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Mein Weg aus der Depression-Hölle (Eine Erfolgsgeschichte)

O
If you're going through hell, keep going.
(Winston Churchill)


Hallo die Damen und Herren,

In diesem Thread will ich einmal meine eigene Geschichte erzählen, da diese Geschichte sicherlich für einige inspirierend sein könnte und ich jetzt öfter danach gefragt wurde, sie doch einmal hier zu veröffentlichen.
Es ist eine Geschichte, von einem langen Marsch aus der Hölle, so pathetisch das auch klingen mag.
Über eine beschissene Kindheit zu einer verkorksten Jugend, über Dro.probleme, SVV, Liebeskummer, Zukunftsängste und die ganze Palette emotionaler Schmerzen, hin zu einem Leben ohne Depression, das ich mit Stück für Stück selbst erkämpfte.
Dieser Text dient nicht der Selbstdarstellung, sondern ich hoffe mit dieser meiner Geschichte zeigen zu können, dass immer Hoffnung besteht, ganz egal wie düster das Leben manchmal aussehen mag oder wie viel sch. man in seiner Vergangenheit erlebt hat. So lange man nur anfängt, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen, nicht aufzugeben und sich nach jedem Sturz wieder aufzurappeln.

Und natürlich:
Die Aussagen des folgenden Artikels präsentieren lediglich meine persönliche und subjektive Meinung und Erfahrung und erheben keinerlei Anspruch auf objektiven Wahrheitsgehalt, auch wenn sich viele meine Erläuterungen auf, durch Studien untermauerte, wissenschaftliche Theorien stützen.

Dieser Thread ist etwas länger geworden, aber ich hoffe du lässt dich davon nicht abschrecken. Glaub mir, es lohnt sich (:
Also, los gehts:


Meine Kindheit

Also, wo fange ich am besten an? Vermutlich bei meiner Geburt. 
Mein Vater verließ mich und meine Mutter, noch bevor ich erste Erinnerungen entwickeln konnte. Ich passte meiner Mutter überhaupt nicht in den Kram, aber ich schätze, sie liebte mich trotzdem, auch wenn sie neben der Arbeit wenig Zeit für mich hatte. 
Ein paar Jahre später trat mein Stiefvater in unser Leben. Er war der Grund, weswegen ich mit 17 Jahren von zuhause auszog. 
Ich war schon sehr früh ein eher stilles Kind. 
Statt mit den Anderen zu spielen, saß ich lieber alleine herum und malte Geister, Totenköpfe und fantasievolle Sterbeszenen. 

Schule und andere Grausamkeiten

In der Grundschule war ich ein absoluter Spätzünder. Ich konnte noch in der 4ten Klasse kaum lesen und schreiben und ich wäre wohl auf eine Hauptschule gekommen, wenn meine Mutter mich nicht gnädigerweise in eine Gesamtschule gesteckt hätte. Dort mauserte ich mich schnell zum Außenseiter und Klassen-Loser. Die Jungs in meiner Klasse mobbten mich, die Mädchen behandelten mich wie Luft.
Einmal wurde ich eine Treppe runtergeworfen, ein anderes Mal lud man mich auf eine Party in einem Park ein, die niemals stattfand. 
Um mit dieser farbenfrohen Grundsituation besser umgehen zu können, fing ich an zu kif. und schloss mich in meiner Freizeit in meinem Zimmer ein, um Computerspiele zu spielen und Marilyn Manson zu hören.

Punkrock und die erste Liebe

Mit 15 lernte ich das erste Mal Menschen kennen, die mich so akzeptierten, wie ich war. Ich fand eine Menge Freunde in der Punk-Szene und lernte dort auch meine erste große Liebe kennen. Leider hatte sie bereits einen Freund, doch zumindest verbrachten wir viele Abende zusammen, in welchen sie mir von ihren Problemen erzählte.
Ein paar Monate später gestand ich ihr auf einer Party bei mir zuhause meine Liebe. Wir küssten uns und ich fühlte mich wie im Himmel. 
Eine Stunde später erwischte ich sie in meinem Zimmer im Bett mit einem neuen Typen.
Ich denke, das war in etwa die Zeit, in der ich angefangen habe, ein ernstes Alk. zu entwickeln.

Selbstverletzendes Verhalten

Der Stress in der Schule und mit meinen Eltern verschärfte sich und da mein Stiefvater und ich uns seit Jahren jeden Tag nur noch anbrüllten und meine Mutter regelmäßig heulend zusammenbrach, zog ich schließlich mit einer Freundin aus der Punkszene in meine erste kleine WG.
Sie war ein Messi, Dauerkif. und ein Psycho, ich war ein Alki und inzwischen nicht nur depressiv, sondern auch noch süchtig nach Selbstverletzendem Verhalten. 
Im kompletten nächsten Jahr verbrachte ich nicht einen Tag nüchtern.
Ich arbeitete als Zivi, war mit diesem Job komplett überfordert, kam nachmittags in meine verdreckte Wohnung und fing dort entweder an mich zu ritzen oder mir die Kante zu geben. Meistens beides.
Ich denke, wenn du mich damals gesehen hättest, an einem typischen trostlosen Nachmittag, weinend und alleine auf meinem verdreckten Zimmerboden, den Arm und die Brust voller Blut, neben mir unzählige leere Bier- und Weinflaschen du wärst nicht unbedingt auf die Idee gekommen, von mir Tipps gegen Depression anzunehmen.
Es sollte noch ganze acht Jahre dauern, bis ich mich aus der Schwärze heraus gekämpft hatte. Stück für Stück.

S., Dro. Rock´n Roll

Nachdem ich aus meiner ersten WG ausgezogen war, entdeckte ich neue Arten, die tiefe Traurigkeit in mir zumindest kurzfristig zu überpinseln. S., Dro., Por.s, noch mehr Alk. und ungesunde Liebesbeziehungen zu verschiedenen Partnerinnen. 
Ich war inzwischen in der Gothic/Punk-Szene so etwas wie ein kleines It-Girl. Ich erschien aufgebrezelt wie ein Pfau in den Szene-Clubs, ich war bekannt und das erste Mal in meinem Leben sogar beliebt bei den Mädchen.
Ich hielt mich selbst für einen schillernden Hedonisten, auf der Suche nach dem wahren Glück, doch die meiste Zeit versuchte ich eigentlich nur vor meiner abgrundtiefen Traurigkeit zu entkommen.
Alk. und Dro. halfen mir, mich glücklich zu fühlen, doch nur um am nächsten Tag eine noch größere Leere zu erschaffen.
Ich baute mir eine perfekte Illusion auf, der coole Typ mit dem Rockstar-Lifestyle, doch oft fühlte ich mich einfach nur einsam und sehnte mich nach Frieden, statt den ständigen Hochs und Tiefs und dem endlosen Drama.
Nach einer dramatischen Trennung von meiner Freundin fiel in das nächste tiefe Loch. 
Ein komplettes halbes Jahr weinte ich jeden Tag und wollte nur noch sterben. Zum Glück hatte ich nicht die Eier mich umzubringen, auch wenn ich viel Zeit auf Selbstmord-Websiten verbrachte.

Therapie

Ich begann sehr viel zu lesen. Bücher über Depression, Glücksfindung, Psychologie, Verhaltenstherapie und über Suchtkrankheiten. Ich verschlang duzende Selbsthilfe-Bücher, Motivationsschinken aus den USA, die einem einreden, man kann alles schaffen, wenn man nur positiv denkt oder das Universum um Hilfe bittet.
Ich begann auch eine Therapie. 
Nachdem ich mich beim Ritzen ein Jahr vorher etwas verschätzt hatte und fast verblutetet wäre, wollte mich der Arzt erst in eine geschlossene Klinik einweisen. Doch ich wollte nicht eingesperrt in einem Gefängnis voller Psychos enden, abgefüllt mit mehr Dro. als jeder Raver im Berliner Nachtleben und dämliche Plüschtiere bastelnd. Also bettelte ich so lange, bis der Arzt mich gehen ließ, nachdem ich ihm versprach, eine Therapie zu beginnen.
Zwei Jahre kognitive Verhaltenstherapie. 
Zwei Jahre, in welchen ich meine verzerrten Glaubenssätze analysieren und über meine tiefen psychischen Wunden sprechen durfte. 
Ich war ein vorbildlicher Patient, meisterhaft in der Analyse meiner Probleme und immer schon einen Schritt weiter als eigentlich vorgesehen. Gebracht hat mir das ganze wenig. Ich litt nach wie vor unter Depressionen, ich trank nach wie vor zu viel Alk. und meine Liebesbeziehungen waren nach wie vor von selbstsüchtigem Verhalten und Verlustängsten geprägt. 
Ich lernte zum Beispiel: Mein problematisches Verhältnis zu Frauen rührt unter anderem daher, dass ich durch meine schwierige Kindheit niemals ein Urvertrauen zu meiner Mutter entwickeln konnte. Doch diese nette Erkenntnis half mir nicht ein einziges Mal weiter, wenn ich versuchte, aus alten destruktiven Verhaltensmustern zu entkommen. Im Gegenteil, nun konnte ich mich offiziell als gestört brandmarken, wenn es mal wieder mit der Freundin nicht gut lief:
Ich kann doch nichts für mein Verhalten, ich habe halt niemals Urvertrauen entwickelt.

The long hard road out of hell

Auch nach zwei Jahren Therapie verstand ich noch immer nicht wirklich, wie man sich von dieser Krankheit namens Depression befreit.

Meine neue Freundin verließ mich schließlich, da sie mit meiner ständigen Traurigkeit und meinem irrationalen Drama nicht mehr zurechtkam. Ich war natürlich wütend und frustriert, aber heute kann ich sie verstehen. Es ist alles andere als einfach, mit einem depressiven Menschen eine Beziehung zu führen.

Doch trotz dieser Rückschläge, ging es langsam bergauf. 
Ich holte mein Abitur nach (Schwerpunkt Psychologie), ersetze Selbstverletzung durch Sport, ich begann mit Meditation und ich schaffte es zum ersten Mal in meinem Leben für fast ein Jahr keinen Alk. mehr zu trinken und auch chemische Dro. zu verzichten. Auch nahm ich meine nun offensichtliche Por.sucht in Angriff.
Ich hatte immer noch depressive Episoden, doch sie wurden seltener und gingen schneller wieder vorbei.
Durch die Meditation konnte ich immer besser mit Gefühlsschwankungen umgehen, ich wurde innerlich stabiler und ich begann Strategien zu entdecken, wie man auch während einer depressiven Episode handlungsfähig bleiben kann. Ich probierte herum, lernte neue therapeutische Techniken, entwickelte eigene Methoden und kombinierte verschiedene Ansätze miteinander. 
Ich lernte viel über Achtsamkeit und Akzeptanz zwei mächtige Begleiter auf dem Weg aus der Depression zurück ins Leben.
Ich experimentierte mit den unterschiedlichsten Methoden, etablierte bestimmte Rituale (zum Beispiel Tagebuch schreiben) in meinen Tagesablauf und verwarf andere wieder (zum Beispiel positive Affirmationen).
Da ich nebenbei auch immer noch mit ewig langen Infekten zu kämpfen hatte (chronische Nasennebenhöhlenentzündung für 6 Monate und länger) und mir kein Arzt helfen konnte, beschäftigte ich mich immer mehr mit holistischen, also ganzheitlichen Heilungsmethoden und gesunder Ernährung. Ich stellte überrascht fest, dass durch eine radikale Nahrungsumstellung nicht nur meine Infekte verschwanden, sondern auch meine Depression nahezu halbiert wurde. Ich erlebte einen krassen Energiezuwachs, welchen ich nutzen konnte, um mein Leben noch weiter umzustellen, mehr Sport zu machen und weitere Probleme in meinem Leben anzugehen. 

Ich begann, systematisch alternative Handlungsweisen für destruktive Kontrollstrategien zu entwickeln und Notfall-Tools zu etablieren, wenn mich eine Episode doch einmal zu stark erwischte. 
Natürlich gab es auch Rückschläge.
Ich rutschte immer wieder  in alte destruktive Verhaltensmuster, eine weitere schwere Trennung, lange Rückfälle in den Alk. doch nach jedem Scheitern stand ich stärker wieder auf! 
Ich lernte aus den vielen, vielen Niederlagen genauso wie aus den Erfolgserlebnissen. Nicht nur über mich, sondern auch über das Wesen der Depression.

Leben ohne Depression

Die letzte Depressive Episode liegt fast zwei Jahre zurück. 
Doch selbst das Jahr davor waren die Episoden nur noch ein leichtes Nachschaudern aus meiner kaputten Vergangenheit. 
Der Wunsch nach Selbstmord kommt mir heute fremd und unwirklich vor. 
Die Lust am Leben hingegen begleitet mich durch den Tag.

Natürlich bin auch ich immer noch hin und wieder mal traurig, wütend, genervt oder frustriert. Ich bin nicht perfekt. 
Ich habe immer noch meine Baustellen und ich entwickle mich jeden Tag weiter, lerne jeden Tag etwas dazu.
Und das ist völlig normal. 
Niemand ist immer glücklich, stark oder selbstbewusst.
Es gehört zur menschlichen Natur, die ganze Bandbreite an positiven wie negativen Empfinden zu erleben, wenn man ein erfüllendes Leben führt.
Doch diese tiefe, trostlose Dunkelheit, das Gefühl der Hilflosigkeit und diese unerträgliche Leere all diese Dinge, sind aus meinem Leben verschwunden.
Stattdessen begleitet mich eine mir vorher unbekannte Leichtigkeit, ein tieferer Frieden und tagtägliche Ausgeglichenheit.
Ich denke, nur jemand, der selbst an Depression erkrankt ist oder war, kann verstehen, wie wundervoll diese Entwicklung ist, so unscheinbar sie auch von außen wirken mag.

Mein Weg, der Lehrmeister

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich als geheilt beschreiben soll. 
Ich weiß, dass der schwarze Schatten zurückkehren wird, sollte ich für längere Zeit wieder in alte, destruktive Verhaltensmuster verfallen. Doch mein jetziges Leben ist viel zu schön und aufregend, als das ich jemals wieder in dieses alte Leben zurückkehren wollen würde.
Von Außen betrachtet mag mein Leben vielleicht streng und asketisch wirken. So viel Sport, Meditation, Tagespläne, kein Fastfood, keine Dro. und dafür ständig Obst und Gemüse - dass kann doch nicht wirklich glücklich machen, oder? 
Doch! Absolut! (:
Ich habe so viel mehr Energie, so viel mehr Motivation, Ausgeglichenheit, Selbstbewusstsein, Lebensfreude und endlich all die Kraft an meinen Träumen zu arbeiten - ich würde dieses neue Leben um keinen Preis der Welt wieder hergeben wollen!

Und: So sehr ich diese Krankheit auch gehasst habe, so viel Leid und Schmerz sie mir auch gebracht hat letzten Endes war sie für mich auch ein Lehrmeister in Sachen guter Lebensführung. Ein strenger Lehrmeister, der mich so lange und erbarmungslos bestraft, bis ich wirklich das Leben aufgebaut habe, das ich führen will und das mich glücklich macht.
Ich habe vor kurzem ein wunderschönes Zitat gelesen, welches genau das ausdrückt, was ich in dieser Zeit gelernt habe:

Nothing ever goes away until it has taught us what we need to know.
(Pema Chodron)


Liebe Grüße und viel Erfolg und Glück auf eurem Weg,
Octave

17.03.2014 12:02 • x 3 #1


Wolfi19
Hallo Octave,
Ich bin neu hier und habe gleich Deinen Beitrag entdeckt der mich sehr beeindruckt hat, weil er meinem Lebenslauf, Formulierungen die ich benutze und meinen Erkenntnissen so ähnlich ist.
Das Wort Hölle hat mich getriggert. Die Worte tiefe Leere und Traurigkeit, Urvertrauen, Mobbing, Außenseiter, Probleme im Umgang mit Frauen (Schüchternheit)könnte aus meinem Lebenslauf stammen.
Ich habe selbst gerade im September 2013 den Ausgang gefunden. Und ich bin mit Dir einer Meinung: Es geht immer weiter. Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Und es bedarf oft nur einzelne, kleine, aber starke Massnahmen (Ernährung, Zuspruch, neue Liebe oder wie bei mir 1 Anruf) um vieles oder alles zu verändern.
Ich habe aktuell so viele neue positive Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisse , die ich gerne hier im Forum teilen möchte.
Ich werde wohl Deinem Beispiel folgen und meinen Lebenslauf mit vorläufigem Happy End hier schreiben als Botschaft an alle im tiefen Loch: Niemals aufgeben!
Es ist definitiv möglich sogar aus dem dunkelsten Loch heraus zu finden!

Gruß Wolfi

17.08.2014 23:02 • x 1 #2

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