SorrowMan
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Hallo, ich bin 47 Jahre alt, und da ich bereits erfahren habe, dass dieser Thread sofort nach der Begrüßung geschlossen wird, dachte ich mir, es sei vielleicht ganz angebracht, hier möglichst viel von mir preis zu geben, damit Ihr im Bilde seid (wobei ich mich natürlich nicht als den Nabel der Welt betrachten möchte). Es ist ja auch möglich, dass sich gewisse Parallelen zu anderen Betroffenen heraus kristallisieren, und eventuell bereitet es dem einen oder anderen User sogar etwas Kurzweil, sich dieses Romänchen anzutun...
Mein seltsamer Weg begann schon sehr früh, denn bereits im Kindergarten stellte ich fest, dass ich aus der Reihe tanzte. Zu schaukeln, rumzutoben, Fangen oder Verstecken zu spielen, brachte mir überhaupt nichts. Ich baute lieber allein aus Legosteinen phantasievolle Gebäude oder malte. Auch zu Hause zeigte ich wenig Interesse daran, mit meiner vierzehn Monate jüngeren Schwester zu spielen, sondern machte mein eigenes Ding. Wegen meines ruhigen Naturells galt ich als braves, artiges Kind, als unproblematisch.
Dass meine Eltern nicht die beste Ehe führten, erkannte ich sehr schnell daran, dass sie häufig stritten. Weil ich jedoch keine Vergleiche ziehen konnte, nahm ich an, dass das normal sei und flüchtete mich in meine eigene kleine Welt. Als ich ein Jahr später als vorgesehen eingeschult wurde - ich war körperlich einfach zu mickrig -, wandelte sich mein Einzelgängerstatus grundlegend. In Windeseile hatte ich einen Haufen neuer Freunde, war von Beginn an Klassenprimus und -clown gleichermaßen. Aufgrund meiner schulischen Leistungen verziehen mir die Lehrerinnen wie auch meine Eltern die meisten meiner disziplinarischen Ausrutscher; ich avancierte zum Vorzeigeschüler und -sohn.
Doch trotz allen Unsinns, den ich so trieb, machte ich mir Gedanken zu allen möglichen Dingen, die ich im Fernsehen in den Nachrichten, im Elternhaus, bei Familienfeiern und in meinem alltäglichen Umfeld aufschnappte. Und das waren meistens keine guten Gedanken, weil ich - obwohl mir das nötige Wissen fehlte - irgendwie realisierte, dass überall sehr viel falsch lief. Die Fragen, die ich daraufhin an die Erwachsenenwelt richtete, waren für die dann nicht mehr so unproblematisch. Seeehr oft hieß es dann:Du denkst zu viel! - Ziemlich unbefriedigend, solche Antworten. Das latent ohnehin schon vorhandene Autoritätsproblem wuchs sich aus. Ich wusste zwar, dass die Macht der Erwachsenen kaum zu unterwandern war, nur respektierte ich sie nicht mehr.
Auf dem Gymnasium lief es zuerst so weiter wie gewohnt; ich tat einen Dreck für die Schule, war aber trotzdem ein guter Schüler. Bis die Pubertät zuschlug. Mein desolates Elternhaus hatte eine Akademiker-Karriere für mich ins Auge gefasst, und nun erkannte ich meine Macht. Ich stellte meine schulischen Aktivitäten völlig ein, verweigerte also den Unterricht, und machte nur noch Unsinn, der bald kriminelle Strukturen annahm. Es dauerte nicht lange, bis man meinen Eltern dazu riet, mich von der Schule zu nehmen. Ich besuchte noch ein gutes Jahr die Hauptschule und verspürte trotz der Qualifikation, auf einem Umweg doch noch das Abi zu bauen, keinerlei Bock mehr darauf.
Die anschließende Ausbildung zum Maschinenschlosser brachte ich getreu meinem Effizienz-Motto, mit möglichst geringem Aufwand möglichst viel zu erreichen, hinter mich. Um nicht mehr zu viel zu denken, hatte ich mich inzwischen auf das Feiern ausgiebiger Feten verlegt, und da kam es mir sehr zupass, dass nach der bestandenen Prüfung niemand in ein Arbeitsverhältnis übernommen wurde. Ich war also arbeitslos und konnte feiern. Das tat ich dann auch ein gutes Jahrzehnt, bis mich der Alk. und all die Dro. fast getötet hatten. Nachdem mir mein Arzt noch bestenfalls ein Jahr gegeben hatte, begab ich mich in eine stationäre Entgiftung.
Mittlerweile war ich dreißig Jahre alt, fühlte mich aber wie sechzehn, als ich genesen war. Klingt erst mal gut, war es jedoch nicht so ganz, weil ich immer noch oder besser, schon wieder den gleichen naiven Idealismus an den Tag legte, wie ich es als rebellischer Jugendliche getan hatte. Ich ging eine feste Beziehung ein und nahm den Konsum von C. wieder auf. Denn erstens - so gaukelte ich mir vor - hatte ich mit H. und G. eigentlich nie Probleme gehabt, und zweitens zeigte sich, dass ich mit dem Zeug einen Heile-Welt-Kokon um mich drapieren konnte. Der Grübler in mir war zwar geblieben, aber das K. reduzierte ihn auf ein erträgliches Maß.
Zuerst k. ich nur ein- bis zweimal pro Woche, dann täglich abends, dann auch vor und während der Arbeit in einem Fahrradgeschäft (Fahrräder sind meine große Liebe) und irgendwann dann eigentlich immer. Im Januar 2009 begab ich mich wegen immer häufiger auftretender Kreislaufprobleme abermals in eine Entgiftung, an die sich eine ambulante Therapie anschloss. Seit ziemlich genau drei Jahren bin ich jetzt also völlig clean. Und mehr und mehr schleichen sich die dunklen Gedanken in mein Leben. Mittlerweile so sehr, dass ich selbst das Interesse an meinen Fahrrädern immer mehr verliere. Ich tue etwas, das ich früher nie getan habe: Ich lege mich tagsüber wieder ins Bett, obwohl ich eigentlich gar nicht müde bin.
Ich liege dann praktisch genauso da, wie es in den letzten Jahren meiner Alk. und Abhängigkeit gewesen ist. Nur mit dem Unterschied, dass ich damals rein körperlich nicht zu viel mehr imstande gewesen bin als eben lethargisch rumzuliegen. Nun ist es so, als warte ich auf bessere Zeiten, doch selbst im Frühling sehe ich schon den melancholischen Herbst am Horizont hervor kriechen. Und ein weiteres Phänomen ist mir aufgefallen: Gehe ich z. B. durch den Hauptbahnhof der Großstadt, in der ich lebe, bekomme ich Panik. Ich fühle mich ungefähr wie in einem Videospiel (obwohl ich diese Spiele nie spiele), in dem ich permanent Gefahren ausweichen muss - allen Menschen, ihren Blicken und der drangvollen Enge allgemein.
Die einzigen Dinge, die mir noch meine ganz private, kleine Flucht aus diesem Desaster ermöglichen, sind das Lesen und Schreiben (wie man sieht)...
Danke für Eure Aufmerksamkeit !
Gruß, Sorrow
Mein seltsamer Weg begann schon sehr früh, denn bereits im Kindergarten stellte ich fest, dass ich aus der Reihe tanzte. Zu schaukeln, rumzutoben, Fangen oder Verstecken zu spielen, brachte mir überhaupt nichts. Ich baute lieber allein aus Legosteinen phantasievolle Gebäude oder malte. Auch zu Hause zeigte ich wenig Interesse daran, mit meiner vierzehn Monate jüngeren Schwester zu spielen, sondern machte mein eigenes Ding. Wegen meines ruhigen Naturells galt ich als braves, artiges Kind, als unproblematisch.
Dass meine Eltern nicht die beste Ehe führten, erkannte ich sehr schnell daran, dass sie häufig stritten. Weil ich jedoch keine Vergleiche ziehen konnte, nahm ich an, dass das normal sei und flüchtete mich in meine eigene kleine Welt. Als ich ein Jahr später als vorgesehen eingeschult wurde - ich war körperlich einfach zu mickrig -, wandelte sich mein Einzelgängerstatus grundlegend. In Windeseile hatte ich einen Haufen neuer Freunde, war von Beginn an Klassenprimus und -clown gleichermaßen. Aufgrund meiner schulischen Leistungen verziehen mir die Lehrerinnen wie auch meine Eltern die meisten meiner disziplinarischen Ausrutscher; ich avancierte zum Vorzeigeschüler und -sohn.
Doch trotz allen Unsinns, den ich so trieb, machte ich mir Gedanken zu allen möglichen Dingen, die ich im Fernsehen in den Nachrichten, im Elternhaus, bei Familienfeiern und in meinem alltäglichen Umfeld aufschnappte. Und das waren meistens keine guten Gedanken, weil ich - obwohl mir das nötige Wissen fehlte - irgendwie realisierte, dass überall sehr viel falsch lief. Die Fragen, die ich daraufhin an die Erwachsenenwelt richtete, waren für die dann nicht mehr so unproblematisch. Seeehr oft hieß es dann:Du denkst zu viel! - Ziemlich unbefriedigend, solche Antworten. Das latent ohnehin schon vorhandene Autoritätsproblem wuchs sich aus. Ich wusste zwar, dass die Macht der Erwachsenen kaum zu unterwandern war, nur respektierte ich sie nicht mehr.
Auf dem Gymnasium lief es zuerst so weiter wie gewohnt; ich tat einen Dreck für die Schule, war aber trotzdem ein guter Schüler. Bis die Pubertät zuschlug. Mein desolates Elternhaus hatte eine Akademiker-Karriere für mich ins Auge gefasst, und nun erkannte ich meine Macht. Ich stellte meine schulischen Aktivitäten völlig ein, verweigerte also den Unterricht, und machte nur noch Unsinn, der bald kriminelle Strukturen annahm. Es dauerte nicht lange, bis man meinen Eltern dazu riet, mich von der Schule zu nehmen. Ich besuchte noch ein gutes Jahr die Hauptschule und verspürte trotz der Qualifikation, auf einem Umweg doch noch das Abi zu bauen, keinerlei Bock mehr darauf.
Die anschließende Ausbildung zum Maschinenschlosser brachte ich getreu meinem Effizienz-Motto, mit möglichst geringem Aufwand möglichst viel zu erreichen, hinter mich. Um nicht mehr zu viel zu denken, hatte ich mich inzwischen auf das Feiern ausgiebiger Feten verlegt, und da kam es mir sehr zupass, dass nach der bestandenen Prüfung niemand in ein Arbeitsverhältnis übernommen wurde. Ich war also arbeitslos und konnte feiern. Das tat ich dann auch ein gutes Jahrzehnt, bis mich der Alk. und all die Dro. fast getötet hatten. Nachdem mir mein Arzt noch bestenfalls ein Jahr gegeben hatte, begab ich mich in eine stationäre Entgiftung.
Mittlerweile war ich dreißig Jahre alt, fühlte mich aber wie sechzehn, als ich genesen war. Klingt erst mal gut, war es jedoch nicht so ganz, weil ich immer noch oder besser, schon wieder den gleichen naiven Idealismus an den Tag legte, wie ich es als rebellischer Jugendliche getan hatte. Ich ging eine feste Beziehung ein und nahm den Konsum von C. wieder auf. Denn erstens - so gaukelte ich mir vor - hatte ich mit H. und G. eigentlich nie Probleme gehabt, und zweitens zeigte sich, dass ich mit dem Zeug einen Heile-Welt-Kokon um mich drapieren konnte. Der Grübler in mir war zwar geblieben, aber das K. reduzierte ihn auf ein erträgliches Maß.
Zuerst k. ich nur ein- bis zweimal pro Woche, dann täglich abends, dann auch vor und während der Arbeit in einem Fahrradgeschäft (Fahrräder sind meine große Liebe) und irgendwann dann eigentlich immer. Im Januar 2009 begab ich mich wegen immer häufiger auftretender Kreislaufprobleme abermals in eine Entgiftung, an die sich eine ambulante Therapie anschloss. Seit ziemlich genau drei Jahren bin ich jetzt also völlig clean. Und mehr und mehr schleichen sich die dunklen Gedanken in mein Leben. Mittlerweile so sehr, dass ich selbst das Interesse an meinen Fahrrädern immer mehr verliere. Ich tue etwas, das ich früher nie getan habe: Ich lege mich tagsüber wieder ins Bett, obwohl ich eigentlich gar nicht müde bin.
Ich liege dann praktisch genauso da, wie es in den letzten Jahren meiner Alk. und Abhängigkeit gewesen ist. Nur mit dem Unterschied, dass ich damals rein körperlich nicht zu viel mehr imstande gewesen bin als eben lethargisch rumzuliegen. Nun ist es so, als warte ich auf bessere Zeiten, doch selbst im Frühling sehe ich schon den melancholischen Herbst am Horizont hervor kriechen. Und ein weiteres Phänomen ist mir aufgefallen: Gehe ich z. B. durch den Hauptbahnhof der Großstadt, in der ich lebe, bekomme ich Panik. Ich fühle mich ungefähr wie in einem Videospiel (obwohl ich diese Spiele nie spiele), in dem ich permanent Gefahren ausweichen muss - allen Menschen, ihren Blicken und der drangvollen Enge allgemein.
Die einzigen Dinge, die mir noch meine ganz private, kleine Flucht aus diesem Desaster ermöglichen, sind das Lesen und Schreiben (wie man sieht)...
Danke für Eure Aufmerksamkeit !
Gruß, Sorrow