Erhaltungsmodus: Krank, aber mit Lebensqualität
Depression ist eine Erkrankung, die erstmal nicht chronisch ist. Es gibt eine depressive Episode und wenn sie beendet ist, hoffen alle, dass sie niemals wiederkommt.
Sie sehen sie allerdings schon als Warnschuss und bleiben vorsichtig, um einen Rückfall zu vermeiden. Oder nach einer Weile ohne Rückfall leben sie wieder wie zuvor.
Andere erleben erneute depressive Episoden und ihr Leben ändert sich dadurch noch mehr; sie hoffen, dass jede Episode die letzte ist.
Weitere erleben zyklisch Depressionen, z.B. im Winter oder hormonell beeinflusst oder durch die Form der Depression.
Und bei manchen wird die Depression chronisch. Ich gehöre zu dieser Gruppe. Und ich vermute, in der Rückschau, dass ich spätestens seit Jugendzeiten immer leichte bis mittlere Depressionen hatte, es bloß gar nicht anders kannte.
Im Nachhinein weiß ich, dass meine ständige Dauerüberreizung durch ADHS mich in eine Dauererschöpfung und dann in eine Erschöpfungsdepression brachte, was ich fast 50 Jahre meines Lebens so erlebte, bis ich dann die Diagnosen bekam.
Wenn Jemand von Kindheitszeiten an Diabetiker ist oder Rheumatiker, wächst er damit auf und in diese Lebensbesonderheit hinein.
Wenn jemand mitten im Leben plötzlich herzkrank wird oder durch einen Unfall krank oder behindert, ändert sich sein Leben.
Jahrzehntelang nicht gewusst zu haben, was mit einem selber nicht stimmt und aufgrund von automatischer Selbstregulation mit besonderen Maßnahmen verhindert zu haben, aus dem Alltag zu fallen, sich immer nach der Normalität gestreckt zu haben, ewig zerrissen zwischen Interessen, Begabungen und unverständlichem Ausgebremstwerden gesundheitlich und dann mit fast 50 Jahren endlich zu verstehen, was los war und ist, hat von allem etwas.
Die Annahme der Krankheiten ist zum einen sogar eine Erleichterung, denn das konnte einfach nicht sein, dass ein Leben dauerhaft so schmerzhaft und erschöpfend sein konnte, obwohl um mich herum es niemandem so ging und ich doch privilegiert lebte, weder in Armut, noch in Chancenlosigkeit, noch in Krieg und Unfrieden.
Wem es lange schlecht geht, der ist sogar erleichtert, endlich zu wissen, warum.
Das ist nun, was die Depressionen betrifft, 13 Jahre her, was ADHS betrifft, 10 Jahre her.
Und dennoch versuchte ich zunächst, mit Medikamenten und Psychotherapien und Verhaltensänderungen, die Depression ein für allemal zu überwinden.
Denn ich wusste ja noch gar nicht, wie lange und wie sehr ich drinsteckte. Ich hatte als Erwachsene jedes Jahrzehnt etwa einen depressiven Zusammenbruch, den ich mit Psychotherapien behandelte, was aber nie überdauernd half und die Medikamente machten früher viel zu sediert und zu platt, sie waren noch nicht soweit entwickelt wie jetzt. Pflanzliche Mittel waren viel zu schwach.
Dass ich zwischen den Zusammenbrüchen nie ohne Depressionen war, wusste ich ja nicht. Was bei mir als gesund galt, war es vermutlich gar nicht. Schon hart! Kein Arzt oder Therapeut erkannte das.
Seit ich die ADHS-Diagnose hatte, wusste ich dann, dass ich mit dieser Krankheit würde leben müssen und auch mit den daraus folgenden Depressionen.
Aber ich ließ immer noch nicht nach, mich weiterhin nach der Normalität zu strecken. Ich dachte, wenn ich nur genug Medikamente und Psychotherapien und Verhaltensanpassung hätte, dann würde ich normal leben können, sozusagen wären dann meine Krankheitsdefizite kompensiert.
Stimmte nicht.
Diese ganzen Behandlungs-Maßnahmen habe ich als zentrale und wichtige erhebliche Linderung erfahren und ich sehe sie heute wie sehr gute Krücken. Sie sind sicherlich nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Und damit bekam das Annehmen meiner Krankheiten eine neue Dimension, die fast 10 Jahre brauchte, um mein Leben zu werden so optimal wie möglich. Ich musste mich und meine Biografie und meine Krankheitsbiografie neu entdecken. Etwas ganz anderes und ganz Neues betreten und mich darin einrichten. Und meine Vergangenheit neu schreiben.
02.03.2019 18:16 •
x 3 #4