weg zu einem meiner Kunden und frage mich, ob ich das alles schaffen kann. Ich werde durch meine Fürsorge und Unsicherheit (wann kann ich auch mal Nein sagen ohne dass meine Freundin in ein Loch fällt), sowie regelrechte S. (1x/Monat vll) und Erfolgsantrieb im Job dermaßen beansprucht. Ich glaube ich bekomme während solchen Fahrten auch feuchte Augen. Ich kann auch mit NIEMANDEN drüber reden?! Meinen Freunden kann ich das doch nicht erzählen, sie fände das nicht sehr vertrauensvoll - verstehe ich.
Ich kann nicht einschätzen, wann ICH mal MEINEN Kopf durchsetzen darf/kann, ohne dass sie gleich weinend oder niedergeschlagen zu Hause sitzt. Letztends war ich auf einer Unternehmerveranstaltung und habe Kontakte für mein Geschäft ausbauen wollen. Nach bereits 2h kommt die SMS wie sie doch ganz alleine daheim sitzt...tja: Job oder Frau? Ich hätte da noch weitere 3h sitzen können und bin überzeugt, dass es MICH weiterbringt.

Ich habe bereits die Nummer ihrer Therapeutin rausgesucht und bin kurz davor, einen Termin zu machen. Ich weiß nicht mehr, wo ich Zeit und Kraft für MICH finden kann, weil alles was mir Spaß macht wegbröckelt - Freunde, Ehrgeiz für den Job, Liebesleben, Freiheit...

01.04.2012 09:13 • #1


Albarracin
Experte

01.04.2012 10:48 • #2


A


Hallo eightball,

Habe Angst selbst depressiv zu werden

x 3#3


D
Moin,

ich kenne das Gefühl/die Furcht, dass man selbst mit der Belastung nicht fertig wird. Bei mir/uns ist es so, dass bei meiner Freundin nun eine chron. Depression diagnostiziert wurde. Krank ist sie definitv schon viel länger. Ende letzten Jahres wurde es dann so offensichtlich, dass wir zum Arzt gegangen sind und nun ist sie in einer Therapie und nimmt Medikamente. Ich glaube auch, dass bereits eine leichte Verbesserung eintritt.
Gleichwohl bin ich (von Natur ein sehr positiver und aktiver Mensch) aber auch nach wie vor sehr belastet und kenne das feuchte Augen-Syndromnur zu gut.
Ich habe in den letzten Monaten reihenweise Bücher zum Thema gelesen und versuche seitdem, meine Kommunikation ihrem Empathiebedürfnis anzupassen, so dass wir nicht mehr dauernd in die depressive Kommunikationsfalle tappen. Das ist anfangs nicht leicht, aber mit etwas Übung geht es ganz gut. (Lies mal: Wenn der Mensch, den Du liebst, depressiv ist).
Wenn ich mal wegen der ganzen Belastung nicht gut drauf oder frustriert bin, lasse ich sie das wissen. Aber immer ohne jede Kritik oder Vorwürfe. Das klappt ganz gut. Mittlerweile sind die auf mich gerichteten Verbalattacken und Angriffe deutlich zurückgegangen.

Ich hatte aber auch reihenweise Momente, in denen ich nicht wusste, ob ich das alles überhaupt schaffen könnte, ohne selbst vor die (schwarzen) Hunde gehe. Seit ein paar Wochen gehe ich - mit dem Wissen meiner Freundin- aber ganz offen mit dem Thema um, d.h. ich spreche auch mit Freunden, der Familie oder engen Kollegen über das Thema. Letztlich hatte sich auch mein Umfeld schon über mein bisher nie dagewesenes Stimmungstief gewundert. Mir hat das Reden immer sehr geholfen. Ebenso wie das Lesen in diesem Forum oder diversen Büchern.

In ein paar Tagen gehe ich mal zu einer psychologischen Beratung der Diakonie. Der Besuch dort war eigtl. als Paarberatung gedacht. Da meine Freundin aber wegen ihrer Therapiesitzungen und engmaschiger Arztbesuche schon reichlich belastet ist, gehe ich erstmal allein zu der Beratung. Mal sehen, was passiert. Schaden kann es jedenfalls nicht. Insofern fühl Dich ermuntert, Dir eine ähnliche Gesprächsmöglichkeit zu suchen.

Nachdem ich übrigens 3 Monate wie gelähmt zu Hause gesessen habe, habe ich nun angefangen, wieder meinen Hobbies nachzugehen und habe auch Spaß daran (ohne schlechtes Gewissen übrigens, denn Fürsorge für den anderen, die darin gipfelt, dass man selbst auch in die Knie geht, hilft am Ende niemandem). Also habe ich mich -auch aufgrund der guten Ratschläge hier im Forum- etwas mehr abgegrenzt, mache ihr aber immer klar, dass ich da bin und auch da bleibe.
Ich habe den Eindruck, dass es meiner Freundin auch gut tut, zu sehen, dass es mir etwas besser geht.

Also: Tu was für Dich! Ich würde aber eher auch jemand anderen empfehlen, als die Therapeutin Deiner Liebsten.

Gruß aus den Wäldern
Dunadan

01.04.2012 14:34 • #3


miezelina
Hallo Eightball,

ich schreibe hier als selbst Betroffene und als Angehörige. Ich bin selber seit 2,5 Jahren an heftigen Depressionen erkrankt und habe meinen Freund nach ca. einem Jahr sozusagen mitgerissen.
Nun war es allerdings so, dass mein Freund auch eine Art depressive Veranlagung hatte, die nach einem Jahr Depression-hautnah-miterleben dann durchgebrochen ist.

Für meinen Freund war es extrem hilfreich, sich selber therapeutische Hilfe zu holen.
Ich finde auch nicht, dass du die Therapeutin deiner Freundin vergessen kannst. Sie wird dir bestimmt Kollegen empfehlen und vielleicht sogar dafür sorgen, dass du schnell einen Platz bei einem Kollegen bekommst. Denn deine Stabilität ist auch wichtig für den Therapieerfolg deiner Freundin.

Auch mein Freund hat irgendwann mit seinem Umfeld über meine Erkrankung geredet. Wir haben das vorher besprochen und als Entlastungsmöglichkeit für ihn fand ich das auch okay.

Das Wichtigste ist aber - lebe dein eigenen Leben!!!! Schau, dass du deine Hobbies und Freundschaften pflegst. Und dass du auch mal riskierst, dass deine Freundin einsam und traurig zu hause sitzt. Das tut sie sowieso immer mal wieder, oder bist du 24 Stunden bei ihr?

Wir mussten einiges in unserer Beziehung verändern. So wohnen wir inzwischen nicht mehr zusammen und das tut uns beiden gut. So kann sich jeder auf seine Baustellen konzentrieren und wir treffen uns, wenn wir wollen und dann ist es auch meistens sehr schön. Aber diese Lösung taugt nicht für jede Beziehung, ist schon klar.

Also - selber Hilfe holen, drüber reden und das eigene Leben leben (auch wenn es für den Anderen nicht immer toll ist). Das wären meine Tipps aus meiner Erfahrung heraus.

Alles Gute -

Miezelina

01.04.2012 17:53 • #4


Eloise
Hallo eightball,

ich bin zur Zeit Betroffene, aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich hoffe, dass ich mich meinem Lebenspartner gegenüber nicht so verhalte wie deine Freundin dir gegenüber. Es ist mir bewusst, dass er mir sehr viel Alltägliches abgenommen hat in den letzten Jahren in denen ich mich in diese Depression hineinmanövriert habe und deswegen ist es mir einfach wichtig, dass es ihm gut geht. Auch war ich selbst schon Angehörige eine Depressiven und ich weiß wie kräftezehrend das ist.

Am Freitag hatte ich z.b. meinen ersten Tag nach der Tagesklinik allein Zuhause und er musste beruflich etwas weiter weg und ist somit auch später nach Hause gekommen. Es ging mir an dem Tag ziemlich schlecht und ich war sehr froh, als er wieder da war, aber das ist doch nichts was ich ihm anlasten kann, weshalb er ein schlechtes Gewissen haben braucht.

Und doch, ich finde schon, du kannst mit deiner Freundin darüber reden. Wichtig ist, dass ihr euch keine Vorwürfe macht, sondern einfach sagt, wie es euch mit bestimmten Sachen geht. Sicherlich kannst du deine Freundin unterstützen, aber du kannst dich nicht selbst aufgeben um ihr zu helfen und das ist auch nichts, was sie von dir erwarten sollte - egal wie depressiv sie ist.

Andererseits frage ich mich, aber auch, ob sie das wirklich verlangt oder ob du, in deiner Sorge um sie, meinst es sei deine Aufgabe alles für sie zu tun. Ich habe meinem Freund am Freitag auch gefragt wann er Heim kommt und dass es mir nicht gut geht, aber das heißt ja nicht Komm jetzt sofort nach Hause. Du bist dafür verantwortlich, wie es mir geht.

Ich bin der Meinung, dass sich ein Depressiver letzten Endes nur selbst helfen kann. Andere Menschen können nur unterstützen.

Wenn du denkst deine Freundin versteht das nicht, dann such dir wirklich therapeutische Hilfe, damit du nicht mit hinunter gezogen wirst. Es nutzt keinem von euch etwas, wenn es dir auch noch schlecht geht.

Ich wünsch euch alles Gute.

LG

Eloise

01.04.2012 18:31 • #5


R
Hallo eigtball,

ich bin auch eine Angehörige eines psychisch Kranken und kann nur sagen: Es ist schwer!
Um so wichtiger ist es, dass du - wie die anderen auch schon sagen - nicht nur nach deiner Lebensgefährtin schaust, sondern auch nach dir. Das hat mit Egoismus oder so gar nichts zu tun. Ich schaffe es auch nach Jahren noch nicht immer, mich von seiner Krankheit abzugrenzen. Jedesmal zieht sein Tief mich automatisch auch mit runter. Aber ich denke, damit ist keinem geholfen. Also, sollte man -auch wenns schwerfällt- etwas für sich selber tun...

Liebe Grüße
rumpelstilzchen

02.04.2012 07:27 • #6


E
Vielen Dank für diese aufschlussreichen Kommentare.

Ich habe einfach Angst, dass gerade das Mitteilen, mir ginge es mir der Situation nicht gut bzw. teilweise sogar sehr schlecht, sie einfach noch mehr runterzieht, weil sie es als Vorwurf interpretieren würde und sich dann noch schuldiger fühlt. So ist das zumindest bei ihr: sie macht sich in einem depressiven Moment ohnehin schon Vorwürfe, dass sie nicht normal sein kann und auf nichts Lust hat und und und...wenn da noch das i-Tüpfelchen draufkommt, dass sie MICH (aus ihrer Sicht) jetzt auch noch traurig macht, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das gut ausgehen soll.

Es stimmt schon, dass ihre Fragen wann ich endlich heimkomme keine direkte Befehlskette nach sich zieht aber: Wer sitzt es denn am Ende aus? Genau: Ich!
Teilweise will ich gar nicht heimkommen, wenn ich schon am Telefon mitbekomme, dass sie gestresst ist, schlecht gelaunt usw. Ich habe ein so schönes Leben und bin engagiert in dem was ich tue - das würde ich gerne teilen, darum gehts doch in eine Partnerschaft?! Wie soll ich das machen, wenn ich mich bald selbst nicht mehr über meine Erfolge, meine Erlebnisse usw. freue?! Gutes Beispiel: Ich habe mir vor kurzem mein Traumauto geleistet - es war alles perfekt, ich sollte überglücklich sein, habe lange dafür gearbeitet usw.. Doch wenn ich daran denke und ich mich eigentlich freuen sollte wie ein Schneekönig, empfinde ich (fast) nichts, weil mir die Energie dafür für andere Dinge geraubt wird/wurde.

Am allerschlimmsten fällt es mir, diese Rolle des Gebers weiterhin einzunehmen. Ich hab das Gefühl ich komme da nie wieder raus. Ich hatte mir damals nach meiner letzten Beziehung geschworen, nie mehr alles für eine Frau zu tun und mehr an mich zu denken. Nicht aus Egoismus, sondern vielmehr als fairer Umgang miteinander. Nun kam ich an jemanden, der wohl genau das benötigte und es eher persönlich und negativ auffasst, wenn man mal nicht so rücksichtsvoll und zuvorkommen ist?! Wann kann ich aus dieser Rolle wieder raus? Wann kann ich mein Ding wieder durchziehen, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen haben muss? Wann kann ich meine Erfolge feiern, spontan und lebenslustig sein?
Das sind die Fragen die ich mir stelle...

Ihr Einzug bei mir vor etwa einem dreiviertel Jahr ist das nächste Problem. Wegen familiärer Umstände ging es nicht anders, als dass ich ihr vorübergehend ein Dach über dem Kopf angeboten habe. Sie zahlt auch einen kleinen Teil der Miete, das ist schon alles in Ordnung, Geld ist bei mir kein Problem.
Letztens stellte sie mir die Frage, ob sie sich eigentlich dann nach dem Studium eine eigene Wohnung suchen sollte (so wie ursprünglich geplant). Ich kann auf diese Frage nicht antworten, weil ich die Konsequenzen nicht kenne?! Klar hätte ich gerne mal wieder viele Freunde bei mir und mal meine Ruhe, aber das ist derzeit einfach nicht möglich. Ist doch Unsinn, wenn ich Freunde einlade und sie auf der Couch vegetiert...naja gut, das ist vielleicht ein anderes Thema.

Ich hoffe vorsichtig (muss auf meine Erwartungshaltung aufpassen), dass sich alles etwas regelt, wenn sie nicht mehr so oft zuhause sitzt, ihre Diplomarbeit und damit ihr Studium fertig hat und letztlich ins Berufsleben durchstartet. So auch der Plan ihrer Therapeutin.

Vielen Dank für alle bisherigen und weiteren Anregungen.

07.04.2012 09:15 • #7

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