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Zitat von Rali:da wird relativiert von vorwiegend älteren Leuten. Vielleicht sind die Herrschaften ganz gut aufgestellt?
Das betrifft mich! Ich bin älter, und, ja, ganz gut aufgestellt. Jedenfalls materiell. Und zutiefst dankbar dafür.
Ein Teil der Relativierung kommt aber auch aus anderer Quelle: Als älterer Mensch hat man Zeiten aktiv durchlebt (hautnah erfahren, nicht im Fernsehen gesehen - das ist ein Riesenunterschied), in denen die Welt noch eine andere war. Ich bin in den 1960er-Jahren sozialisiert worden, wie man heute sagt, d.h. ich war da ein Teenie.
Von daher kann ich sagen, dass manche der Klagen heutzutage schon von einem ziemlich hohem Niveau aus erfolgen. Heute würde sich z.B. kaum noch jemand ohne große Bedenken in ein Auto aus der damaligen Zeit setzen: Keine Airbags, kein Sicherheitsgurt, keine Sicherheitsfahrgastzelle, bei einem Unfall spießt die Lenksäule einem gebrochene Rippen ins Herz, wenn man sich nicht gleich durch die Windschutzscheibe aus dem Unfallgeschehen entfernt. Dafür war jedes Auto eine Quelle von Giftgas, Asbest- und Bleistaub. Hat damals keinen gejuckt.
Als Fußgänger war es nicht besser: Der Zebrastreifen wurde z.B. erst 1964 gesetzlich festgeschrieben.
https://www.faz.net/aktuell/stil/trends...19779.html
Vorher: Betreten der Straße auf eigene Gefahr. Hat damals keinen gejuckt. Man war eben vorsichtig.
Und wir hatten den kalten Krieg. Der Russe stand mit seinen Panzern in der SBZ (der sogenannten DDR).
Und die Atombombe (mit der man damals seitens des Militärs noch etwas salopper umging als heute, Duck and Cover):
DAS war gruselig.
Hat aber nur die wenigsten Leute wirklich gejuckt.
Erst Jahrzehnte später kam raus, wie haarscharf wir bei einigen Gelegenheiten an der wechselseitigen gesicherten Vernichtung vorbeigeschrammt sind. DAS war WIRKLICH gruselig.
https://www.zeit.de/2023/34/stanislaw-p...lter-krieg
Danke, Stanislaw Petrow! Wenn du dich an die Vorschriften gehalten hättest, wären wir heute nicht hier.
Und der Lebensstandard der meisten Leute war nicht so toll. Einen Fernseher, gar ein Auto konnten sich viel weniger Leute leisten als heute. Heute kann praktisch jeder, wenn er die Bürokratie in Kauf nimmt, Sozialhilfe bekommen. Um den damit erreichbaren Lebensstandard hätten ihn viele Leute damals beneidet. Ein einheitliches Gesetz dazu gab es erst 1961 - vorher war das wohl Ermessenssache des Amtes und ich glaube nicht, dass die großzügig waren.
Trotzdem gab es nicht dieses Level von Angst und Verunsicherung, das man heute beobachten kann.
Warum?
Meine Erklärung dafür: Es ist die Tendenz.
Damals ging es aufwärts! Wir hatten das Wirtschaftswunder, Vollbeschäftigung (auch wenn man davon nicht unbedingt toll leben konnte), einen enormen Nachhol- und teils auch noch Wiederaufbaubedarf. Jeder, der wollte, hatte was zu tun - und packte an. Meine Eltern stotterten ihr kleines Häuschen mit Naturalien(!) aus ihrer Landwirtschaft ab - nix 40-Stundenwoche - aber 10 Jahre später waren sie praktisch schuldenfrei.
Und heute? Alle jammern. Die Wirtschaft wächst kaum mehr (aber warum sollte sie? Prinzipiell ist für alle genug da - es ist nur eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit), alle haben Angst. Manche Leute gehen Pleite - aber die meisten haben nach wie vor Arbeit, oder finden eben wieder welche. Hin und wieder gibt es einen Finanzcrash (aber bisher haben wir sie alle überlebt).
Also, es geht abwärts. Aber sehr langsam. Und bis zu dem Niveau, wo wir herkamen, hätten wir noch einen langen Fall vor uns und viel Gelegenheit, gegenzulenken. Und damals haben die Leute auch überlebt. Und waren - so glaube ich - glücklicher als heute.