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Stress und Konformität

Sifu
von VINCE EBERT
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Je mehr Leute eine Idee spitze finden, umso schwieriger werden sachliche Gegenargumente. Nonkonformismus kostet Kraft und wird von der restlichen Gruppe nicht selten mit Argwohn und Ablehnung bedacht.
Es bedeutet Stress, sich gegen die Mehrheitsmeinung zu stellen. Dissens ist anstrengend. Und Anstrengung ist etwas, was unser Hirn gerne vermeiden möchte. Deswegen beginnt es in einer solchen Situation, Stresshormone auszuschütten, der Herzschlag rast, Angst breitet sich aus. Letztendlich ist es also Angst, die die meisten Menschen zu Konformisten macht.
Einer der berühmtesten Versuche zum Gruppendruck stammt aus den fünfziger Jahren. Der Sozialpsychologe Solomon Asch legte einer Gruppe von Freiwilligen Karten mit unterschiedlich langen Linien vor und bat sie, diejenigen auszuwählen, auf denen die Linien gleich lang waren.
Der Gag an der Sache: Die meisten Probanden waren in das Experiment eingeweiht und gaben absichtlich allesamt die gleiche, eindeutig falsche Antwort. Asch wollte wissen, ob sich die echten Versuchsteilnehmer davon beeinflussen ließen. Das Ergebnis war verstörend: Nach leichtem Zögern schlossen sich rund 80 Prozent der untersuchten Personen der Mehrheitsmeinung an und stimmten der falschen Antwort zu.
Offenbar ist der Drang nach Konformität bei uns Menschen so stark ausgeprägt, dass wir unter bestimmten Bedingungen tatsächlich glauben, dass eine blaue Wand grün ist oder dass Zwei plus Zwei Fünf ergibt.

20.08.2022 20:02 • x 4 #1


Stromboli
Ich finde das nicht wirklich verstörend, sondern verständlich. Eher finde ich verstörend, dass die heutige Wissenschaft sich immer wieder einen Spass daraus macht Studien durchzuführen, deren Ausgang ein Jugendlicher mit gesundem Menschenverstand vermutlich voraussagen könnte.

Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist nun mal viel stärker emotional besetzt als die Frage, ob zwei Linien gleich lang seien oder ob zwei plus zwei fünf oder vier gibt.
In diesem Sinn wird es eine Minderheit geben, die bei der (faktisch richtigen) Antwort bleiben wird - das sind dann jene Menschen, für die es emotional wichtig ist, autonom zu sein und sich notfalls auch rebellisch zu zeigen. Auch dieses Bedürfnis gibt es auf der emotionalen Ebene und bei manchen ist es stark. Aus meiner Sicht ist aber dann dieses Bedürfnis die treibende Kraft für die sogenannte Standhaftigkeit und nicht die gleich langen Linien.

Dies meine ketzerische Meinung (ich kenne das zweitgenannte Bedürfnis auch ...)

22.08.2022 11:05 • x 2 #2


G
Zitat von Sifu:
Deswegen beginnt es in einer solchen Situation, Stresshormone auszuschütten, der Herzschlag rast, Angst breitet sich aus.

Was ja etwas weiter gedacht bedeutet:

1. Menschen, die zu Nonkonformismus neigen (aus welchen Gründen auch immer), laufen eher Gefahr, psych. Erkrankungen zu bekommen (Vulnerabilitäts-Stress-Modell)

2. die Höhe des Neurotizismus korreliert mit der gezeigten Konformität (je mehr Neurotizismus, desto mehr Konformität durch Vermeidung des Nonformismus, ~s. Überkonformität)

Zitat von Stromboli:
Ich finde das nicht wirklich verstörend, sondern verständlich.

Also ich finde das schon verstörend, gleichsam aber auch nachvollziehbar - also beides. Wir denken halt meist dichotomisch, aber dialektisch wäre besser. Verstörend ist es in der Hinsicht, als dass Mehrheitsmeinungen komplett falsch und ethisch verwerflich sein können, aber der Großteil der Bevölkerung potentiell trotzdem daran festhält.

Zitat von Stromboli:
Eher finde ich verstörend, dass die heutige Wissenschaft sich immer wieder einen Spass daraus macht Studien durchzuführen, deren Ausgang ein Jugendlicher mit gesundem Menschenverstand vermutlich voraussagen könnte.

Es mag zwar manchmal banal wirken, trotzdem ist das, was am Ende einer (gut durchgeführten) empirischen Untersuchung rauskommt, ein hard fact - also etwas, das auf jeden Fall wahr ist. Natürlich spielt immer noch die Interpretation des Ergebnisses eine Rolle (s. Erkenntnistheorie).

03.09.2022 13:14 • x 1 #3

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