Menschenkind
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Ich hatte bereits letztes Jahr über unsere Beziehung und die Krankheit meines Ehemannes geschrieben.
Seit dieser Zeit hat sich einiges getan. – Mein Mann war vor 1 Jahr für ca. 10 Wochen wegen seiner Depressionen in einer Privatklinik. Dort wurde er „relativ“ gefestigt entlassen. Medikamentös ist er eingestellt. Er nimmt Escitalopram und Pipamperon.
Er geht mittlerweile seit ca. 9 Monaten zu einem Psychiater. Jedoch diese Besuche werden aufgrund der Übernahme der Kosten durch seine Versicherung immer seltener. Er ist jetzt in einem Turnus von ca. 1 x im Monat angekommen.
Wir wären auch bereit, weitere Konsultationen aus eigener Kasse zu bezahlen. Mein Mann hält dies jedoch für nicht nötig. Und auch ich zweifele daran, dass es eine Besserung für ihn bedeuten würde. Denn ich glaube, dass er sich auch dort nicht wirklich öffnet. (Sein Psychiater hat einmal gesagt, dass er nicht wissen würde, dass mein Ehemann eine Depression hat, wenn er es nicht aus seinen Unterlagen herauslesen könnte.)
Die anfängliche Besserung nach seinem Klinikaufenthalt verschwindet nach und nach immer mehr. Therapiemöglichkeiten, die er selbst anwenden kann, wurden (bzw. hat er) nach und nach ausgeschlichen. Er sagt, dass ihm das nichts bringt.
Mittlerweile ist es so, dass ich jeden Morgen aufwache und denke: Hoffentlich ist es heute besser.
Man kann sich da an nichts orientieren. Denn wenn er wirklich ausgeschlafen und gut gefestigt aufwacht und den Tag positiv beginnt, kann es sein, dass sich dieser Zustand innerhalb weniger Minuten ändert, und er wieder in seine tiefe Depression verfällt.
Er ist in diesem Zustand total verzweifelt. Er sagt ihm ist kalt und er weiß nicht, wohin mit sich. Er ist dann am Zittern, am Weinen und ist total unruhig. Ich versuche ihn dann zu trösten, abzulenken und für ihn da zu sein. Mache eine Wärmflasche, bringe ihm eine Decke, decke ihn zu und spreche beruhigend auf ihn ein. Sage ihm dann, dass er nichts dafürkann, wenn er sagt, dass er sich und seine Emotionen einfach nicht im Griff hat.
Er ist jetzt sehr oft bei seinem Hausarzt, lässt sich auf Herz und Nieren untersuchen. Mittlerweile war er bei jedem Arzt jedwelcher Fachrichtung. Jedoch wird bisher kein körperlicher oder organischer Auslöser gefunden.
Von der Realität des Lebens schottet er sich so gut wie es geht ab. – Wir haben mittlerweile keine Tageszeitung mehr, damit er nichts Negatives mehr lesen und hören muss. Nachrichten werden von uns (ihm) auch nicht mehr geguckt.
Seine Therapie ist jetzt Fußball gucken. Damit kann er sich aus dem realen Leben ausklicken. So guckt er, wenn es geht, den ganzen Tag von morgens bis abends irgendein Fußballspiel an. Ich verbringe dann meine Zeit in „meinem“ Zimmer.
Wenn wir etwas gemeinsam unternehmen, ist es zumeist ein Würfelspiel, dass ihm etwas Entspannung bringt, wenn es ihm schlecht geht. – Hier muss ich allerdings wiederum aufpassen, dass ich keine Emotionen mit reinbringe. Freue ich mich mal unbeabsichtigt, weil mir ein guter Zug gelungen ist, geht es bei ihm sofort wieder ins Negative und wir sind wieder am Anfang des verzweifelten Gefühls.
Dinge, die sich in meinem Kopf und Leben (eben auch weltpolitisch) abspielen, die in irgendeiner Form negativ sind, darf ich nicht sagen und versuche ich auch für mich zu behalten. Aber auch mein Leben ist nicht nur ein Blumenmeer.
Unternehmungen können wir gar nicht mehr planen, weil wir nie wissen, ob er mental dazu in der Lage ist, an dieser teilzunehmen. Weil er eben, wenn er wieder in dieser tiefen Verzweiflung steckt, das Haus nicht verlassen kann und will.
Er geht 1 x wöchentlich zum Sport und trifft dort seine Sportkameraden. Dieses „Event“ kann er eigentlich immer wahrnehmen. Er fährt dort hin, macht seinen Sport und geht danach noch mit seinen Kameraden zum Essen. Es kommt aber dennoch oft vor, dass er bereits am andern Morgen wieder in seiner depressiven Stimmung ist.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass er, wenn er wieder in seiner schlimmen Phase ist und vielleicht einen Telefonanruf von einem Familienmitglied/Freund bekommt, er sich zusammenreißen kann. Dann tut er am Telefon so, als ob er bestens gelaunt ist und alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre.
Wenn er aufgelegt hat, sackt er wieder in sich zusammen.
Gestern nun ist mir etwas aufgefallen. Ich hatte im Fernsehen eine gescriptete Sendung angeguckt, bei der eine Geschichte erzählt wurde von einem Polizeieinsatz.
Er kam dann herein und ich erzählte ihm, was da vorgefallen war. Und da hat er mich strafend angeguckt und gefragt, warum ich ihm das erzähle. Ich wüsste doch, dass ihn das triggert und er damit nicht umgehen kann.
Und jetzt bin ich an dem Punkt angekommen, wo ich feststellen muss, dass ich jetzt eigentlich nur noch verlieren kann. – Denn auch mein Leben ist wie gesagt nicht nur mit Blumen bestreut.
Ich kann mich nicht mehr mit ihm austauschen, weil ich immer etwas sagen könnte, das ihn triggert. Und so weiß ich mittlerweile auch nicht mehr, was ich noch sagen darf und was nicht.
Und jetzt bin ich so verunsichert, dass ich gar nicht mehr schlafen kann und nicht mehr weiß, was ich machen kann und soll.
Denn wie soll eine Kommunikation noch aussehen, wenn ich dauernd „Fehler“ mache, die ihn wieder in seine Depression zurückbringen?
Ich versuche wirklich alles, um ihm zu helfen. Aber ich glaube, ich bin jetzt mit meiner Kraft am Ende.
Ich habe aber natürlich auch Angst, mit ihm darüber zu reden. Denn ich weiß ja schon, wie das ausgeht.
Manchmal denke ich, dass ich alles abfangen muss, was ihn triggert. Denn er hat seine Gefühle meistens im Griff, sobald er mit jemand anderem zu tun hat.
Natürlich ist sein/unser Zuhause der Ort, an dem er sich gehen lassen darf. Aber wo bleibe ich dabei?