Hallo Camilla,
ich freue mich von Dir zu hören - egal, wann Du antwortest. Mache das in Deinem Tempo, das ist wichtig. Ich bin da. Danke für Deine lieben Worte. Ich finde es mindestens genauso beeindruckend und faszinierend, wie Du schreibst, wie gut Du Dich auszudrücken vermagst und was für eindrückliche Metaphern Du verwendest.
Du hast mich mit der Metapher des Ozeans mit in Deine Welt genommen und ich konnte sehr genau Deinen Schmerz und Dein Leid wahrnehmen. Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du in meinen Beiträgen etwas findest, was es Dir ermöglicht zu spüren: Es wird nicht zu spät sein. Auch wenn ich jetzt kaum noch Kraft habe, ich kann das Schritt für Schritt ändern. Denn genau darum geht es. Ich kann Dir zehn Mal sagen, dass es möglich ist, doch Deine Erfahrungen sprechen eine andere Sprache. Immer wieder versuchen und am Ende doch wieder in einer Sackgasse landen, das kann einen ganz schön zermürben und die Energie rauben. Dem steht gegenüber, dass ich einen Weg gefunden habe und anscheinend auch schon andere - zumindest entnehme ich das dem Buch des Psychotherapeuten Josef Giger-Bütler, bei dem ich sehr viel wiederfinde. Die relevante Frage lautet also, woran Du glauben wirst bzw. wie Du es schaffst an etwas zu glauben, wovon Du bisher jedes Mal enttäuscht wurdest? Fakten haben gegen das eigene Erleben oftmals wenig Chancen, es sei denn, Du gibst ihnen diese Chance. Und wie oft hast Du das schon gemacht und bist enttäuscht worden?
Als ermutigender Redepartner sehe ich natürlich meine Aufgabe darin, Dich zu ermutigen, dass es möglich ist und dass Du das schaffen kannst. Genauso wie Dein Umfeld, über das Du neulich geschrieben hast:
Zitat von Camilla-v:Alle sagen es wird besser, seit Jahren. Ich müsste nurnoch warten denn alles wird sich ins gute wenden....
Während sie mit besten Absichten und dem Wunsch Dich zu unterstützen sagen, dass Du nur zu warten brauchst, damit es sich ins Gute wendet, weiß ich, dass Warten nicht hilft, sondern dass es gilt aktiv etwas zu verändern. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Du es ins Gute wendest, denn dann hast Du es selbst in der Hand. Ich schreibe das, obwohl Du sehr eindrücklich beschreibst, dass kaum noch Kräfte da sind und Du nicht die Energie verspürst noch irgendwas zu tun. Das ist mir bewusst und das ist einer der wesentlichsten Punkte: Der Ausstieg wird nur in Deinem Tempo möglich sein und da gilt es sehr genau auf Dich zu schauen, in Dich reinzuhören und zu spüren, was in einem Moment möglich ist und ob Du bereit bist, einen nächsten Schritt zu machen. Ich habe gerade heute einen gemacht. Ich habe fast drei Jahre gebraucht, um diesen Schritt machen zu können und heute war es soweit. Wo vorher Zweifel waren, war heute Gewissheit, dass ich das kann. Und ich konnte es. (Und nein, das dauert nicht immer so lange, das war ein sehr tiefliegendes Thema bei mir, das ich nun auflösen konnte.)
Was sollte das nun sein, was so anders ist als all das, was Du vorher ausprobiert hast?
Es ist eine andere Sichtweise auf Depression und vorhandene Symptome. Es ist eine völlig andere Erzählweise der Geschichte, sie bietet eine logische Erklärung und damit auch Handlungsmöglichkeiten, um sich zu befreien. Der Autor, den ich oben erwähnte, geht dabei davon aus, dass Depressionen eine bestimmte Entwicklungsgeschichte voraussetzen und aufgrund bestimmter Denk- und Verhaltensmustern in immer stärkere Müdigkeit und Erschöpfungszustände führen. Das lässt sich unterbrechen, wenn man beginnt, diese Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und neue zu etablieren, die förderlicher für die eigene Gesundheit und Lebensqualität sind. Er beschreibt diese depressiven Muster wie er sie nennt, sehr genau, und sie haben viel mit dem Gefühl des sich selbst Verlierens zu tun. Die Muster sind darauf angelegt, in der Welt zu funktionieren. Und zu einem bestimmten Zeitpunkt haben sie diesen Zweck auch sehr gut erfüllt. Doch dabei ging es ums Überleben, nicht um Leben. Es sind Muster, die so selbstverständlich sind, dass Du sie für Dich hältst. Genauso wie ich das getan habe. Es war so normal, wie könnte man anders sein? Inzwischen weiß ich, dass es möglich ist, anders zu sein, auf meine innere Stimme zu hören ohne egoistisch zu werden. Der Weg da raus ist der Weg zurück zu Dir und da wartet dann auch der innere Frieden. Auch wenn es unglaublich weit entfernt sein mag, dieses Lebensziel ist erreichbar. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen und bei dem, wie ich mich innerlich gefühlt habe, war das mit Sicherheit nicht selbstverständlich.
Wenn Du mehr darüber wissen möchtest, dann frage gern oder schau Dir die Bücher von Josef Giger-Bütler an. Er hat mehrere geschrieben mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Es könnte vielleicht auch hilfreich sein, wenn Du Deiner Familie davon erzählst und sie sich ebenfalls mit dem Thema befassen. Je mehr Verständnis und Geduld Du von außen bekommen kannst, und zwar in Form von Dich Deinen Weg gehen lassen und Dich dabei unterstützen, desto einfacher wird es für Dich.
Du hast Antidepressiva erwähnt und dass Du morgen in der Sitzung darüber sprechen wirst. Medikamente sind keine Lösung, doch sie können die Möglichkeit eröffnen, dass Du mehr Kraft verspürst, um dann Lösungen zu finden und Wege zu gehen, für die Dir sonst vielleicht die Kraft fehlen würde. Solange man sich darüber im Klaren ist, können Medikamente hilfreich sein.
Ich habe heute eine Menge geschrieben und mich zwischendurch gefragt wie es mit Deinen Aufnahmekapazitäten ist. Ist das von der Menge her in Ordnung für Dich? Wenn es notwendig ist mit den Kräften hauszuhalten, dann kann schon ein Wort schnell mal zu viel sein.
Es ist nicht notwendig Lust und Motivation zu spüren, um diesen Weg zu gehen. Es geht um kleine Schritte, sehr kleine Schritte. Es geht um kleinste Veränderungen in Dir, die am Ende einen großen Unterschied machen, doch am Anfang ist es Sandkorn für Sandkorn. Du kannst das schaffen.
Liebe Grüße,
Julia