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Nicht "einfach nur bisschen traurig" sondern depressiv

Frid-a-more
Liebe Community,

ich bin ganz neu hier und kann mich ehrlich gesagt auch nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal bei einem spezifischen Forum angemeldet war - kleine Aufregung ist also am Start, haha.

Ich bin weiblich, 24 Jahre jung und seit ich denken kann, belastet mich eine gewisse Schwere, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit. Da ich gleichzeitig in verschiedenen Lebensbereichen dennoch vermeintlich gut funktioniere, habe ich lange Zeit gedacht, dass meine Stimmungen und Gefühle lediglich im Außen begründet sind. Ich habe viel klein geredet und dachte, ich stelle mich bloß an. Außerdem hat mein jüngerer Bruder auch schon seit Teenagerzeiten Depressionen, funktionierte dabei aber eben nicht mehr, lag tagelang im Bett, etc. Ich hatte schon immer viel Verantwortung für ihn und performte meine Rolle als große Schwester, die zwar auch irgendwie ganz schön viel traurig ist, aber nicht so wie er.

Deswegen dachte ich lange Zeit, dass mit mir etwas nicht stimmt. Machte mir Vorwürfe. Ich dachte, dass ich keine Depressionen haben könne, weil ich dafür viel zu sozial, kommunikativ und eben ja. , funktional durchs Leben gehe. Und gleichzeitig kann ich mich an wenig Zeiten erinnern, in denen ich losgelöst sein konnte, Freude empfinden (nicht nur die, die man sich kognitiv einredet, weil nichts dagegen spricht) und vor allem stehe ich seit Jahren auch körperlich fast durchgehend unter Strom.

Lange Rede, kurzer Sinn: Aktuell läuft meine zweite Therapie und dieses Mal musste ich mir eingestehen, dass ich eben nicht nur ein bisschen traurig bin und jetzt mal hier und da an mir arbeite, sondern, dass ich tatsächlich eine Depression habe. Die Intensität kommt und geht zwar in Schüben, momentan aber gehe ich seit einem halben Jahr durch vielleicht die schwerste Zeit meines Lebens dahingehend.

Und obwohl ich schon viel zum Thema gelesen habe, merke ich, dass ich mich noch mehr mit alledem auseinandersetzen muss. Mich darüber austauschen. Mit Menschen sprechen, die das Ganze genau so kennen und nicht nur freundlich mitfühlend sein wollen. Wenn man so will, bin ich Neu im Club. Verwende das Wort Depression noch kaum, wenn es um das Beschreiben meiner Situation geht. Bin überfordert davon und auch davon, wie viele Stigma man sich doch selbst vorhält, obwohl man weiß, dass man sich nicht schämen muss. Obwohl ich das so auch immer gesagt hätte. - beim Krankheitsbild von anderen. Aber wenn es um mich geht, sieht die Welt direkt ganz anders aus.

Hach, viel zu viel Text hier schon. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll und wo aufhören. Ich weiß nur, dass ich einfach gerne kämpfen will für und um andere Zeiten. Für einen Umgang mit der Krankheit, den ich erst neu erlernen muss, weil die Parameter und die Diagnose auf einmal andere sind. Und ich freue mich auf eure Erfahrungen, Tipps, Erfolgsgeschichten!

Konntet ihr euren Frieden mit der Diagnose schließen? Und wenn ja, wie?

Liebe Grüße

30.05.2021 21:28 • x 1 #1


maya60
Hallo @Frid-a-more und Herzlich Willkommen hier im Forum!

Es geht vielen so wie dir und viele verstehen das auch erst nach Jahrzehnten, weil sie wie du offenbar zu den Hochfunktionalen Depressiven gehören, die trotzdem noch teilweise, hingemogelt oder gerade noch so funktionieren.
Darum ist es logischerweise schwer zu merken, ob das noch das normale Leben ist oder schon eine Depression.
Von der Schwere und Art der Depression und oft auch von Begleiterkrankungen und der Lebenssituation hängt es dann u.a. ab, ob man mit Depression fast nur noch im Bett liegen kann oder ob man noch funktioniert.

Mich z.B. verließ die Kraft beim lebenslange Funktionieren mit Depressionen zunehmend ab Mitte 40, die Therapien einmal jedes Jahrzehnt reichten da nicht, weil ich auch nicht nur depressiv war, wenn ich einmal pro Jahrzehnt einen Schwächezusammenbruch hatte, aber ich schlug mich mit chronischer Depressionsdiagnose dann ab Mitte 40 und Medikamten und Therapien dann nochmal 10 Jahre durch, bis ich dann ganz flachlag und seitdem das Funktionieren verlernen musste.
Soweit wird es bei dir nicht kommen, denn du handelst schon viel früher (was ich auch tat, aber damals gab´s nicht viel dazu) und es gibt heute viel fachliches Wissen und gute Therapien und ggfs. Medikamente mittlerweile bei den Fachleuten.

Darum, weil aber so viele Menschen noch depressiv oder fast depressiv im Burnout heutzutage funktionieren, wurde der Journalist Till Raether auch von Zuschriften überhäuft, als er mal über sich selber einen Artikel schrieb mit dem Titel Bin ich schon depressiv oder ist das noch das Leben? (Oder umgekehrt: Ist das noch das Leben oder bin ich schon depressiv? )
Daraus hat er nun ein Buch gemacht, das ich wie nur was verschlungen habe und dann hier im Forum beschrieben habe, worin sich auch sofort viele von uns wiederfanden.

hochfunktionale-depressive-t28449.html

Gut, dass du in Therapie bist, du wirst immer mehr über dich verstehen, denn wenn du schon lange niedergeschlagen und mit seltener Freude durchs Leben gehst, dazu noch familiär mehr Depressionen vorkommen (beides bei mir dasselbe gewesen), dann wird dir ein Kronleuchter nach dem anderen aufgehen an Verstehen.
Und da das heutige Leben im Beruf besonders mit Burnoutgefahr leider schon normal ist und Burnout/Erschöpfungsdepressionen epidemisch auftreten, liegt die Gesundheit oder Linderung der Depression nämlich darin, zum Teil auch gegen den Strom des ungesunden Lebens leben zu lernen.

Wenn du hier überall in den Themen und Alltagsfragen dich einliest, wirst du sicherlich schon viel wiedererkennen und ich wünsche dir einen guten Austausch hier im Forum!

Liebe Grüße! maya60

31.05.2021 09:17 • x 1 #2

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